Eine Kündigung aus Krankheitsgründen ist nur unter strengen Voraussetzungen wirksam. Das Gericht hob eine Entlassung auf, weil das vorgeschriebene betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) nicht ordnungsgemäß abgeschlossen wurde und der Betriebsrat fehlerhaft informiert war.
Das Urteil (Arbeitsgericht Bremen Bremerhaven, Aktenzeichen 8 Ca 8152/21) zeigt, dass Arbeitgeber bei einer krankheitsbedingten Kündigung sorgfältig prüfen müssen, ob mildere Mittel als eine Entlassung denkbar sind. Dies gilt vor allem, wenn häufige Kurzerkrankungen vorliegen und das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung findet. Sie erfahren hier:
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Rechtsgrundlage für krankheitsbedingte Kündigungen
Arbeitgeber stützen eine Kündigung wegen Krankheit in der Regel auf die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes und die in der Rechtsprechung etablierten Grundsätze zur „personellen Kündigung“. Nach den einschlägigen Urteilen des Bundesarbeitsgerichts müssen drei Punkte erfüllt sein:
- Negative Prognose: Es muss nachvollziehbar sein, dass sich auch in Zukunft Krankheitstage häufen.
- Betriebliche Beeinträchtigung: Die Fehlzeiten müssen zu erheblichen betrieblichen Störungen oder erheblichen Kosten führen.
- Verhältnismäßigkeit: Eine Kündigung ist nur das letzte Mittel. Der Arbeitgeber muss mildere Optionen prüfen.
Das hier besprochene Urteil knüpft an genau diese Punkte an. Vor allem der dritte Aspekt, die Verhältnismäßigkeit, steht im Mittelpunkt.
Bedeutung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM)
Der Gesetzgeber hat das BEM in § 167 Abs. 2 SGB IX verankert. Es soll helfen, Arbeitsunfähigkeitszeiten zu verringern und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. In vielen Fällen sind alternative Einsatzgebiete, geänderte Arbeitszeiten oder individuell angepasste Maßnahmen denkbar. Das Gericht machte klar:
Das BEM muss korrekt und lückenlos durchgeführt werden.
Arbeitgeber dürfen das Verfahren nicht einseitig abbrechen, wenn es noch offene Fragen gibt.
In dem entschiedenen Fall hatte der betroffene Arbeitnehmer mehrfach Krankheitszeiten angesammelt. Er erhielt Einladungen zum BEM und stimmte auch zu. Dennoch endete dieses Verfahren plötzlich, ohne dass ihm eine abschließende Stellungnahme möglich war.
Nach der aktuellen Rechtsprechung reicht ein einseitiger Abbruch durch den Arbeitgeber nicht aus. Stattdessen müssen beide Seiten zu einer Einigung kommen oder zumindest alle Lösungsmöglichkeiten ausschöpfen. Andernfalls fehlt dem Arbeitgeber eine wichtige Argumentationsgrundlage für die Kündigung.
Fehlerhafte Betriebsratsanhörung
Neben der unvollständigen Durchführung des BEM rügte das Gericht auch die Betriebsratsanhörung. Der Betriebsrat erhielt laut Urteilsbegründung fehlerhafte Informationen über den Umfang der Fehlzeiten. Statt tatsächlicher Arbeitstage wurden Kalendertage als Maßstab angegeben.
Außerdem erfuhr der Betriebsrat nicht, dass das BEM gar nicht abgeschlossen, sondern nur abgebrochen war. Diese Mängel führten dazu, dass der Betriebsrat keine korrekte Einschätzung über die Kündigungsgründe treffen konnte.
Nutzen für Beschäftigte: Wer sich in einer ähnlichen Situation befindet, sollte prüfen, ob sein Betriebsrat alle wesentlichen Daten zu den Fehlzeiten und zum Verlauf des BEM erhalten hat. Liegt eine falsche oder unvollständige Unterrichtung vor, kann die Kündigung unwirksam sein.
Nutzen für Arbeitgeber: Die Anhörung des Betriebsrats darf nicht zur Formalie verkommen. Eine umfassende und richtige Darstellung sämtlicher Fakten ist unverzichtbar, damit die Kündigung nicht aus formalen Gründen scheitert.
Gerichtliche Entscheidung und Konsequenzen
Die Kündigung war laut Arbeitsgericht unverhältnismäßig. Der Arbeitgeber konnte nicht beweisen, dass keine milderen Mittel zur Verfügung standen. Dass das BEM ohne gemeinsame Absprache abgebrochen wurde, wog besonders schwer. Das Gericht entschied daher:
Die Kündigung ist unwirksam.
Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Ende des Verfahrens.
Arbeitgeber tragen damit ein erhebliches Risiko, wenn sie ohne stichhaltige Argumente das Arbeitsverhältnis beenden wollen. Werden Fehler bei der Durchführung des BEM oder bei der Betriebsratsanhörung gemacht, entstehen erhebliche Kosten und Unsicherheiten.
Praktische Hinweise für Betroffene
Arbeitnehmer, die häufig krankheitsbedingt fehlen, sollten genau prüfen, ob der Arbeitgeber ein ordnungsgemäßes BEM anbietet. Dabei sollten Sie auf Folgendes achten:
Einladungsschreiben: Sie sollten klar erkennen, welche Stellen (z. B. Personalabteilung, Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung) beteiligt sind.
Offene Kommunikation: Nutzen Sie die Chance, aktiv Vorschläge zur Anpassung Ihres Arbeitsplatzes zu machen.
Rechtliche Beratung: Ziehen Sie im Zweifel frühzeitig einen Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzu, damit keine Fristen versäumt werden.
Warum Verhältnismäßigkeit entscheidend ist
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts legt großen Wert darauf, dass eine Kündigung das letzte Mittel sein muss. Der Arbeitgeber darf nicht vorschnell von einer anhaltenden Erkrankung ausgehen.
Die Entscheidungsgründe im hier behandelten Urteil zeigen, dass selbst bei starken betrieblichen Beeinträchtigungen noch geprüft werden muss, ob Arbeitsplätze angepasst werden können oder eine medizinische Rehabilitation Aussicht auf Erfolg bietet.
Bei häufigen Kurzerkrankungen ist eine realistische Prognose wichtig: Wenn sich Krankheitsphasen in absehbarer Zeit verringern lassen, fehlt es an der erforderlichen Nachhaltigkeit für eine Kündigung. Hier kann ein erfolgversprechendes BEM entscheidend sein, um die Leistungsfähigkeit wiederherzustellen oder zumindest zu verbessern.
Weiterbeschäftigung trotz Kündigung?
Das Gericht hat dem betroffenen Arbeitnehmer außerdem ein Recht auf Weiterbeschäftigung zugesprochen. Er darf – zu den bisherigen Bedingungen – bis zur rechtskräftigen Klärung seines Kündigungsschutzverfahrens im Betrieb bleiben.
Diese Entscheidung stützt sich auf die in der Rechtsprechung verankerte Regel, dass nach einem erstinstanzlichen Urteil ein schützenswertes Interesse des Mitarbeiters überwiegt. Arbeitgeber haben dann nur ausnahmsweise die Möglichkeit, die Weiterarbeit abzulehnen, etwa wenn eine Zusammenarbeit aus betrieblichen oder persönlichen Gründen absolut nicht mehr zumutbar ist. In diesem Fall lagen solche Ausnahmekonstellationen nicht vor.