Wer das Merkzeichen „RF“ im Schwerbehindertenausweis erhalten will, muss sehr strenge Voraussetzungen erfüllen. Das zeigt ein Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt. Die Richter wiesen die Berufung einer Frau ab, die das Merkzeichen begehrte. (Az.: L 7 SB 37/20)
Entscheidend war, dass sie trotz gesundheitlicher Einschränkungen weiterhin an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen konnte. Sie erfahren hier, welche Kriterien gelten, wie Sie Anträge richtig begründen und welche prozessualen Fehler Sie vermeiden.
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Rechtsrahmen: Wer „RF“ überhaupt beantragen kann
Das Merkzeichen „RF“ führt zu einer Ermäßigung des Rundfunkbeitrags auf ein Drittel. Der reguläre Beitrag liegt bei 18,36 Euro im Monat. Mit „RF“ zahlen Berechtigte 6,12 Euro monatlich. Der Gesetzgeber knüpft die Ermäßigung an drei Zugangsvoraussetzungen:
- Blinde oder wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von mindestens 60 allein wegen der Sehbehinderung.
- Gehörlose oder Menschen, bei denen eine Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist.
- Menschen mit einem GdB von mindestens 80, die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Die besonderen gesundheitlichen Merkmale werden im Feststellungsverfahren nach SGB IX geprüft. Eingetragen wird das Merkzeichen auf der Rückseite des Schwerbehindertenausweises. Die eigentliche Ermäßigung beantragen Sie anschließend beim Beitragsservice.
Kernaussage des Beschlusses: Keine „RF“ ohne Hausgebundenheit
Das Gericht betont die enge Auslegung. Maßgeblich ist nicht die individuelle Vorliebe, sondern die objektive Teilnahmefähigkeit. Wer Veranstaltungen aus Angst, Interessenverlust oder fehlender Begleitung meidet, erfüllt die Anforderungen nicht. „Ständig nicht teilnehmen“ meint eine Situation, in der Betroffene praktisch an das Haus gebunden sind.
Gemeint sind nicht nur Kulturereignisse. Erfasst sind auch politische, kirchliche, sportliche, wirtschaftliche und unterhaltende Veranstaltungen, die typischerweise länger dauern.
Der Fall: Mobil im Alltag, daher kein Anspruch
Die Klägerin hatte bereits einen hohen GdB und die Merkzeichen G und B. Sie beantragte „RF“ mit Verweis auf psychische Leiden, eine Hörminderung und weitere körperliche Einschränkungen. Das Sozialgericht wies die Klage ab. Das Landessozialgericht bestätigte die Entscheidung. Ausschlaggebend war die Lebensrealität der Frau:
Sie nutzte öffentliche Verkehrsmittel. Sie erledigte Einkäufe. Sie ging zu Arztterminen. Sie nahm an Familienfeiern mit vielen Gästen teil. Damit war die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen weiterhin möglich. Ihre Hörminderung war mit Hörgeräten versorgt. Die psychischen Beschwerden führten nicht zu einem generellen Ausschluss.
Das Gericht sah keine Hausgebundenheit und damit keine Grundlage für „RF“.
Was wirklich zählt: Nachweise mit Alltagsbezug
Entscheidend sind aktuelle, belastbare Befunde. Sie müssen den Alltag abbilden und die fehlende Teilnahmefähigkeit schlüssig erklären. Einzelne Episoden reichen nicht. Die Unterlagen sollten klar beschreiben:
- welche Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen,
- warum übliche Hilfsmittel nicht genügen,
- weshalb auch mit Begleitung kein Veranstaltungsbesuch möglich ist,
- wie sich die Einschränkungen über den Tag und in unterschiedlichen Umgebungen auswirken.
Hilfreich sind konsistente Angaben: Arztberichte, Therapie- und Reha-Dokumente, Pflegestufen- oder Hilfsmittelentscheidungen und nachvollziehbare Schilderungen zum eigenen Tagesablauf. Widersprüche schwächen den Antrag.
Häufige Missverständnisse beim Merkzeichen „RF“
Viele verwechseln Unzumutbarkeit mit Unmöglichkeit. „RF“ verlangt mehr als großen Aufwand oder soziale Hemmschwellen. Nicht ausreichend sind:
- fehlende Motivation oder Interessenverlust,
- Angst vor negativen Reaktionen anderer,
- der Wunsch nach Begleitung ohne verbindliche medizinische Notwendigkeit,
- vereinzelte Schlecht-Tage ohne durchgängige Einschränkung.
Ausnahmen sind nur denkbar, wenn medizinische Gründe den Besuch praktisch ausschließen. Das gilt zum Beispiel bei schweren Störbildern, die Veranstaltungen regelmäßig und nicht nur gelegentlich verunmöglichen.
Prozessfalle: Beweisanträge nach Hinweis wiederholen
In Berufungsverfahren kann das Landessozialgericht die Berufung per Beschluss zurückweisen. Voraussetzung ist, dass die Richter sie einstimmig für unbegründet halten und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Vorher erhalten die Beteiligten einen schriftlichen Hinweis.
Wichtig: Beweisanträge müssen nach dieser Anhörung erneut gestellt werden. Unterbleibt die Wiederholung, gelten frühere Anträge als erledigt. Wer das übersieht, verliert wichtige Beweismittel aus formalen Gründen.
So gehen Sie vor: Antrag, Widerspruch, Klage
Stellen Sie den Antrag auf Feststellung des Merkzeichens bei der zuständigen Feststellungsbehörde. Legen Sie strukturierte, aktuelle Befunde bei. Führen Sie konkrete Alltagssituationen an. Erklären Sie, warum Hilfsmittel oder Unterstützung die Teilnahme nicht ermöglichen.
Bei Ablehnung haben Sie in der Regel einen Monat Zeit für den Widerspruch. Bleibt die Behörde bei ihrer Entscheidung, können Sie klagen. Achten Sie im Gerichtsverfahren streng auf Fristen und die korrekte Wiederholung von Beweisanträgen nach gerichtlichen Hinweisen.
Praxistipps zur Begründung des „RF“-Antrags
Funktionen statt Diagnosen: Beschreiben Sie, was nicht mehr geht (z. B. Reizverarbeitung, Orientierung, Belastbarkeit), nicht nur, welche Krankheit vorliegt.
Dauer und Häufigkeit: Stellen Sie dar, dass die Einschränkung ständig besteht und nicht nur sporadisch.
Hilfsmittel prüfen: Dokumentieren Sie, warum Hörgeräte, CPAP, Rollatoren, Begleitung oder Barrierefreiheits-Maßnahmen den Besuch nicht ermöglichen.
Alltagsbelege: Führen Sie an, wie Sie Wege, Wartezeiten, Lärm, Menschenmengen und unvorhersehbare Situationen real bewältigen.
Konsistenz: Stimmen Arztberichte, eigene Angaben und Zeugenberichte überein? Unstimmigkeiten kosten Glaubwürdigkeit.
Klare Linie, hoher Begründungsaufwand
Das Urteil bestätigt die enge Linie zum Merkzeichen „RF“. Es reicht nicht, dass ein Veranstaltungsbesuch schwerfällt oder selten stattfindet. Er muss wegen des Leidens objektiv ausgeschlossen sein. Wer betroffen ist, sollte Befunde präzise aufbereiten und die Alltagsfolgen nachvollziehbar belegen.
So steigen die Chancen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Wer zusätzlich Fristen wahrt und Beweisanträge korrekt wiederholt, vermeidet vermeidbare Verfahrensnachteile.