Schwerbehinderung: Neue GdB-Regeln – Man kann den Ausweis verlieren

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Die Bundesregierung plant tiefgreifende ร„nderungen bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB). Ziel ist es, die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) an aktuelle medizinische Entwicklungen anzupassen. Kritiker warnen: Die Reform kรถnnte den Zugang zum Schwerbehindertenausweis deutlich erschweren โ€“ hauptsรคchlich fรผr Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Was steckt hinter der Reform der Versorgungsmedizin-Verordnung?

Die Versorgungsmedizin-Verordnung legt bundesweit einheitlich fest, wie der GdB von Gutachtern eingeschรคtzt wird. Diese Einstufung entscheidet darรผber, ob Betroffene Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis haben. Seit zwei Jahrzehnten wurde das Regelwerk kaum angepasst โ€“ obwohl sich Therapieformen, Hilfsmittel und Medikamente erheblich weiterentwickelt haben.

Das Bundesministerium fรผr Arbeit und Soziales will nun reagieren. Kรผnftig sollen Gutachter bei der GdB-Bewertung stets davon ausgehen, dass Betroffene medizinisch optimal versorgt sind โ€“ selbst wenn diese Versorgung im Alltag nicht erreichbar oder mit hohen Eigenanteilen verbunden ist. Das bedeutet: Wer dank moderner Hilfsmittel besser zurechtkommt, wird mรถglicherweise mit einem niedrigeren GdB bewertet, auch wenn Einschrรคnkungen weiterhin bestehen.

Was รคndert sich konkret fรผr Betroffene?

Neben der neuen Bewertungssystematik sieht der Entwurf vor, dass Schwerbehindertenausweise kรผnftig regelmรครŸig befristet ausgestellt werden. Eine dauerhafte Anerkennung soll die Ausnahme sein. Das hat konkrete Folgen:

Betroffene mรผssen hรคufiger Verlรคngerungsantrรคge stellen.
Versรคumte Fristen kรถnnen zu Nachteilen fรผhren โ€“ etwa dem Verlust von Steuervergรผnstigungen oder besonderem Kรผndigungsschutz.
Die Nachweispflicht fรผr รคrztliche Unterlagen wird verschรคrft.

Kritik aus Verbรคnden: โ€žEntlastung der Kassen auf dem Rรผcken der Schwรคchstenโ€œ

Sozial- und Behindertenverbรคnde reagieren mit deutlicher Ablehnung. Der Sozialverband VdK sowie der Deutsche Behindertenrat befรผrchten, dass die neuen Regelungen vor allem Menschen mit chronischen oder unsichtbaren Erkrankungen benachteiligen. Wenn moderne Hilfsmittel als ausreichend gelten, spielt die tatsรคchliche Einschrรคnkung im Alltag eine untergeordnete Rolle โ€“ selbst bei andauernden Schmerzen.

Rechtsanwรคlte und Selbsthilfegruppen berichten bereits jetzt von Fรคllen, in denen durch Hightech-Prothesen der GdB drastisch reduziert wurde โ€“ obwohl sich die Lebensqualitรคt der Betroffenen kaum verbesserte. Die geplanten Neuregelungen kรถnnten diesen Effekt zum neuen Standard machen.

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Datenlage: Millionen Menschen kรถnnten betroffen sein

Laut dem Statistischen Bundesamt besitzen aktuell etwa 7,9 Millionen Menschen in Deutschland einen Schwerbehindertenausweis. Jรคhrlich werden รผber eine Million neue Antrรคge gestellt โ€“ rund 30 Prozent davon nur teilweise anerkannt. Schon heute landen รผber 45.000 Verfahren jรคhrlich vor Sozialgerichten. Fachleute rechnen mit einem deutlichen Anstieg an Widersprรผchen, sollte die Reform in ihrer jetzigen Form verabschiedet werden.

Neuerungen bei Hilfsmitteln: Ein Lichtblick fรผr einige Gruppen

Wรคhrend die GdB-Einstufung kรผnftig wohl strenger erfolgt, gibt es im Bereich der Hilfsmittelversorgung eine Verbesserung. Seit 2025 ist das sogenannte Gesetz zur Stรคrkung der Gesundheitsversorgung (GVSG) in Kraft. Es verpflichtet Krankenkassen zur zรผgigen Bearbeitung von Hilfsmittelverordnungen, sofern diese von spezialisierten Versorgungszentren stammen.

Die Bearbeitungsfrist betrรคgt nun maximal sieben Tage. Eine vorherige Einschaltung des Medizinischen Dienstes entfรคllt. Kinder mit seltenen Erkrankungen profitieren besonders: Laut Elterninitiativen verkรผrzten sich die Wartezeiten fรผr Hilfsmittel wie Rollstรผhle oder Kommunikationshilfen um bis zu sechs Wochen.

Widerspruch einlegen: So sichern Sie Ihre Rechte

Die Gutachter bewerten den GdB auf Basis der vorliegenden Dokumente. Fehlende oder unvollstรคndige Nachweise kรถnnen eine Herabstufung bedeuten. Wer mit dem Bescheid nicht einverstanden ist, sollte folgende Schritte beachten:

Innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids Widerspruch einlegen.
Zusรคtzliche รคrztliche Gutachten einreichen, mรถglichst von Spezialisten.
Ein detailliertes Schmerztagebuch fรผhren โ€“ insbesondere bei chronischen Leiden.

Viele Sozialverbรคnde รผbernehmen einen Teil der Kosten fรผr ergรคnzende Gutachten. Die Investition kann sich lohnen: Ein stabiler GdB ermรถglicht steuerliche Vorteile, erleichtert das Parken und gewรคhrt Zusatzurlaub sowie Kรผndigungsschutz.

Fallbeispiel: Wenn moderne Technik zum Risiko wird

Thomas S. aus Kรถln nutzte eine computergesteuerte Beinprothese. Vor der Anpassung betrug sein GdB 70. Nach der Begutachtung durch das Amt drohte eine Herabstufung auf 40. Erst durch ein lรผckenlos gefรผhrtes Schmerztagebuch und die Unterstรผtzung eines Fachanwalts konnte er den bisherigen Status sichern. Sein Fall zeigt: Ohne akribische Dokumentation kรถnnen selbst gravierende Beeintrรคchtigungen kleingeredet werden.

Was Sie jetzt tun kรถnnen โ€“ Handlungsempfehlungen auf einen Blick

Die geplanten Reformen sind noch nicht verabschiedet. Dennoch gilt: Wer vorbereitet ist, vermeidet Nachteile. Einige Tipps:

Beginnen Sie rechtzeitig mit der Sammlung medizinischer Unterlagen.
Prรผfen Sie die Befristung Ihres Ausweises.
Legen Sie sich eine Erinnerung fรผr Verlรคngerungsfristen an.
Sichern Sie sich rechtliche Beratung bei unklaren Bescheiden.

Wie geht es weiter? Entscheidung im Bundestag steht bevor

Der Gesetzentwurf befindet sich aktuell im Bundestagsausschuss fรผr Arbeit und Soziales. Ein Beschluss ist fรผr Herbst 2025 vorgesehen. Sollte der Entwurf in seiner jetzigen Form verabschiedet werden, drohen zahlreiche Klagen.