Schwerbehinderung: Menschen mit Schwerbehinderung droht die nächste Eigenanteils-Falle

Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ hat ihre ersten Zwischenergebnisse vorgestellt. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken spricht von einem „wichtigen Schritt“ zu einer stabilen, verlässlichen Pflegeversicherung.

Doch eins ist klar: Am Teilleistungssystem der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) wird nicht gerüttelt. Genau das kritisiert der Paritätische Gesamtverband scharf – ohne grundlegenden Systemwechsel bleibe die Reform Stückwerk. Was bedeutet das konkret für schwerbehinderte Menschen, die auf verlässliche Pflegeleistungen angewiesen sind?

Was jetzt auf dem Tisch liegt

Die AG hält fest: Die SPV bleibt ein Umlage- und Teilleistungssystem. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen sollen „begrenzt bzw. gedämpft“ werden – wie genau, soll die Fach-AG Finanzierung bis Dezember 2025 vorlegen.

Gleichzeitig wird an weiteren Stellschrauben gedreht: Pflegegrade bleiben, das komplizierte Leistungsrecht soll vereinfacht werden, Beratungsleistungen neu aufgestellt, pflegerische Akutsituationen besser abgesichert. Für Pflegegrad 1 ist eine stärkere Präventionsorientierung geplant.

Länder drängen darauf, versicherungsfremde Leistungen künftig aus Steuermitteln zu zahlen. Der Pflegevorsorgefonds soll weiterentwickelt werden.

Auf dem Papier klingt vieles sinnvoll. In der Praxis entscheidet aber, ob die Reform spürbar bei den Menschen ankommt – insbesondere bei schwerbehinderten Pflegebedürftigen und ihren Familien, die heute zwischen steigenden Eigenanteilen, Bürokratie und fehlender Entlastung zerrieben werden.

Der zentrale Streitpunkt: Eigenanteile

Die Eigenanteile in der stationären und ambulanten Pflege sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Genau hier fordert der Paritätische klare Kante: verbindliche Deckelung, nicht nur ein „Dämpfen“. Solange die SPV nur Teilleistungen zahlt und Kostensteigerungen an die Betroffenen weiterreicht, bleibt Pflege ein Armutsrisiko – auch für Menschen mit Schwerbehinderung, die häufig lebenslang auf Unterstützung angewiesen sind und deren Erwerbsmöglichkeiten eingeschränkt sind.

Komplexität abbauen – aber richtig

Seit der Umstellung auf Pflegegrade 2017 hat sich ein hochkomplexes Leistungsrecht entwickelt. Viele Betroffene verlieren im Formulardickicht die Orientierung.

Die angekündigte Vereinfachung und die Prüfung sektorenunabhängiger Budgets können hier helfen – vorausgesetzt, Leistungen werden gebündelt, Zugänge niedrigschwellig gestaltet und die pflegerische Begleitung verbindlich gestärkt. Andernfalls droht nur ein neues Label für alte Probleme.

Akute Lücken schließen

Besonders brisant sind pflegerische Akutfälle: Wenn etwa die Hauptpflegeperson unerwartet ausfällt, bricht die Versorgung oft über Nacht zusammen. Für schwerbehinderte Menschen, die auf verlässliche Assistenz angewiesen sind, kann das existenzgefährdend sein.

Die AG will hier konkrete Vorschläge erarbeiten – entscheidend wird, ob am Ende sofort verfügbare Notfallleistungen mit klaren Ansprüchen und finanzierter Vertretungspflege stehen.

Begutachtung und Prävention

Auch das Begutachtungsinstrument soll evaluiert, Schwellenwerte überprüft werden. Für viele Schwerbehinderte ist das mehr als Technik: Schon kleine Verschiebungen entscheiden über Pflegegrad, Leistungshöhe und Zuzahlungen.

Bei Pflegegrad 1 sollen Leistungen stärker auf Prävention zielen – sinnvoll, wenn das nicht zur Leistungskürzung bei konkretem Bedarf führt, sondern Reha, Wohnraumanpassung und Hilfsmittel aus einem Guss fördert.

Was heißt das konkret für schwerbehinderte Menschen?

TABELLE

Konstruktiv, aber klar: Es braucht mehr als „Weiter so“

Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer betont „starke Schultern sollen mehr tragen“ und die Stärkung der ambulanten Pflege. NRW-Minister Karl-Josef Laumann fordert, das Leistungsversprechen ehrlich zu überprüfen. Das geht in die richtige Richtung.

Doch ohne verbindliche Zusagen zur Entlastung der Pflegebedürftigen bleibt es bei wohlklingenden Absichtserklärungen.

Für schwerbehinderte Menschen ist die Lage eindeutig: Sie brauchen verlässliche Leistungen, planbare Eigenanteile und Unterstützung, die nicht am Sektor scheitert – also dort greift, wo Bedarf entsteht, egal ob zu Hause, im Krankenhaus oder in der Kurzzeitpflege.

Unser Fazit

Der „Zukunftspakt Pflege“ liefert ein realistisches Lagebild und benennt Problemzonen. Aber solange der Systemwechsel ausbleibt, bleibt die Reform auf halber Strecke stehen. Bis Dezember 2025 liegt es an Bund und Ländern, aus Prüfaufträgen justiziable Ansprüche zu machen.

Für schwerbehinderte Menschen zählen am Ende nicht Überschriften, sondern gedeckelte Eigenanteile, schnelle Hilfe im Notfall und weniger Bürokratie. Alles andere wäre eine vertane Chance – und das können wir uns bei der Pflege schlicht nicht mehr leisten.