Es gibt in Deutschland keine starre Obergrenze an โerlaubtenโ Krankheitstagen. “Wer krank ist und arbeitsunfรคhig geschrieben wird, fehlt so lange, wie die Arbeitsunfรคhigkeit besteht”, sagt der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt..Denn rechtlich entscheidend sind “nicht Zรคhlgrenzen, sondern Ansprรผche und Pflichten โ etwa die Lohnfortzahlung, das Krankengeld, das betriebliche Eingliederungsmanagement und, im รคuรersten Fall, die Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kรผndigung”, so Anhalt weiter.
Entgeltfortzahlung: Sechs Wochen je Erkrankung โ und wann die Uhr wieder auf Null steht
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben gegenรผber dem Arbeitgeber Anspruch auf Entgeltfortzahlung fรผr bis zu sechs Wochen pro derselben Erkrankung. Handelt es sich um eine neue, nicht ursรคchlich zusammenhรคngende Krankheit oder liegen bestimmte zeitliche Abstรคnde vor, beginnt dieser Sechs-Wochen-Zeitraum erneut. Maรgeblich ist ยง 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).
Danach greift die Kasse: Krankengeld in der โBlockfristโ
Endet die Lohnfortzahlung, springt โ bei gesetzlich Versicherten โ das Krankengeld ein. Es wird fรผr maximal 72 Wochen innerhalb von drei Jahren wegen derselben Krankheit gezahlt; tritt wรคhrend der bestehenden Arbeitsunfรคhigkeit eine weitere Krankheit hinzu, verlรคngert das die Maximaldauer nicht. Juristische Grundlage ist ยง 48 SGB V.
Kein Limit, aber Konsequenzen: Wann Krankheit kรผndigungsrechtlich relevant wird
Krankheit an sich ist kein Kรผndigungsgrund. Eine ordentliche Kรผndigung wegen Krankheit ist nur unter engen Voraussetzungen wirksam. Die Rechtsprechung verlangt drei Prรผfsteine: negative Gesundheitsprognose, erhebliche betriebliche Beeintrรคchtigung (z. B. Stรถrungen im Ablauf oder erhebliche Entgeltfortzahlungskosten) und eine Interessenabwรคgung zugunsten des Arbeitgebers; mildere Mittel mรผssen vorher ausscheiden. “Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte diese Stufen รผber Jahre prรคzisiert”, bestรคtigt Anhalt.
Langandauernde Erkrankung: Was Gerichte typischerweise prรผfen
Bei einer lรคngeren, zusammenhรคngenden Erkrankung kommt es darauf an, ob in absehbarer Zeit mit der Wiederherstellung der Arbeitsfรคhigkeit zu rechnen ist. Fehlt diese Perspektive und entstehen zugleich erhebliche betriebliche Belastungen, kann eine krankheitsbedingte Kรผndigung im Einzelfall Bestand haben.
“In der Praxis spielt zudem eine Rolle, ob in den vergangenen Jahren wiederholt lรคngere Ausfallzeiten anfielen; die Gerichte wรผrdigen dann Prognose, Belastungen und mรถgliche Alternativen, etwa eine leidensgerechte Umsetzung”, so Anhalt.
Hรคufige Kurzerkrankungen: Warum sie arbeitsrechtlich heikel sein kรถnnen
Mehrfach kurze Ausfรคlle โ etwa einzelne Tage rund ums Wochenende oder nach dem Urlaub โ belasten Betriebe organisatorisch oft stรคrker als ein langer, planbarer Ausfall. Fรผr eine Kรผndigung genรผgt das allein nicht; nรถtig ist auch hier eine negative Prognose, wonach mit weiteren Kurzerkrankungen in vergleichbarem Umfang zu rechnen ist.
“Als Indiz dienen รผberdurchschnittliche Fehlzeiten der Vergangenheit; in der Rechtsprechung wird insbesondere darauf abgestellt, wenn Beschรคftigte in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren jeweils mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt fehlten und dadurch erhebliche Stรถrungen bzw. Kosten entstanden”, bestรคtigt der Sozialrechtsexperte.
Pflicht zum betrieblichen Eingliederungsmanagement: Der strukturierte Suchprozess
Spรคtestens wenn Beschรคftigte innerhalb eines Jahres lรคnger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfรคhig sind, muss der Arbeitgeber mit Zustimmung der betroffenen Person ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten.
Ziel ist dann, Wege zu finden, Arbeitsfรคhigkeit zu stabilisieren und erneuter Arbeitsunfรคhigkeit vorzubeugen โ etwa durch Anpassungen des Arbeitsplatzes, Qualifizierung oder stufenweise Wiedereingliederung. Das ergibt sich direkt aus ยง 167 Abs. 2 SGB IX; Behรถrden- und Fachinformationen betonen den verpflichtenden Charakter des BEM.
Was das fรผr Beschรคftigte praktisch bedeutet
Die oft gestellte Frage โWie viele Krankheitstage sind erlaubt?โ verkennt die Systematik: “Es gibt keine pauschale Obergrenze, die jenseits eines bestimmten Werts automatisch Sanktionen nach sich zieht”, sagt auch der Rechtsanwalt und Fachanwalt fรผr Arbeitsrecht, Christian Lange gegenรผber “Gegen-Hartz”..
Entscheidend sind Art, Dauer und Hรคufigkeit der Erkrankungen, die gesundheitliche Prognose, die betrieblichen Auswirkungen und ob mildere Mittel โ insbesondere ein ordentlich durchgefรผhrtes BEM โ zur Verfรผgung stehen.
“Wer wiederholt oder lรคnger erkrankt, sollte Atteste, Therapieverlรคufe und รคrztliche Einschรคtzungen geordnet dokumentieren und sich beim BEM konstruktiv einbringen; genau solche Unterlagen sind im Streitfall wichtig, um eine negative Prognose zu entkrรคften”, so der Arbeitsrechler weiter.
Und wenn doch gekรผndigt wird?
Gegen eine Kรผndigung kann man sich nur binnen drei Wochen ab Zugang der schriftlichen Erklรคrung mit einer Kรผndigungsschutzklage wehren. Wer diese Frist versรคumt, riskiert, dass die Kรผndigung โ selbst wenn sie eigentlich unwirksam wรคre โ als wirksam gilt (Wirksamkeitsfiktion). Rechtsgrundlage ist ยง 4 KSchG. Dann ist es nur noch in seltenen Ausnahmefรคllen mรถglich, eine Abfindung zu erwirken, mahnt der Anwalt.
Fazit
Gesundheit lรคsst sich nicht in โzulรคssigeโ Tage pressen. Das deutsche Arbeitsrecht stellt nicht auf starre Limits ab, sondern auf Anspruchssysteme (Lohnfortzahlung, Krankengeld) und โ nur im Ausnahmefall โ auf strenge Voraussetzungen fรผr eine krankheitsbedingte Kรผndigung.
Wer betroffen ist, sollte medizinische Behandlung und arbeitsrechtliche Schutzmechanismen zusammendenken: frรผh klรคren, BEM nutzen, Prognosen verbessern โ und im Konfliktfall rasch rechtliche Schritte prรผfen. So wird aus einer falschen Medienfrage die richtige Perspektive auf Rechte, Pflichten und echte Lรถsungen.




