Ein Fallbeispiel aus der Praxis zeigt, wie kompliziert die Entscheidung zwischen vorgezogener Altersrente und Arbeitslosengeld I sein kann. Die Antwort wird allerdings viele รผberraschen.
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Ausgangslage: Ein pfiffiger Plan mit Haken
Christian, Jahrgang 1962, hat seinem Arbeitgeber zum 30. Juni 2025 gekรผndigt. Sein Ziel: Am 1. Juli 2025 โ ein Jahr vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze โ in den Ruhestand zu wechseln.
Weil ihm acht der geforderten 45 Versicherungsjahre fehlen, kann er nur die โAltersrente fรผr langjรคhrig Versicherteโ in Anspruch nehmen, sie aber frรผhestens mit einem Abschlag in Hรถhe von 3,6 Prozent.
Gedanklich rechnet Christian schon weiter: Er hat jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt, war aber nie arbeitslos. Kรถnnte er also zusรคtzlich zur gekรผrzten Rente noch Arbeitslosengeld I beziehen und so sein Alterseinkommen aufbessern?
Die Rechtslage: Ruhen des Anspruchs bei Vollrente
Wer eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht, verliert fรผr dieselbe Zeit faktisch den Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Das regelt ยง 153 Abs. 1 SGB III: Der Anspruch ruht, solange eine Altersrente gezahlt wird. Eine Doppelleistung aus Rentenkasse und Arbeitsagentur ist damit ausgeschlossen โ auch wenn jahrzehntelang Beitrรคge in beide Versicherungszweige geflossen sind.
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Teilrente als vermeintliche Hintertรผr
Christian gibt nicht auf. Ihm ist zu Ohren gekommen, dass Teilrentner unter Umstรคnden Arbeitslosengeld erhalten kรถnnen.
Tatsรคchlich enthรคlt ยง 155 Abs. 2 SGB III eine Sonderregel: Wer mindestens sechs Monate lang gleichzeitig eine Teilrente und eine versicherungspflichtige Beschรคftigung ausgeรผbt hat, kann bei anschlieรender Arbeitslosigkeit fรผr drei Monate Arbeitslosengeld I beziehen. Doch Christians Realitรคt sieht anders aus.
Er wรผrde die Teilrente erst nach Ende seines Arbeitsvertrags beantragen und erfรผllte damit nicht die sechsmonatige Parallelphase.
Zudem verhรคngt die Agentur fรผr Arbeit nach einer Eigenkรผndigung regelmรครig eine 12-wรถchige Sperrzeit. Selbst wenn die Sonderregel gegriffen hรคtte, liefen drei Monate Anspruch ins Leere, weil sie mit der Sperrzeit vollstรคndig kollidieren wรผrden.
Sperrzeit und Anspruchsverkรผrzung
Die Sperrzeit ist mehr als ein bloรes temporรคres Leistungsloch. ยง 148 Abs. 1 Nr. 4 SGB III kรผrzt den maximalen Bezugszeitraum um ein Viertel, wenn eine Sperrzeit festgestellt wird.
Bei Versicherten ab 58 Jahren reduziert sich die sonst mรถgliche Anspruchsdauer von 24 auf 18 Monate. Damit schrumpft der theoretisch lรคngste ALG-I-Bezug nach Eigenkรผndigung spรผrbar, was die Attraktivitรคt des Modells weiter mindert.
Alternative Strategie: Rente aufschieben, Arbeitslosengeld kassieren
Bleibt die Option, auf die vorgezogene Altersrente zu verzichten und sich stattdessen arbeitslos zu melden. Dann erhรคlt Christian nach der 12-wรถchigen Sperrzeit regulรคres Arbeitslosengeld I โ in seinem Fall bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze neun Monate lang.
Dieser Weg lohnt sich nur, wenn das Arbeitslosengeld hรถher ausfรคllt als die vorgezogene Rente und wenn man bereit ist, drei Monate ohne Leistung zu รผberbrรผcken.
Im Fallbeispiel bringt das Arbeitslosengeld 2 000 Euro monatlich, die vorgezogene Rente dagegen lediglich 1 500 Euro.
Finanzielle Gleichheit herrscht zwar erst nach zwรถlf Monaten, doch das Arbeitslosengeld bewirkt zusรคtzlich zweierlei: Die Arbeitsagentur zahlt weiterhin Pflichtbeitrรคge an die Rentenversicherung, und Christian vermeidet den lebenslangen Abschlag von 3,6 Prozent. Zum regulรคren Rentenbeginn lรคge seine Monatsrente damit bei rund 1 580 Euro โ dauerhaft rund 80 Euro mehr.
Vermittlungsdruck bleibt
Der Bezug von Arbeitslosengeld I ist indes kein Gutschein fรผr einen geruhsamen Vorruhestand. Alg-I-Empfรคnger mรผssen der Arbeitsvermittlung zur Verfรผgung stehen, Bewerbungen schreiben und zumutbare Stellenangebote ernsthaft prรผfen.
In der Praxis hรคlt sich der Vermittlungsdruck bei รผber 63-Jรคhrigen zwar meist in Grenzen, ganz entziehen kann man sich den Pflichten aber nicht, ohne eine Leistungskรผrzung zu riskieren.
Abwรคgung statt Patentlรถsung
Ob Christians Kalkรผl aufgeht, hรคngt somit von mehreren Variablen ab: der Hรถhe des persรถnlichen Arbeitslosengelds, der Differenz zur vorgezogenen Rente, der Dauer bis zur Regelaltersgrenze und der Bereitschaft, die Sperrzeit finanziell zu รผberbrรผcken und die Vermittlungsbemรผhungen zu erfรผllen.
Wer den ALG-I-Weg wรคhlt, profitiert in vielen Konstellationen von einem hรถheren Gesamteinkommen wรคhrend der รbergangsphase und einer spรคteren, abschlagsfreien Rente.
Umgekehrt ersetzt die vorgezogene Rente ab dem ersten Monat ein dauerhaft gesichertes Einkommen, ohne dass Pflichten gegenรผber der Arbeitsagentur bestehen.
Falsch ist nur eines: Die Annahme, man kรถnne beliebig Arbeitslosengeld neben einer Voll- oder Teilrente kassieren. Hier setzt das
Sozialrecht klare Grenzen. Deshalb empfiehlt es sich, vor einer Kรผndigung fachkundigen Rat einzuholen, die eigenen Versicherungszeiten und Renteninformationen zu prรผfen und verschiedene Szenarien durchzurechnen. Denn so pfiffig eine Idee auch klingen mag โ in der Praxis entscheidet oft eine Detailvorschrift darรผber, ob sie zu einem echten Plus oder zu einem bรถsen Erwachen fรผhrt.