In Bayern wurde die Bezahlkarte fรผr Asylbewerber eingefรผhrt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat nun in einem Eilverfahren entschieden, dass diese Praxis mit geltendem Recht vereinbar ist.
Dieses Urteil dรผrfte nicht nur in Bayern fรผr Beachtung sorgen, sondern auch in anderen Bundeslรคndern die Diskussion um Formen der Leistungsgewรคhrung beeinflussen.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund der Klage
Eine afghanische Klรคgerin, die Ende 2023 in Deutschland eingereist war, sah sich aufgrund der neuen Bezahlkartenregelung in ihren Rechten verletzt. Zunรคchst erhielt sie einen Barbetrag fรผr ihren persรถnlichen Bedarf, doch dann wurde sie vom zustรคndigen Sozialleistungstrรคger darรผber informiert, dass ihre Leistungen kรผnftig nur noch auf einer Bezahlkarte zur Verfรผgung gestellt wรผrden.
Mit dieser Karte kรถnnte sie Waren und Dienstleistungen innerhalb ihrer rรคumlichen Aufenthaltsbeschrรคnkung bezahlen, jedoch nur einen begrenzten Bargeldbetrag von 50 Euro im Monat abheben.
Aus Sicht der afghanischen Antragstellerin stellte dies eine unzumutbare Beschrรคnkung dar, weshalb sie bei Gericht Eilrechtsschutz suchte.
Weshalb lehnten die Gerichte den Eilantrag ab?
Zunรคchst entschied das Sozialgericht (SG) Mรผnchen, dass keine ausreichende Eilbedรผrftigkeit bestehe. Die Antragstellerin habe im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf die Auszahlung ihrer Leistungen in bar oder auf die รberweisung auf ein Konto darlegen kรถnnen.
Im Anschluss legte sie Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht ein. Dort wurde jedoch ebenfalls entschieden, dass die Bezahlkarte keinen Verstoร gegen hรถherrangiges Recht darstellt.
Das LSG stellte klar, dass das Existenzminimum nach der deutschen Rechtsordnung grundsรคtzlich auch durch Sach- oder Dienstleistungen, wozu die Bezahlkarte zu zรคhlen ist, gewรคhrt werden kann.
Bezahlkarte verfassungskonform
Das Bayerische Landessozialgericht verwies auf die Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dort wird den zustรคndigen Behรถrden ein Ermessensspielraum eingerรคumt, ob und in welcher Form Leistungen ausgegeben werden.
Nach ยง 3 Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz ist es mรถglich, Sachleistungen oder Gutscheine bzw. Karten anstelle von Bargeld auszugeben. Das Gericht betonte, dass den Leistungsberechtigten zwar das Existenzminimum gesichert sein muss, aber die Form der Leistungsgewรคhrung in das pflichtgemรครe Ermessen des Sozialleistungstrรคgers gestellt ist.
Die Begrenzung der Bargeldabhebung auf 50 Euro pro Monat sah das Gericht als zumutbar an, zumal der รผberwiegende Teil der alltรคglichen Bedรผrfnisse auch ohne Bargeld bezahlt werden kรถnne.
Wie geht es fรผr die afghanische Antragstellerin weiter?
Die Entscheidung des LSG ist rechtskrรคftig und damit fรผr die Antragstellerin bindend. Sie erhรคlt weiterhin ihre Leistungen รผber die Bezahlkarte. Ob sie einen weiteren Rechtsweg beschreiten mรถchte und kann, ist offen.
In vielen Fรคllen wird derartige Streitigkeit von Betroffenen erst dann vor das Bundessozialgericht gebracht, wenn es um grundsรคtzliche Fragen der Verfassungsmรครigkeit geht oder wenn mehrere Landessozialgerichte zu unterschiedlichen Auslegungen kommen. Bis dahin bleibt die Bezahlkarte im Freistaat Bayern eine anerkannte Form der Leistungserbringung.
Welche Signalwirkung hat das Urteil รผber Bayern hinaus?
Die jetzt getroffene Entscheidung aus Bayern kรถnnte andere Bundeslรคnder darin bestรคrken, ebenfalls รผber รคhnliche Formen der Leistungsgewรคhrung fรผr Asylsuchende nachzudenken. Einige Kommunen haben bereits Pilotprojekte oder planen, kรผnftig stรคrker auf Kartenmodelle statt auf Bargeld zu setzen.
Warum bleibt eine gesamtdeutsche Klรคrung noch aus?
Obwohl das Urteil in Bayern rechtskrรคftig ist, fehlt bislang eine hรถchstrichterliche Klรคrung durch das Bundessozialgericht. Oft werden gerade in Fragen, die das Existenzminimum von Menschen betreffen, grundlegende verfassungsrechtliche Bedenken geรคuรert.
So stellt sich unter anderem die Frage, ob eine Beschrรคnkung des Bargeldzugangs in jedem Einzelfall noch als hinreichend menschenwรผrdig anzusehen ist oder ob in bestimmten Situationen zusรคtzliche Bedรผrfnisse entstehen, die nur durch Bargeld gedeckt werden kรถnnen.
Ein abschlieรendes Urteil des Bundessozialgerichts kรถnnte fรผr einheitliche Verhรคltnisse im ganzen Land sorgen und endgรผltige Rechtssicherheit schaffen.
Wie bewerten Fachleute die rechtliche Lage?
Juristen weisen darauf hin, dass das Grundrecht auf Gewรคhrleistung eines menschenwรผrdigen Existenzminimums laut Bundesverfassungsgericht nicht zwingend in Form von Bargeld umzusetzen ist. Entscheidend sei, dass Hilfebedรผrftige alle notwendigen Mittel fรผr ihren Lebensunterhalt erhalten.
Die Gerichte prรผfen, ob dies im Einzelfall sichergestellt ist. Die Richterinnen und Richter am LSG haben in ihrer Entscheidung betont, dass die Grenze von 50 Euro Bargeld monatlich noch im Rahmen dessen liege, was fรผr die Deckung spontaner und unbarer Ausgaben ausreichend sei.
Eine mรถgliche Ungleichbehandlung gegenรผber anderen Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, die eventuell hรถhere Geldbetrรคge in bar erhalten, sei dabei nicht erheblich, solange die Mindestversorgung rechtlich gesichert bliebe.
Was ist das Fazit fรผr die Zukunft?
Mit der Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts steht fest, dass die Ausgabe von Bezahlkarten fรผr Geflรผchtete derzeit nicht gegen geltendes Recht verstรถรt. Die afghanische Antragstellerin ist mit ihrem Eilantrag gescheitert und muss die Karte akzeptieren. Zugleich bleibt offen, ob es bundesweit zu einheitlichen Regelungen kommen wird oder ob einzelne Bundeslรคnder unterschiedliche Wege gehen.
(Quelle: Beschluss Az. L 8 AY 55/24 B ER)