Schwerbehinderung: GdB und MdE – Das darf man nicht verwechseln

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Viele Menschen verwechseln den Grad der Behinderung (GdB) mit der Minderung der Erwerbsfรคhigkeit (MdE). Dabei betreffen beide vollkommen unterschiedliche Lebensbereiche und Rechtsvorschriften. Wer den Unterschied kennt, kann gezielter Antrรคge stellen und finanzielle sowie rechtliche Vorteile nutzen โ€“ vom Steuerfreibetrag bis zur monatlichen Unfallrente.

GdB und MdE: Zwei Systeme, zwei Zwecke

Der GdB bewertet, wie sehr eine kรถrperliche oder psychische Einschrรคnkung die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeintrรคchtigt โ€“ also Alltag, Mobilitรคt und soziale Aktivitรคten. Die MdE hingegen misst den Verlust der Erwerbsfรคhigkeit nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit โ€“ also die reduzierte Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Diese Differenz ist nicht nur theoretisch, sondern wirkt sich direkt auf Rentenansprรผche, Kรผndigungsschutz und Sozialleistungen aus. Beide Systeme haben eigene BewertungsmaรŸstรคbe, Antragstellen und gesetzliche Grundlagen.

Wann kommt der GdB zur Anwendung?

Der Grad der Behinderung (GdB) betrifft Menschen mit chronischen Erkrankungen, angeborenen Beeintrรคchtigungen oder gesundheitlichen Folgen, die nicht im Rahmen eines Arbeitsunfalls entstanden sind. Zustรคndig ist das Versorgungsamt oder ein vergleichbares Sozialamt.

Der GdB wird in Zehnerschritten zwischen 20 und 100 vergeben. Bereits ab einem Wert von 50 gilt man offiziell als schwerbehindert. Aber auch bei einem GdB von 30 oder 40 kann eine sogenannte Gleichstellung erfolgen โ€“ besonders wichtig, wenn der Arbeitsplatz gefรคhrdet ist. Dann greift z.โ€ฏB. der besondere Kรผndigungsschutz.

Konkrete Vorteile bei anerkannter Schwerbehinderung:

  • Steuerliche Entlastungen (z.โ€ฏB. ยง 33b EStG)
  • Fรผnf Tage Zusatzurlaub im Jahr (ยง 208 SGB IX)
  • Schutz vor Kรผndigung (ยง 168 SGB IX)
  • Kostenfreie Nutzung รถffentlicher Verkehrsmittel bei bestimmten Merkzeichen (โ€žGโ€œ, โ€žaGโ€œ)
  • ErmรครŸigung beim Rundfunkbeitrag

Praxisbeispiel:
Frau K. leidet an Multipler Sklerose. Nach Einreichung mehrerer รคrztlicher Befunde erkennt das Versorgungsamt einen GdB von 60 an. Sie erhรคlt einen Schwerbehindertenausweis und kann verschiedene Nachteilsausgleiche nutzen โ€“ unter anderem unentgeltliche Befรถrderung im Nahverkehr.

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Die MdE โ€“ wichtig nach Arbeitsunfall oder Berufskrankheit

Die Minderung der Erwerbsfรคhigkeit (MdE) wird ausschlieรŸlich im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung relevant. Sie beurteilt den dauerhaften Verlust der Arbeitskraft nach einem Berufsunfall oder einer anerkannten Berufskrankheit โ€“ nicht jedoch bei altersbedingtem VerschleiรŸ oder allgemeinen Gesundheitsproblemen.

Die MdE wird ebenfalls in Zehnerschritten bewertet. Ab einer MdE von 30โ€ฏ% entsteht ein Anspruch auf Unfallrente. Diese berechnet sich auf Grundlage des sogenannten Jahresarbeitsverdienstes (JAV) โ€“ also der Einkommenserwartung vor dem Unfall.

Unfallrente in Zahlen:
Formel:
`JAV ร— 2/3 ร— (MdE in Prozent / 100)`
Beispiel:
Bei einem Jahresarbeitsverdienst von 36.000โ€ฏโ‚ฌ und einer MdE von 30โ€ฏ% ergibt sich eine monatliche Unfallrente von 600โ€ฏโ‚ฌ.

Weitere Leistungen im MdE-Kontext:

  • Kostenรผbernahme fรผr Heilbehandlung und Reha
  • Versorgung mit Hilfsmitteln (z.โ€ฏB. Prothesen)
  • รœbernahme von Umschulungen
  • Haushaltshilfen bei eingeschrรคnkter Mobilitรคt

Zustรคndig:
Die Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen prรผfen nach dem Unfall รคrztliche Gutachten und erlassen anschlieรŸend einen Bescheid, gegen den Widerspruch oder Klage mรถglich ist.

Praxisbeispiel:
Herr N. erleidet einen Gehรถrverlust durch langjรคhrige Arbeit in einer lauten Maschinenhalle. Die Berufsgenossenschaft erkennt eine MdE von 40โ€ฏ% an. Er erhรคlt lebenslang eine Unfallrente und kann an einer Hรถrgerรคteversorgung auf Kosten der BG teilnehmen.

Kein Zusammenhang mit der Erwerbsminderungsrente

Ein hรคufiger Irrtum: Die MdE ist nicht identisch mit der Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Wรคhrend die MdE auf den Verlust von Erwerbsfรคhigkeit durch Arbeitsunfรคlle abstellt, bezieht sich die Erwerbsminderungsrente auf die allgemeine Arbeitsfรคhigkeit aufgrund von Krankheit oder Behinderung.

Unterschied konkret:

MdE: Fachbegriff aus dem Unfallrecht bewertet die bleibende Arbeitskraftminderung nach Unfall oder Berufskrankheit.
Erwerbsminderungsrente: Sozialleistungsanspruch bei krankheitsbedingter Unfรคhigkeit, mehr als 3 bzw. 6 Stunden tรคglich zu arbeiten.

Antrag und Durchsetzung: So gehen Sie vor

Wer eine Schwerbehinderung geltend machen mรถchte, muss selbst aktiv werden:

  1. Unterlagen vorbereiten: Alle aktuellen Arztberichte, Klinikunterlagen und Rehaprotokolle zusammenstellen.
  2. Antrag stellen:
    GdB โ†’ beim Versorgungsamt (postalisch oder online)
    MdE โ†’ erfolgt automatisch รผber die Berufsgenossenschaft nach dem Versicherungsfall
  3. Bescheid abwarten und prรผfen: Gegen Entscheidungen kann innerhalb von einem Monat Widerspruch eingelegt werden.
  4. Erneute Prรผfung bei Verschlechterung: Eine Verschlimmerung der gesundheitlichen Situation erlaubt jederzeit einen Nachfolgeantrag.
  5. Rechtsschutz sichern: Bei unklarer Rechtslage oder Ablehnung hilft oft eine sozialrechtlich versierte Beratung.

Wer profitiert besonders?

Menschen mit chronischen Krankheiten, Geburtsbeeintrรคchtigungen oder schweren Unfallfolgen haben durch die klare Trennung zwischen GdB und MdE die Mรถglichkeit, gezielt Ansprรผche durchzusetzen โ€“ oft nebeneinander.

So kann jemand mit einer angeborenen Behinderung gleichzeitig eine Erwerbsminderungsrente beziehen, einen Schwerbehindertenausweis besitzen und bei einem spรคteren Arbeitsunfall zusรคtzlich eine MDE-bedingte Unfallrente erhalten.