Umgangskinder bedeuten Kosten, für Hartz IV-Bezieher (k)ein Problem

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Wenn Eltern getrennt leben und beide Elternteile regelmäßig Zeit mit den minderjährigen Kindern verbringen, dann bilden (beide) leistungensbeziehende Elternteile mit den Kindern eine “temporäre” Bedarfsgemeinschaft. Das bedeutet, dass die Kinder in der Zeit in der sie bei dem jeweiligen Elternteil sind, zu dessen Bedarfsgemeinschaft gehören.

Beispiel: Jan und Lara haben sich getrennt. Die beiden Kinder Kira(14) und Max(5) leben bei Lara. Die Kinder kommen im Rahmen des Umgangs jedes zweite Wochenende und die Hälfte der Ferien zu Jan. Jan bildet zu den Umgangszeiten mit den Kindern eine 3er-Bedarfsgemeinschaft.

Eine temporäre Bedarfsgemeinschaft entsteht bei Umgangsaufenthalten bei Elternteilen, aber auch bei Heimfahrten von Kindern, die in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind.

Anteiliger Regelbedarf für die Kinder

Grundsätzlich gilt die einfache Formel:

 Hartz IV-Regelbedarf + Mehrbedarf des Kindes / 30 Tage x Aufenthaltstage = Anteiliger Regelbedarf

Wenn der umgangsberechtigte Elternteil anteilige Regelbedarfe erhält, werden diese dem anderen Elternteil abgezogen, wenn das Kind dort auch als Teil der Bedarfsgemeinschaft Jobcenter-Leistungen bezieht. Ist das Kind dort nicht im Bezug, kann ihm nichts abgezogen werden.

Dabei ergibt sich aber die komplizierte Frage, welche Tage als Aufenthaltstage gewertet werden, wenn das Kind teilweise bei beiden Elternteilen war. Dazu gibt es in der fachlichen Weisung zur temporären Bedarfsgemeinschaft (arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-i) folgende Grafik:

Ablaufschema zur Prüfung der Anwesenheitszeiten
Quelle: Fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zur Temporären Bedarfsgemeinschaft Abrufbar unter: https://arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-ii_ba014177.pdf

Einvernehmliche Erklärung

Vorrangig ist immer die Frage, ob die getrenntlebenden Elternteile eine einvernehmliche Aufteilungserklärung abgegeben haben. Diese kann auch pauschal erfolgen.

Diese Erklärung könnte lauten:


Aufteilungserklärung

Hiermit erklären wir, … und … als Eltern von … einvernehmlich, dass im Rahmen der temporären Bedarfsgemeinschaft monatlich … Tage bei der Mutter und … Tage beim Vater angerechnet werden sollen.

Datum, beide Unterschriften

Die einvernehmlich Aufteilungserklärung kann aber auch wesentlich differenzierter oder monatlich erfolgen, als in diesem Muster. Das Jobcenter muss die Aufteilungserklärung dann so akzeptieren und hat keinen Anlass nachfragen zu stellen ob es auch real so war.

Die einvernehmliche Erklärung bietet sich insbesondere an, wenn nur ein Elternteil im Leistungsbezug ist. Dann können alle Tage, an denen auch nur minimaler Umgang war dem Umgangsberechtigten zugeordnet werden.

Ohne einvernehmliche Erklärung

Wird keine einvernehmliche Erklärung abgegeben, sondern es gibt Streit darüber, wem welche Tage zugeordnet werden, gibt es 2 verschiedene Lösungsansätze:

  • Die Rechtsprechung setzt 12 Stunden Aufenthalt bei einem Elternteil als Voraussetzung für das Vorliegen einer temporären BG an.
  • Die Fachliche Weisung der BA hingegen gibt den Tag der BG, in der sich das Kind an diesem Tag zuerst aufgehalten hat (Randnummer: TBG.11).

Diese Unsicherheit führt zu Konflikten, insbesondere wenn verschiedene Jobcenter beteiligt sind.

Für Tage, an denen ein Elternteil das Kind (teilweise) versorgt hat, für die er aber durch Zuordnung des Tages zum anderen Elternteil keinen Anspruch auf Regelbedarfsteile hatte, kommt ein Mehrbedarf nach §21 Abs6 SGB II in Betracht (BSG vom 14.12.2021 – B 14 AS 73/20 R).

Mehrbedarf, wenn Kinder bei beiden Elternteilen Leistungen beziehen

Für Tage, an denen ein Elternteil das Kind (teilweise) versorgt hat, für die er aber durch Zuordnung des Tages zum anderen Elternteil keinen Anspruch auf Regelbedarfsteile hatte, kommt ein Mehrbedarf nach §21 Abs6 SGB II in Betracht
(BSG vom 14.12.2021 – B 14 AS 73/20 R)

Beispiel Fortsetzung: Jan und Lara haben einvernehmlich erklärt, dass die Kinder monatlich 10 Tage bei Jan und 20 Tage bei Lara angerechnet werden sollen. Jan erhält 220,33€ anteiligen Regelbedarf:
Kira: 376€/30×10= 125,33€
Max: 285€/30×10= 95€
Beziehen die Kinder auch bei Lara Jobcenter-Leistungen, erhält sie 440,67€ anteilige Regelbedarfe:
Kira: 376€/30×20= 250,67€
Max: 285€/30×20= 190€
Beziehen die Kinder bei ihr keine Leistungen, kann nichts abgezogen werden.

Höhere Angemessenheit der Kosten der Unterkunft

Hier gibt es regionale Unterschiede Bei regelmäßigen längeren Aufenthalten der Kinder wenden viele Jobcenter die Regel “pro Kopf ein Zimmer” an.
Einige Jobcenter gewähren aber auch nur den Bedarf für eine “halbe Person”.
Das BSG (vom 29.8.2019 – B 14 AS 43/18 R) hat lediglich auf eine Einzelfallentscheidung verwiesen bei der folgende Faktoren berücksichtigt werden sollen:

  • Ausgestaltung (Regelmäßigkeit, Dauer)
  • Alter der Kinder
  • Lebens- und Wohnsituation des Umgangsberechtigten

Anspruch auf Bildung und Teilhabe

Haben die Kinder beim anderen Elternteil keinen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen, da dieser keine Leistungen bezieht, die zu einem Anspruch führen, entsteht dieser durch die temporäre Bedarfsgemeinschaft mit dem umgangsberechtigten Elternteil.
Das hat zur Folge, dass dann Schülerticket, Schulessen, Ausflüge, Klassenfahrten, Nachhilfe, Schulbedarfspaket und 15€-Teilhabeleistung gezahlt werden.

Berücksichtigung beim Wohnberechtigungsschein (WBS)

Sucht der arme umgangsberechtigte Elternteil eine Wohnung, spielt der WBS für Sozialwohnungen eine wichtige Rolle. Umgangskinder werden bei regelmäßigem Aufenthalt berücksichtigt.

Dadurch haben die umgangsberechtigten Elternteile Anspruch auf eine Wohnung, die für die Ausübung des Umgangsrechts geeignet ist und daher mehr Zimmer hat und größer ist. (VG München 21.5.2015 – M 12 K 15.184)

Vorläufige Bewilligung

Bei einer temporärer Bedarfsgemeinschaft wird immer vorläufig (nach §41a SGB II) auf Basis einer Schätzung bewilligt, da der reale Anspruch aufgrund von zusätzlichen oder ausfallenden Umgangsterminen, noch nicht feststeht.

Die vorläufige Bewilligung hat zur Folge, dass der Bewilligungszeitraum nicht wie normal 1 Jahr, sondern nur 6 Monate lang ist (§41 Abs3 SGB II). Wer daher diese Ansprüche geltend macht, muss damit rechnen, halbjährlich einen Weiterbewilligungsantrag stellen zu müssen.

Bei der vorläufigen Bewilligung wegen temporärer Bedarfsgemeinschaft gibt es aber eine Besonderheit: Eine abschließende Entscheidung über die zeitliche Aufteilung erfolgt nur auf Antrag, ohne wird der Bescheid nach einem Jahr endgültig. Fachliche Weisungen (TBG.7)

Beispiel Fortsetzung: Kira und Max waren aufgrund einer Erkrankung ihrer Mutter außerplanmäßig 2 Wochen bei Jan. Stellt er keinen Antrag erfolgt durch das JC keine Korrektur dieser Zeit auch nicht im Rahmen einer abschließenden Bewilligung.

Kein anteiliges Kindergeld

Es gibt immer wieder Sachbearbeiter, die bei einer temporären Bedarfsgemeinschaft auf die Idee kommen, anteilig Kindergeld zu berücksichtigen, obwohl dieses nicht weitergegeben wird. Da Kindergeld nicht aufgeteilt werden kann und auch nicht weitergeben werden muss, ist das Unsinn.

Rechtsgrundlagen

§38 Abs2 SGB II – Recht des Umgangsberechtigten Leistungen zu beantragen
§36 Abs1 S3 SGB II – Zuständigkeitsregelung

Fachliche Weisung der BA
arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-i

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