Bürgergeld: Anspruch auf Wohnungserstausstattung aufgrund gesundheitlicher und psychischer Probleme

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Ein an paranoider Schizophrenie erkrankte Leistungsbezieherin kann Anspruch auf Erstausstattung der Wohnung haben, denn aufgrund gesundheitlicher und psychischer Probleme hat eine außergewöhnliche Situation bestanden, die zum unverschuldeten Untergang ihrer Wohnungs- und Haushaltsgegenstände geführt hat. (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II a. F. (jetzt § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II). So entschieden vom LSG NRW mit Beschluss vom 19.09.2011 – L 19 AS 12/11 B –

Hilfebedürftige hatte den Gesamtverlust ihrer Wohnungsausstattung aufgrund der Folgen ihrer psychischen Erkrankung unverschuldet verursacht

Das Gutachten hatte im Betreuungsverfahren bescheinigt, dass die Klägerin an einer paranoiden Schizophrenie, verbunden mit einem teils bizarr anmutenden Wahnsystem, Beeinträchtigungserleben, Wahrnehmungsstörungen, teilweisen inadäquatem Affekt und fehlender Krankheitseinsicht, leidet und diese Erkrankung schon seit längerem bestanden hat.

Durch Beschluss hat das Sozialgericht Düsseldorf den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Ihr Betreuer hat die Auffassung vertreten, dass bei ihr nicht der Fall der Ersatzbeschaffung, sondern der Erstausstattung gegeben sei.

Denn aufgrund gesundheitlicher und psychischer Probleme habe bei ihr eine außergewöhnliche Situation bestanden, die zum unverschuldeten Untergang ihrer Wohnungs- und Haushaltsgegenstände geführt habe. Dies rechtfertige die Gewährung einer Ersatzausstattung.

Die Klage hatte zur Überzeugung des Senats hinreichende Aussicht auf Erfolg

Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich der Haushaltsgeräte nicht von der Regelleistung umfasst.

Dabei handelt es sich nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei dem Anspruch auf Erstausstattung um eine bedarfsbezogene Leistung.

Leistungen sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen.

Für die Auslegung des Begriffs der Erstausstattung ist entscheidend, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist.

Allein die Tatsache, dass es sich unter Zugrundelegung des substantiierten Vortrags der Klägerin bei dem Klagebegehren nicht um eine erstmalige Ausstattung einer Wohnung überhaupt, sondern um eine Ersatzbeschaffung schon früher vorhandener Gegenstände handelt, schließt den Anspruch nicht schon aus (vgl. BSG Urteile vom 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 – und vom 01.07.2009 – B 4 AS 77/08 R -).

Denn ein Bedarf an Wohnungserstausstattung kann auch durch einen Gesamtverlust einer vorhandenen Wohnungsausstattung, z.B. durch einen Wohnungsbrand, oder durch die Entstehung eines neuen Bedarfs aufgrund außergewöhnlicher Umstände, wie z.B. bei einer Entlassung aus der Haft, Trennung vom Ehepartner (BSG Urteil vom 19.09.2008 – B 14 AS 64/07 R -), längerfristige Wohnungsaufgabe wegen Alkoholerkrankung (vgl. BSG Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 – ), entstehen.

In diesen Fällen wird auch eine Ersatzbeschaffung von Ausstattungsgegenständen vom Begriff der sog. “Erstausstattung” mit umfasst.

Davon wird auch die längerfristige, zukunftsoffene Aufgabe einer Wohnung verbunden mit dem Gesamtverlust der Ausstattungsgegenstände erfasst.

Eine Ersatzbeschaffung stellt nur dann keine Erstausstattung i.S.v. § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II dar,
wenn einzelne, bereits unmittelbar vor dem Einzug in eine Wohnung vorhanden gewesene Gegenstände zwar weiterhin funktionsfähig sind, ihrem Besitzer jedoch nicht mehr gefallen oder sie nicht mehr optimal zur neuen Wohnung passen oder wenn die Gegenstände ohnehin – auch ohne den Umzug – wegen Unbrauchbarkeit hätten durch andere Gegenstände ersetzt werden müssen (vgl. BSG Urteile vom 19.08.2010 – B 14 AS 36/09 – und vom 01.07.2009 – B 4 AS 77/08 – ).

Anmerkung zum Beschluss: Gilt das Gesagte auch heute beim Bürgergeld: Ja

Wann wird in der Regel keine Wohnungserstausstattung gewährt

1. Bei einer Suchterkrankung, auch wenn diese mit Rauschzuständen verbunden ist, handelt es sich nicht um ein von außen einwirkendes Ereignis oder einen außergewöhnlichen Umstand, das/der in der Folge eine „Wohnungserstausstattung“ bedingt.

Allein der Umstand, dass der Verschleiß der Einrichtungsgegenstände aus krankheitsbedingten Grün- den möglicherweise schneller oder stärker als im Regelfall voranschreitet, begründet keinen Leistungsanspruch (vgl. BSG Urteil vom 06.08.2014, Az. B 4 AS 57/13 R).

2. Ein Bedarf für eine Wohnungserstausstattung liegt auch bei einem vollständigen Verlust des Mobiliars dann nicht vor, wenn die Möbel des Hilfebedürftigen infolge einer Zwangsräumung durch den ehemaligen Vermieter eingelagert werden, der Hilfebedürftige jedoch die Herausgabe solcher Gegenstände verlangen kann, auf die sich das Vermieterpfandrecht (§ 562 BGB) wegen Unpfändbarkeit nach § 811 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht erstreckt.

Hier ist der Hilfebedürftige ggf. gehalten, seine Besitzschutzansprüche gegen den ehemaligen Vermieter im Rahmen zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes (§§ 935, 940 ZPO) geltend zu machen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 25.06.2008, Az. L 7 B 9/08 AS).

Gut zu wissen:

1. Zu den Kosten einer Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten gehören auch die Kosten der Anlieferung und des Anschlusses, wobei zumutbare Eigenleistungen des Leistungsberechtigten abzuziehen sind.

2. Nach meiner Meinung fallen grundsätzlich auch die im Rahmen des Austausches eines Gasherdes nach § 19a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) und der Umstellung von L-Gas auf H-Gas vom Leistungsberechtigten zu tragenden Kosten unter § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II. Von dieser Umstellung betroffen sind nur die Bundesländer Bremen,Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.

Rechtstipp zum SGB XII – § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII

BSG, Urteil vom 16.02.2022 – B 8 SO 14/20 R – Anspruch auf Leistungen der Wohnungserstausstattung bei einer Ersatzbeschaffung kann auch bestehen, wenn personenbezogene Faktoren – hier eine Krankheit – zu einem vollständigen Verlust der Einrichtung geführt haben.

1. Wenn eine psychisch kranke Frau im Wahn ihre funktionsfähigen Möbel und ihren Hausrat auf der Straße entsorgt, muss die Sozialhilfe mit einen “Zuschuss” für eine Ersatzbeschaffung einspringen.

2. Denn geht die Möbelentsorgung nicht auf einen Verschleiß, sondern auf einen wahnhaften Krankheitsschub zurück, stellt dies nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einen außergewöhnlichen Umstand dar, der eine erneute „Wohnungserstausstattung“ begründet.

3. Die Tatsache, dass zwischen dem Untergang der Einrichtung und der beabsichtigten Wiederbeschaffung ein Jahr verstrichen ist, führt nicht zum Wegfall des Bedarfs.

Der Begriff der Erstausstattung ist nicht zeitlich, sondern bedarfsbezogen zu verstehen, dh alleine durch Zeitablauf entfällt der Anspruch nicht, solange ein ungedeckter Bedarf besteht (vgl BSG vom 20.8.2009 – B 14 AS 45/08 R ).

Was können Betroffene tun

Wenn Sie aufgrund nachgewiesener Krankheit ihre Wohnungserstausstattung verloren haben, können Sie den erneuten Bedarf beim Jobcenter oder bei der Sozialhilfe geltend machen.

Nachgewiesen werden muss, dass gerade auf Grund ihrer Krankheit es zum Verlust kam, z. Bsp. Ärztliche Befundberichte, Krankenhausberichte, Schreiben eines Betreuers, wenn vorhanden, Schreiben von sozialen Anlaufstellen.

Selbst wenn sie längere Zeit ohne Wohnraummöbel gelebt haben, darf das JC bzw. der Sozialhilfeträger nicht wegschicken bzw. den Antrag ablehnen, denn ein Erstausstattungsbedarf an Möbeln ist immer bedarfsbezogen zu verstehen, d. h. Dieser Bedarf muss genau in diesem Moment gegeben sein und auch befriedigt werden.