Trotz klarer gesetzlicher Regelungen erhalten viele Menschen mit erheblichen Mobilitätseinschränkungen keinen Parkausweis. Die Praxis der Versorgungsämter steht in der Kritik, da die Bewertung oft schematisch erfolgt und individuelle Bedürfnisse unberücksichtigt bleiben.
Voraussetzungen für einen Behindertenparkausweis
Ein Behindertenparkausweis wird in Deutschland nach strengen Kriterien vergeben. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt sein:
- Der Antragsteller muss das Merkzeichen “aG” (außergewöhnlich gehbehindert) oder “Bl” (blind) im Schwerbehindertenausweis haben.
- Die Gehbehinderung muss so stark ausgeprägt sein, dass selbst kurze Strecken nur unter erheblichen Anstrengungen oder gar nicht bewältigt werden können.
- Ein GdB (Grad der Behinderung) von mindestens 80 in Verbindung mit Mobilitätseinschränkungen ist oft erforderlich.
- Seit 2009 gibt es Ausnahmeregelungen für Personen mit bestimmten Erkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, wenn diese mit massiven Einschränkungen der Gehfunktion verbunden sind.
Es gibt verschiedene Arten von Parkausweisen
Der blaue EU-Parkausweis gilt in allen EU-Staaten und ermöglicht das Parken auf ausgewiesenen Behindertenparkplätzen. Der orange Parkausweis hingegen ist ausschließlich in Deutschland gültig und erlaubt das Parken in bestimmten Ausnahmesituationen, beispielsweise in Fußgängerzonen oder mit Zeitverlängerung in eingeschränkten Halteverbotszonen.
Zusätzlich existiert in einigen Bundesländern ein weißer Parkausweis mit Kennzeichnung, der spezielle Sonderregelungen für bestimmte Gruppen vorsieht.
Fallbeispiel: Multiple Sklerose als unzureichendes Kriterium?
Helga Sander leidet an Multipler Sklerose (MS), einer Erkrankung, die ihr das Gehen erheblich erschwert. Selbst wenige Meter stellen für sie eine Herausforderung dar. Trotz ihrer Einschränkungen wurde ihr das Merkzeichen “aG” nicht zugesprochen. Laut Gesetz müssen Betroffene sich “dauernd nur mit großer Anstrengung bewegen können” und einen Grad der Behinderung von mindestens 80 haben.
Doch die Praxis zeigt: Ohne Rollstuhl oder Amputation bestehen kaum Chancen auf Anerkennung.
Die Folge: Sander bleibt der Zugang zu Behindertenparkplätzen verwehrt. Für sie bedeutet das eine massive Einschränkung der Selbstständigkeit. Einkäufe, Arztbesuche oder Freizeitaktivitäten werden zur logistischen Herausforderung. Ein Widerspruchsverfahren gegen das Versorgungsamt Bremen soll nun Klärung bringen.
Fallbeispiel: Rollstuhlfahrer ohne Parkausweis?
Noch drastischer gestaltet sich der Fall von Stefan Weigel, der an Polyneuropathie leidet. Seine Gehstrecke ist auf wenige Meter begrenzt, er ist auf einen Rollstuhl und eine Begleitperson angewiesen. Dennoch wurde ihm der Behindertenparkausweis verweigert. Begründung: Die Kriterien für das Merkzeichen “aG” seien nicht erfüllt.
Besonders absurd erscheint die Entscheidung vor dem Hintergrund der Praxis im Alltag: Bei einem Stadtbesuch zeigt sich, dass er reguläre Parkplätze nicht nutzen kann, da er den Rollstuhl neben das Auto stellen muss. Als ein Nachbarfahrzeug den einzigen freien Platz neben ihm belegt, ist ein Ein- oder Aussteigen unmöglich.
Nach intensiver Konfrontation mit den zuständigen Behörden deutet sich eine Wende an: Das Landessozialamt erklärt sich bereit, eine erneute Begutachtung durchzuführen. Weigel stellt einen neuen Antrag.
Kritik an der Praxis der Versorgungsämter
Die aktuelle Vergabepraxis von Behindertenparkausweisen steht seit Jahren in der Kritik. Fachleute wie Andrea Sabellek von einer Bremer Beratungsstelle für Menschen mit Behinderung fordern eine differenziertere Betrachtung: “Es geht nicht um eine starre Gehstreckenregelung, sondern um die individuelle Einschränkung. Die Versorgungsämter müssen prüfen, wie mühsam es für den Einzelnen ist, sich außerhalb eines Fahrzeugs fortzubewegen.”
Auch die Praxis, dass medizinische Gutachter Betroffene oft nicht persönlich untersuchen, sondern allein auf Aktenlage entscheiden, stößt auf Unverständnis. Gerade bei komplexen neurologischen Erkrankungen wie MS oder Polyneuropathie können Akten allein nicht das volle Bild der Einschränkungen vermitteln.
Behindertenparkausweise: Notwendige Reformen und Lösungsansätze
Um eine gerechtere Vergabe von Behindertenparkausweisen zu gewährleisten, bedarf es struktureller Reformen. Die individuellen Einschränkungen der Betroffenen müssen stärker in den Fokus rücken, anstatt ausschließlich auf starre Kriterien zu setzen.
Eine verpflichtende persönliche Begutachtung wäre essenziell, um eine objektive und gerechte Bewertung zu gewährleisten, denn Entscheidungen dürfen nicht ausschließlich auf Basis von Akten getroffen werden. Zudem sollten auch nicht sichtbare Behinderungen, insbesondere neurologische und chronische Erkrankungen, stärker anerkannt werden.
Damit Betroffene schneller zu ihrem Recht kommen, müssten die Widerspruchsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Zusätzlich besteht ein großes Problem in der uneinheitlichen Regelung der Vergabepraxis in Deutschland. Die unterschiedlichen Vorgaben in den Bundesländern führen zu Ungleichbehandlungen, weshalb eine Harmonisierung der Vergaberichtlinien dringend erforderlich wäre.




