Hartz IV Studie: Unmenschliches Verhalten der Arge.
Bedrรผckende Studie zum Hartz IV-Alltag: Thomas Wagner, Dozent an der Fachhochschlue Dรผsseldorf im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften hat mit den Studenten die Praxis der Arge im Umgang mit den Hartz IV-Beziehern untersucht. Das bedrรผckende Ergebnis der Umfrage unter 251 Betroffenen fasst Wagner zusammen in: โWer nicht hรถren will, muss fรผhlenโ.
251 ALG-II-Betroffene befragt
Im Sommer hatten die Studenten von Professor Dr. Thomas Mรผnch aus dem Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften zusammen mit dem Dozenten Thomas Wagner vor der โArge Mitteโ an der Luisenstraรe in Dรผsseldorf die gรคngige Praxis im Umgang mit den ALG-II-Empfรคngern aufgenommen. 251 ALG-II-Empfรคnger wurden zu ihren persรถnlichen Erfahrungen mit der Arge befragt. Das Ergebnis wurde am vergangenen Freitag im Bรผro der Obdachlosenzeitung โFifty Fiftyโ im Rahmen einer Pressekonferenz offiziell vorgestellt. In der aktuellen Ausgaben der Straรenenzeitung erschien ein entsprechender Beitrag mit dem Titel โDu kommst da nie mehr rausโ.
Unmenschliches Verhalten der Arge
Den Umgang der Arge mit den ALG-II-Empfรคngern bezeichnete Wagner im Rahmen der Pressekonferenz als โunmenschlichโ und forderte als Konsequenz aus der Studie: โAuf Sanktionen muss verzichtet werden.โ Dass die Betroffenen der Macht der Geldverwalter in der Arbeitsagentur bzw. der Arge oft hilflos ausgesetzt sind, birgt besondere Risiken, denn auch die Sachbearbeiter sind nur Menschen und lassen sich allzu hรคufig von Gefรผhlen bzw. Sympathien oder Antpathien leiten. Auรerdem betonte Wagner, dass โder Sanktions-Mechanismus (โฆ) aus der schwรคrzesten pรคdagogischen Zeitโ stammt. โWer seine Unterlagen nicht rechtzeitig zusammen hat, bekommt grundsรคtzlich 30 Prozent fรผr drei Monate gekรผrzt. Es handelt sich dabei nicht um Einzelfรคlle. Jeder fรผnfte hat Kรผrzungen erlebtโ, erklรคrte der Fachmann die Ergebnisse der Untersuchung.
Von den Kรผrzungen sind zahlreiche ALG-II-Empfรคnger betroffen und nahezu jedem der Empfรคnger wurde mindestens einmal schon mit einer entsprechenden Strafe gedroht, auch wenn die Versรคumnisse noch so gering waren. Wenn die gleichen Maรstรคbe fรผr Versรคumnisse der Sachbearbeiter gelten wรผrden, kรถnnte wahrscheinlich keiner von ihnen mit vollem Gehalt nach Hause gehen. Besonders gravieren sind laut Wagner die Kรผrzungen fรผr โkumulative Vergehenโ, welche dazu fรผhren kรถnnen, dass manche โkomplett ohne Leistungen dastehen.โ Manche Betroffenen โunter 25 Jahren kรถnnen auch ohne Wohnung dastehenโ, ergรคnzte der Fachmann.
Strafe: Kein Bargeld und keine Lebensmittelgutscheine
So wurde bei einem der einschneidensten Vorfรคlle einer Frau in Not mit einem fรผnf Tage alten Sรคugling, weder finanzielle Hilfe noch die Unterstรผtzung mit Lebensmittelgutscheinen zugestanden. Als Thomas Giese von der Arbeitslosen-Initiative sich dem Problem annahm und den Sachbearbeiter zu Rede stellte, wurde rausgeworfen und von der Security zum Ausgang begleitet. Im Nachgang konnte er jedoch noch einen Vorgesetzten erreichen und so eine Barauszahlung an die junge Mutter veranlassen. Doch in den meisten Fรคllen ist jedoch kein entsprechender Fachmann verfรผgbar der den Betroffenen Unterstรผtzung anbietet, so dass ALG-II-Empfรคnger oft erhebliche Kรผrzungen ihres ohnehin kaum ausreichenden Einkommens von 359,- Euro hinnehmen mรผssen. Auch werden bisweilen durch Sanktionen gegen Jugendliche rechtswidrig Gelder fรผr ganze Familien gekรผrzt, erklรคrte Wagner die jetztige Auswertung der Untersuchungsergebnisse.
Schรถnfรคrberei in Bundestagsdebatten
Der Streetworker von โFifty Fiftyโ, Oliver Ongaro bezeichnete das ganze System als โrealitรคtsfernโ und stemmt sich gegen das wiederaufleben des alten Trends, Hartz-IV-Bezieher als arbeitsfaul โaus der Gesellschaft rauskegeln zu wollenโ. Auch wenn im Rahmen der Untersuchung nicht weiter auf die groรzรผgige Erhรถhung des ALG-II-Regelsatz durch die schwarz-gelbe Bundesregierun nicht weiter eingegangen wird, bezeichnet Ongaro sie an dieser Stelle noch einmal als blanken โHohn!โ Dass sich mit der Neuregelung fรผr die Betroffenen und ihre Kinder nichts geรคndert hat, weiร auch Holger Kirchhรถfer vom Initiativkreis Armut. โFรผr die Betroffenen, besonders fรผr Kinder in Armut, hat sich nichts geรคndert. Es funktioniert einfach nichtโ, betonte der Fachmann und wendet sich mit diesen Worten auch gegen die Schรถnfรคrbereien in den aktuellen Bundestagsdebatten.
Verzicht auf Hartz IV Sanktionen wรคre angebracht
Als wesentliche Erkenntnisse der Untersuchung des Umgangs der Arge mit den ALG-II-Empfรคngern durch die Studenten, lassen sich folgende Punkte zusammenfassen: Die Betroffenen werden hรคufig in perspektivlose Ein-Euro-Jobs oder sinnfreie Qualifizierungsmaรnahmen vermittelt, ihnen werden auch bei kleinen Versรคumnissen die Leistungen in 30-Prozent-Schritten gekรผrzt, die Kรผrzungen treiben die Arbeitslosen tiefer in die finanzielle Not und Verschuldung und sie kรถnnen sich rechtlich kaum gegen die Maรnahmen der Behรถrden wehren. Dies sei ein โunmenschlichesโ Verhalten, das dringend abgeschafft werden muss so dass Fazit aller Beteiligten und Wagner ergรคnzte: โAuf Sanktionen muss verzichtet werden. Aus der strafenden Behรถrde muss eine fรถrdernde Institution werden. Auch Kinder mรผssen den vollen Satz des Arbeitslosengeldes II bekommen.โ
Sachbearbeiter in den Hartz IV Behรถrden sitzen am lรคngeren Hebel
So hat die Untersuchung der Studenten festgestellt, was die meisten ALG-II-Empfรคnger schon wussten: der Umgang mit der Arge ist bisweilen รคuรerst schwierig und im Zweifel sitzen die Sachbearbeiter stets am lรคngeren Hebel. Da sie sich ihrer Verantwortung gegenรผber dem einzelnene Arbeitslosen anscheinend manchmal nicht bewusst sind und auch auf den Sachbearbeitern ein hoher Leistungsdruck lastet, werden gelegentlich รคuรerst fragwรผrdige Entscheidungen getroffen, die einen unverhรคltnismรครigen Einschnitt in das Leben der ALG-II-Empfรคnger darstellen. Insbesondere wenn auch Kinder mit im Spiel sind, wรคre hier eine hรถhere Sensibilitรคt wรผnschenswert. Thomas Wagner will seine Studenten auch weiterhin in derartigen Untersuchungen mit der Sozialstaatspraxis konfrontieren und hofft damit einen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Umgangs der Behรถrden mit den Betroffenen zu leisten. (01.11.2010, fp)
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