Der jetzt beschlossene Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD verspricht eine bessere Vermittlung von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt, und zudem eine Reform der Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Beides wäre bitter nötig, doch konkret werden die Koalitionspartner nicht.
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Mehr als 300.000 Beschäftigte in Werkstätten für Menschen in Behinderung
Mehr als 300.000 Menschen mit Behinderung arbeiten in Werkstätten, die nur für Menschen mit Einschränkungen vorgesehen sind. Oft sind Sie in Vollzeit beschäftigt.
Ihr Entgelt beträgt jedoch nur einen Bruchteil des Mindestlohns, der für Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bezahlt wird. Für einen vollen Arbeitstag erhalten Sie ungefähr so viel (so wenig) wie selbst ein zum Mindestlohn Beschäftigter in einer Stunde.
Dabei stellen diese Werkstätten Produkte her, die in der Industrie nachgefragt sind – ein Milliardenmarkt. Faktisch handelt es sich bei den Beschäftigten um hunderttausende, fast unbezahlte Arbeitskräfte. Drei Viertel der dort Tätigen haben eine geistige Behinderung, und jeder Fünfte eine psychische. Nur rund vier Prozent sind aufgrund körperlicher Einschränkungen behindert.
Fehlende Inklusion im Kindesalter führt zu nachhaltiger Ausgrenzung
Sehr viele Menschen, die in Werkstätten für Behinderung tätig sind, verstehen Anträge und bürokratische Prozesse, die nötig sind, um den Schritt in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, als (zu) große Hürde.
Die Hemmung, diese Hürde zu bewältigen, hat sehr viel mit frühzeitiger Ausgrenzung zu tun. Jeder und jede Dritte in einer Werkstatt für behinderte Menschen ist über 50 Jahre alt. Der Weg von der Förderschule in der Kindheit zur Werkstatt für Menschen mit Behinderungen war für sie seinerzeit die einzige Möglichkeit, überhaupt einer Arbeit nachzugehen.
Berufsorientierung, Begleitung, um als junger Mensch in eine Ausbildung zu kommen, Förderung für den allgemeinen Arbeitsmarkt? Das alles gab es für diese in den Werkstätten Beschäftigten nicht. Der Alltag in der Werkstatt wurde so für sie zur Normalität. Diese „Normalität“ der Ausgrenzung führt zu durchgehender finanzieller Abhängigkeit, denn das Entgelt für ihre Arbeit ist nicht mehr als ein Taschengeld.
Obwohl rund jeder Dritte der Menschen, die in den Werkstätten arbeiten, qualifiziert wäre, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen, tun dies weniger als ein Prozent der Beschäftigten.
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Das Budget für Arbeit
Dabei haben die Werkstätten den Auftrag, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, wenn diese auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wollen. Das Budget für Arbeit wurde 2018 eingeführt und soll eine Alternative zu den Werkstätten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bieten.
Wenn Sie als Betroffene auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln wollen, dann berät Sie der örtliche Integrationsfachdienst (IFD).
Er klärt Ihre Fähigkeiten für den Arbeitsmarkt; er initiiert betriebliche Praktika, begleitet diese und wertet diese aus. Grundsätzlich gestaltet der Fachdienst mit Ihnen zusammen den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
Viele Werkstätten versuchen selbst, Beschäftigten zu Außenarbeitsplätzen, Praktika oder Stellen in Inklusionsbetrieben zu verhelfen.
Das Budget für Ausbildung
Seit Januar 2020 gibt es außerdem das „Budget für Ausbildung“. Menschen mit Behinderung, die Anspruch auf Arbeit in einer Werkstatt hätten, können zudem auch eine reguläre Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt absolvieren, falls ihnen eine solche zur Verfügung steht.
Seit 2024 gilt: Wer unmittelbar zuvor in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt war oder ein Budget für Arbeit erhielt, wird einem Arbeitgeber in den ersten zwei Jahren der Beschäftigung als zwei Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen angerechnet.
Fazit
Der Koalitionsvertrag erwähnt zwar als Ziel eine Reform und eine bessere Bezahlung der Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Zudem ist eine bessere Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt von Menschen mit Behinderungen ausdrücklich im Papier erhalten.
Welche Maßnahmen die Koalition genau plant, bleibt allerdings unbekannt. Auch der Verdacht, dass es sich um „schöne Worte“ handelt, die Menschen mit Behinderungen beschwichtigen sollen, kann nicht ausgeräumt werden.
Eine extreme Ungerechtigkeit
Die Hungerlöhne in den Werkstätten für Behinderung sind eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit und lassen sich keineswegs damit rechtfertigen, dass es sich nicht um „echte Arbeit“ handelt.
Milliardenumsätze auf Kosten der Menschen mit Behinderung
Denn die Werkstätten erledigen ganze Aufgabenbereiche, besonders in der Stahl- und Autoindustrie. Durch die fast unbezahlte Produktion werden jährlich Milliarden Euro umgesetzt. Mit diesen Profiten ließ sich den Beschäftigten einfach der Mindestlohn auszahlen.
Dicke Bretter statt schöne Worte
Ausbildungsförderung und Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen sind ein dickes Brett, das die Bundesregierung bohren müsste, wenn Sie es denn ernst meint. Dies würde bereits mit der Inklusion im Kindesalter beginnen.
Es bleibt abzuwarten, ob den Versprechen im Koalitionsvertrag Taten folgen.