Zwangsarbeit ohne Lohn in Großbritannien

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Wie Workfare Menschen ausbeutet und Arbeitsplätze vernichtet

14.08.2012

In Großbritannien müssen Erwerbslose ohne Lohn arbeiten und das teilweise über Jahre hinweg. Wer sich weigert, bekommt kein Arbeitslosengeld mehr. Dass „Workfare“ angeblich keine Zwangsarbeit ist, diese Ansicht vertrat nunmehr ein britisches Gericht. Die englische Regierung hingegen begrüßte das Urteil und verhöhnte die Kläger als „faule Menschen, die nicht arbeiten wollen“.

Arbeiten ohne Lohn
Bei der Konzipierung der Hartz IV Gesetze orientierten sich die Macher an dem englischen Workfare-Modell. Während hierzulande Hartz IV Betroffene für ebenfalls zu kritisierende sogenannte Arbeitsgelegenheiten (wenigstens) eine Aufwandsentschädigung von ein bis zwei Euro in der Stunde erhalten, müssen Arbeitslose in England gänzlich ohne zusätzlicher Entlohnungen schuften. Zwei Erwerbslose, eine heutige Studentin und ein ehemaliger Lastwagenfahrer, hatten gegen das Modell „Workfare“ der britischen Regierung geklagt. Beide mussten über ein halbes Jahr in Vollzeit ohne Lohn arbeiten.

Die Betroffenen beriefen sich in ihrer Klage auf die europäischen Menschenrechtskonventionen und auf das geltende britische Recht, dass eigentlich Zwangsarbeit verbietet. Obwohl Erwerbslose zwangsweise arbeiten müssen, weil ihnen ansonsten die Sozialleistungen komplett gestrichen werden, schmetterte das Gericht die Klage ab. „Workfare“ sei „mit der Zwangsarbeit aus Zeiten der kolonialer Herrschaft nicht vergleichbar“, lautet die Antwort der Richter. Sogleich freute sich Großbritanniens Arbeits- und Rentenminister Ian Duncan Smith über das ergangene Urteil und posaunte: „Jene, die sich gegen unsere neuen Maßnahmen wehren, sind nur faule Menschen, die nicht hart arbeiten wollen“.

Regale einsortieren und Putzen
Die heutige Studentin und ehemalige Erwerbslose wurde zur Zeit ihrer Arbeitslosigkeit dazu verdonnert, in einem Geschäft der „Poundlands-Kette“ Regale einzuräumen und Putzarbeiten zu erledigen. Der Konzern „Poundland“ hätte mit Sicherheit keine Schwierigkeiten gehabt, die Erwerbslose für ihre Tätigkeiten zu entlohnen. Denn allein im Jahre 2010 konnte das Unternehmen umgerechnet 27,6 Millionen Euro allein aus der Beschäftigung von prekär Beschäftigten Profit erwirtschaften. Anscheinend ist der Durst nach noch mehr Umsatz nicht gestillt, weshalb das Unternehmen mehr und mehr auf „Workfare-Mitarbeiter“ zurückgreift, die völlig ohne Entlohnung arbeiten müssen. Obendrein entledigt sich das Unternehmen ihrer schlecht bezahlten Angestellten und fordert immer mehr Arbeitslose zum Zwangsdienst an.

Der zweite Kläger, eine ehemaliger Kraftfahrer, weigerte sich eine derartige Zwangsarbeitsstelle anzunehmen. Er sollte nach dem Willen der Arbeitslosenbehörde Möbel waschen. Daraufhin wurde ihm das Arbeitslosengeld gestrichen.

Über eine Million Menschen in Großbritannien betroffen
Nach Angaben britischer Erwerbslosengruppen sind in Großbritannien rund eine Million Menschen von dem Zwangsprogramm betroffen. Allein das sogenannte „Community Action ­Programm“ zwingt über 500.000 Menschen zu Arbeitstätigkeiten ohne Lohn. Finanziert und betreut werden derartige Programme nicht etwa vom Staat selbst, sondern von den Konzernen. Ein weiteres Privat-Programm mit dem Titel „Action for Employment“ beschäftigt rund 114.000 Erwerbslose. Doch nicht einmal die mit dem Staat vereinbarte Vermittlungsrate in Lohn und Brot von minimalen fünf Prozent kann das Programm einhalten. Gerade einmal 3,5 Prozent der Betroffenen werden vermittelt und das meist auch nur in zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse.

Auch eine vom Staat beauftragte Studie kam zu dem Ergebnis, dass Workfare nicht funktioniert. So resümierten die Forscher: „Workfare ist nicht effektiv und hindert Menschen teilweise sogar an der Arbeitssuche, da sie Zeit für die Maßnahmen aufwenden müssen. Workfare funktioniert am wenigsten in Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt schwach und die Massenarbeitslosigkeit hoch ist.“

Workfare vernichtet Arbeitsplätze
Auch Gefängnisinsassen werden mittlerweile zu den Arbeiten herangezogen. Eine Haftanstalt in Wales „vermietete“ Insassen zu einem Stundenlohn von geradeeinmal drei Euro an ein Callcenter mit der Folge, dass ein Großteil der Angestellten ihren Job verloren. Auch die Gefangenen bekamen keine Geld für ihre Arbeitsleistungen. Die Gewerkschaft "UNITE" sprach in diesem Zusammenhang von einem „ungeheuerlichen und besorgniserregenden Vorgang“.

Einzig und allein der Umstand, dass die Arbeitslosenbehörden nicht klar erkennbar machen, dass bei einer Weigerung des Antritts einer Workfare-Maßnahme das Arbeitslosengeld gestrichen wird, beanstandeten die Richter. Rechtsanwälte folgerten nun daraus, dass mehrere Zehntausende Sanktionierte die einbehaltenen Gelder zurückfordern können. Nur aus diesem Grund ging die britische Regierung in Revision, weshalb die beiden Fälle in einer nächstfolgenden Instanz erneut verhandelt werden. (sb)

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