Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat in einem Urteil festgelegt, wie der Grad der Behinderung (GdB) systematisch und korrekt ermittelt wird. Der GdB, der maรgeblich fรผr den Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen ist, wird in einem dreistufigen Verfahren bestimmt.
Diese Struktur soll sicherstellen, dass alle relevanten Gesundheitsstรถrungen und ihre Auswirkungen umfassend berรผcksichtigt werden.
Ausgangslage: Vielschichtige Beschwerden der Klรคgerin
Das Urteil folgte auf eine Klage einer 59-jรคhrigen Frau, die unter einer Reihe von gesundheitlichen Beschwerden litt. Die Beschwerden betrafen chronische Rรผckenschmerzen, Knie- und Sprunggelenkprobleme, Gesichtslรคhmung, Augenmigrรคne sowie eine psychische Erkrankung.
Ihre Lebensqualitรคt war dadurch erheblich eingeschrรคnkt und das veranlasste sie dazu, einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung zu stellen. Das zustรคndige Landesamt lehnte den Antrag jedoch ab, was zur Folge hatte, dass die Klรคgerin den Rechtsweg beschritt.
Einholung von unterschiedlichen Gutachten
Im Rahmen des Gerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Speyer wurden mehrere medizinische Gutachten eingeholt. Ein chirurgisch-orthopรคdisches Gutachten bewertete das Rรผckenleiden der Klรคgerin mit einem Einzel-GdB von 30 und die Kniebeschwerden mit einem Einzel-GdB von 20.
Der Gesamt-GdB wurde auf 40 festgesetzt. Diese Bewertung wurde jedoch vom Landesamt angefochten, sodass die Klรคgerin in Berufung ging.
Reduzierung des GdB durch erneutes Gutachten
Im Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz konnte die Klรคgerin ein weiteres Gutachten einholen, das sich auf neurologisch-psychiatrische Aspekte bezog.
Dieses Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Klรคgerin ihre Beschwerden teilweise รผbertrieb und setzte den Einzel-GdB fรผr neurologische Beeintrรคchtigungen auf 20 herab, wรคhrend das Rรผckenleiden nur noch mit einem Einzel-GdB von 10 bewertet wurde. Der Gesamt-GdB wurde auf 20 reduziert.
Gericht wendet Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze an
Das Gericht stรผtzte seine Entscheidung auf die “Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze” (VmG), die als Richtschnur fรผr die Bewertung von Behinderungen dienen. Diese Grundsรคtze definieren Einzel-GdB-Werte fรผr verschiedene Funktionsstรถrungen und berรผcksichtigen deren Auswirkungen auf das tรคgliche Leben.
Menschen gelten als behindert, wenn ihre kรถrperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeintrรคchtigungen voraussichtlich lรคnger als sechs Monate andauern und ihre gesellschaftliche Teilhabe beeintrรคchtigen.
Der dreistufige Prozess zur Feststellung des GdB
- Erfassung aller Gesundheitsstรถrungen: Zunรคchst werden sรคmtliche relevanten und nicht nur vorรผbergehenden Gesundheitsstรถrungen der betroffenen Person dokumentiert. Dies umfasst sowohl physische als auch psychische Beeintrรคchtigungen.
- Zuordnung zu Funktionssystemen gemรคร dem VmG: Im zweiten Schritt werden die dokumentierten Gesundheitsstรถrungen den entsprechenden Funktionssystemen zugeordnet. Diese Zuordnung erfolgt nach den Vorgaben der VmG und ermรถglicht eine strukturierte Bewertung der einzelnen Beeintrรคchtigungen.
- Gesamtschau und GdB-Bestimmung: Im letzten Schritt erfolgt eine umfassende Betrachtung aller erfassten Gesundheitsstรถrungen. Das Gericht prรผft, inwieweit die verschiedenen Beeintrรคchtigungen einander beeinflussen oder verstรคrken. Basierend auf dieser Gesamtschau wird der Gesamt-GdB festgelegt.
Feststellung Gesamt-GdB liegt in der Verantwortung des Gerichts
Entscheidend ist, dass die Feststellung des Gesamt-GdB nicht in der Verantwortung der Gutachter liegt, sondern in der des Gerichts. Das Gericht berรผcksichtigt neben den medizinischen Bewertungen auch gesellschaftliche Faktoren, um eine fundierte Entscheidung รผber den GdB zu treffen.
Im Fall der Klรคgerin wurde der Verdacht auf รbertreibung ihrer Symptome durch das Gericht gewertet, was zur Herabsetzung des GdB fรผhrte.