Bürgergeld: Neue Grundsicherung – 2027 drohen nun Zwangs­umzüge

Kanzler Merz will bundesweite Pauschalen einführen – das bedeutet die Reform für Bürgergeld-Beziehende.

Was steckt hinter dem Vorstoß des Kanzlers?

Bundeskanzler Friedrich Merz hat im ARD-Sommerinterview Mitte Juli signalisiert, die von Jobcentern übernommenen Wohnkosten stärker zu begrenzen. Genannt wurden hohe Erstattungen in Ballungsräumen und der Prüfauftrag, bundesweite Pauschalen sowie kleinere förderfähige Wohnflächen vorzubereiten.

Politisch ist das aktuell ein Entwurfs- und Verhandlungsprozess: Ein Gesetzentwurf für den Herbst 2025 ist angekündigt; ein frühestmöglicher Start wäre der 1. Januar 2027 – vorbehaltlich Kabinettsbeschluss, Bundestag/Bundesrat und möglicher Änderungen im Verfahren.

Geplante Neuregelung: Pauschale Obergrenzen – aktuell Entwurfslage, keine geltende Rechtslage

Nach derzeitigem Stand werden die heutigen, kommunal festgelegten Angemessenheitswerte nicht ersetzt, sondern sollen durch bundesweit einheitliche Pauschalen ersetzt werden – das ist der politische Planungsstand, noch keine beschlossene Regel. Die Pauschalen sollen sich an Durchschnittswerten orientieren, in teuren Regionen wären Regionalaufschläge denkbar.

Parallel ist eine Reform der Karenzzeit im Bürgergeld vorgesehen (siehe unten). Der konkrete Zuschnitt (Höhe der Pauschalen, Zuschläge, Übergangsfristen, Härtefälle) wird erst mit dem Entwurf sichtbar und kann sich im parlamentarischen Verfahren ändern.

So läuft es bislang beim Bürgergeld

Derzeit übernehmen Jobcenter die „angemessenen“ Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II. Angemessenheit definiert jede Kommune in einem eigenen „schlüssigen Konzept“. In den ersten zwölf Monaten gilt eine Karenzzeit: Größe und Miethöhe werden nicht geprüft, solange die Wohnung nicht offensichtlich überdimensioniert ist.

Typische Richtwerte:

  • Wohnungsgröße: 45–50 m² für Alleinstehende, plus 15 m² je weitere Person
  • Mietobergrenze: regional unterschiedlich; in Berlin zum Beispiel 449 € kalt für eine Einzelperson (Stand 1. 1. 2025)

Seit 2015 stiegen die Nettokaltmieten bundesweit um durchschnittlich 18 Prozent, in Großstädten sogar um mehr als 30 Prozent. Besonders Haushalte mit niedrigen Einkommen spüren die Belastung, weil die Mietkostenquote dort bereits über 40 Prozent liegt. Ohne Anpassung der Regeln würde der Anteil der Wohnkosten im Bürgergeld-Budget weiter wachsen.

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Warum Merz die Kosten bremsen will

Die Bundesagentur für Arbeit zahlte 2023 erstmals über 20 Milliarden Euro für Unterkunft und Heizung von Bürgergeld-Haushalten. Das entspricht rund einem Drittel aller Bürgergeld-Ausgaben und belastet den Bundeshaushalt zunehmend. Hinzu kommt, dass die Zahl der Leistungshaushalte 2024 um weitere 2,1 Prozent zunahm.

Die Regierung sieht deshalb Sparpotenzial bei den Wohnkosten und versucht zugleich, finanziellen Druck auf angespannten Wohnungsmärkten abzubauen.

Kleinere Wohnflächen – noch offen, aber absehbar

In den CDU-Entwürfen ist von einer „Reduktion der geförderten Wohnflächen innerhalb sozialverträglicher Grenzen“ die Rede. Konkrete Quadratmeterzahlen fehlen. Beobachter rechnen damit, dass sich die neuen Richtwerte an den bisherigen Mindeststandards für sozialen Wohnungsbau orientieren (40 m² für Singles, 12 m² je weitere Person). Offizielle Angaben dazu liegen noch nicht vor; dieser Punkt ist daher ungeklärt.

Kritik von SPD, Sozialverbänden und dem CDU-Sozialflügel

Die SPD wirft Merz vor, „Wohnungslosigkeit statt Lösungen“ zu produzieren. Auch der CDU-Arbeitnehmerflügel (CDA) warnt vor Verdrängung aus Innenstädten und plädiert für differenzierte Regionalpauschalen.

Der Deutsche Mieterbund hält Kürzungen bei Bedürftigen für den falschen Hebel und fordert mehr sozialen Wohnungsbau, um die Kostenbremse an der Wurzel anzusetzen. Sozialverbände befürchten zudem, dass Pauschalen den tatsächlichen Mietanstieg ignorieren und so verdeckte Armut fördern.

Was droht Leistungsbeziehenden?

  • Höherer Eigenanteil: Übersteigt die tatsächliche Miete die Pauschale, müssen Betroffene die Differenz aus dem Regelsatz zahlen.
  • Zwangsumzüge: Wer die Kosten nicht tragen kann, muss innerhalb kurzer Frist eine günstigere Wohnung finden – schwierig in engen Märkten.
  • Sanktionen bei Verweigerung: Laut CDU-Konzept sollen strengere Mitwirkungspflichten gelten, bis hin zur Kürzung aller Leistungen bei wiederholter Arbeitsverweigerung.

Handlungsmöglichkeiten für Betroffene

  1. Mietvertrag prüfen: Liegt Ihre Warmmiete bereits unter den geplanten Pauschalen, besteht kaum Handlungsbedarf.
  2. Wohnkostenbescheinigung sichern: Lassen Sie sich aktuelle Angemessenheitswerte vom Jobcenter schriftlich bestätigen.
  3. Härtefallantrag vorbereiten: Bei Gesundheit, Pflegebedürftigkeit oder fehlendem barrierefreiem Wohnraum können Jobcenter Ausnahmen zulassen.
  4. Rechtsmittel einlegen: Prüfen Sie Kürzungen binnen eines Monats mittels Widerspruch; Sozialgerichte können Pauschalen kassieren, wenn sie unverhältnismäßig sind.
  5. Frühzeitig beraten lassen: Sozialberatungsstellen, Mietervereine und gegen-hartz.de bieten kostenlose Erstberatung.

Ausblick

Die Bundesregierung will den entsprechenden Gesetzentwurf noch im Herbst 2025 vorlegen. Nach derzeitigem Zeitplan könnte die Neue Grundsicherung mit pauschalen Wohnkosten zum 1. Januar 2027 in Kraft treten. Der Entwurf wird zunächst im Kabinett beraten, anschließend folgt die parlamentarische Lesung im Bundestag.

Parallel erarbeitet der Bundesrat eine Stellungnahme. Erfahrungsgemäß entstehen dort Änderungen bei besonders umstrittenen Punkten, etwa der Karenzzeit oder den Regionalaufschlägen. Bis zur finalen Abstimmung lohnt es sich, lokale Initiativen zu beobachten, Stellungnahmen abzugeben und die eigenen Wohnkosten im Blick zu behalten.