Schwerbehinderung: Harte Realität für Erben – Merkzeichen erlischt sofort – LSG entscheidet

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Der LSG-Beschluss vom 6. Mai 2024 stellt klar: Das Merkzeichen „Bl“ erlischt mit dem Tod des behinderten Menschen. Hinterbliebene können den Anspruch nicht weiterverfolgen – selbst wenn eine Vorsorgevollmacht vorliegt.

Für ratsuchende Schwerbehinderte liefert das Urteil eine ernüchternde Botschaft und zeigt Schwachstellen im deutschen Behindertenrecht auf.

Urteil stoppt Anspruch über den Tod hinaus

Der Sohn einer 2023 gestorbenen Rentnerin wollte gerichtlich feststellen lassen, dass seine Mutter zu Lebzeiten die Voraussetzungen für das Merkzeichen „Bl“ erfüllt hatte. Das Sozialgericht Freiburg wies die Klage im März ab.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Az. L 12 SB 1182/24) bestätigte diese Entscheidung nun in zweiter Instanz: Ein Grad der Behinderung ist ein höchstpersönliches Recht. Es geht nicht auf Erben über, egal welche Vollmacht vorliegt.

Merkzeichen „Bl“ – mehr als Freifahrt im Nahverkehr

Das Merkzeichen „Bl“ macht den Alltag blinder Menschen deutlich günstiger, denn es erlaubt ihnen, Bus und Bahn kostenfrei zu nutzen, befreit sie vom Rundfunkbeitrag, senkt ihre Steuerlast um bis zu 4.514 Euro pro Jahr und ermöglicht es einer Begleitperson, ohne Ticket mitzureisen.

Fehlt jedoch die amtliche Feststellung, bleiben all diese Vorteile verwehrt – ein Grund, warum viele Betroffene jahrelang um das begehrte Kürzel kämpfen.

Warum das Gericht die Klage abwies

Die Richter argumentierten knapp: Mit dem Tod enden Ansprüche nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch. Eine Erb- oder Vollmachtsregel hebt das nicht auf. Der Sohn habe sich zwar formell beschwert – mehr aber auch nicht. Damit stützte das LSG die ältere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

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Konsequenzen für Betroffene

Schwerbehinderte sollten stets die laufenden Fristen im Auge behalten und noch zu Lebzeiten fristgerecht Widerspruch oder Klage einreichen. Eine Vorsorge- oder Prozessvollmacht schützt dabei nur eingeschränkt:

Bevollmächtigte können das Verfahren zwar weiterführen, solange der Betroffene lebt, doch mit dessen Tod erlischt jeder Anspruch. Ebenso ratsam ist es, ärztliche Gutachten frühzeitig zu sichern, denn je solider die Beweislage bereits zu Lebzeiten ist, desto schneller trifft die Behörde eine Entscheidung.

Kritik: System bestraft die Schwächsten

Selbst schwer sehbehinderte Menschen müssen Behördenwege und Klagen bewältigen – oft ohne rechtliche Hilfe. Stirbt der Antragsteller mitten im Verfahren, gehen Familie und Pflegepersonal leer aus. Sozialverbände werfen dem Gesetzgeber vor, dadurch Einsparungen „durch die Hintertür“ zu erzielen, statt echte Teilhabe zu fördern.

So können Sie Ihre Rechte sichern

  1. Antrag früh stellen. Sobald die Diagnose vorliegt, vereinbaren Sie einen Termin beim Versorgungsamt .
  2. Dokumentation sammeln. Befunde, Augenarztberichte, Rehabriefe; alles in Kopie aufbewahren.
  3. Fristgerechter Widerspruch. Innerhalb eines Monats schriftlich einlegen, am besten per Einwurfeinschreiben.
  4. Beratung nutzen. VdK, SoVD und örtliche Blindenverbände begleiten Mitglieder bis vor Gericht.

Einordnung: Ein Schritt zurück für Teilhabe?

Das Urteil schafft Klarheit, aber keine Gerechtigkeit. Wer den Behördenmarathon gesund nicht schafft, bleibt von Nachteilsausgleichen ausgeschlossen. Für Angehörige bedeutet das: Solange der Gesetzgeber das nicht ändert, endet jeder Anspruch mit dem letzten Atemzug.

Die Entscheidung verstärkt den Ruf nach einfacheren und digitaleren Verfahren, damit Betroffene ihre Rechte noch zu Lebzeiten durchsetzen können.