Schwerbehinderung: Der Grad der Behinderung ist die Summe der Einzelgrade?

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Betroffene fragen uns immer wieder (sinngemรครŸ): “Ich habe mehrere Einzelgrade der Behinderung, einen von 30, einen von 20 und einen von zehn (oder auch 40 und 20). Damit mรผsste ich doch einen (Gesamt-) Grad der Behinderung von 50 erhalten?” Damit hรคtten Sie Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis und die entsprechenden Nachteilsausgleiche.

Stimmt das? Wir zeigen Ihnen in diesem Beitrag, dass die Berechnung des Gesamtgrades der Behinderung komplizierter ist, worauf Sie achten mรผssen und was Sie tun kรถnnen?

Der Grad der Behinderung ist kein bloรŸes Zusammenrechnen

Zuerst einmal: Die Summe der einzelnen Behinderungen ergibt nicht direkt den Gesamtgrad der Behinderung. Es spielt nicht zuerst eine Rolle, welche Einzelbehinderungen Sie haben, sondern wesentlich ist, ob sich diese wechselseitig verstรคrken oder nebeneinander stehen.

Es geht um die Teilhabe an der Gesellschaft

Entscheidend ist, wie sich die Gesundheitsstรถrungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Es geht also nicht in erster Linie um die Krankheit sowie die Diagnose selbst. Das Versorgungsamt prรผft vielmehr, ob und wie Sie in Ihrem Alltag eingeschrรคnkt sind. MaรŸstab ist dabei der Vergleich zu einem gesunden Menschen.

Was sagt die gesetzliche Regelung?

Der Paragraf 152 Absatz 3 im Sozialgesetzbuch IX definiert: “Liegen mehrere Beeintrรคchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeintrรคchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berรผcksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.”

Ein Grad der Behinderung von zehn wird nicht berรผcksichtigt

Selbst mehrere leichte Behinderungen mit einem Grad von zehn werden gewรถhnlich nicht bei der Bewertung hinzugezogen. Vielmehr gehen Mediziner davon aus, dass solche leichten Stรถrungen nicht die gesamte Beeintrรคchtigung verstรคrken – oder zumindest kaum.

Negative Wechselwirkungen

Wenn verschiedene Einzelbehinderungen sich negativ beeinflussen, dann erhรถht sich tatsรคchlich der gesamte Grad der Behinderung. Allerdings erfolgt auch in diesem Fall keine einfache Addition. Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Erkrankungen werden bei der Bewertung des Grades der Behinderung nicht ausdrรผcklich einbezogen. Bei der Bewertung der Gesamtbeeintrรคchtigung zรคhlt hingegen die Kombination der einzelnen Beeintrรคchtigungen.

Ein Beispiel fรผr negative Verstรคrkung

Nehmen wir an, Sie haben eine erhebliche Sehschwรคche. Kommt zu dieser noch eine ausgeprรคgte Schwerhรถrigkeit hinzu? Dann verstรคrken sich diese Beschwerden gegenseitig. Sie kรถnnen nรคmlich nicht mehr die eine Einschrรคnkung durch das andere Sinnesorgan abfedern, also teilweise die Sehschwรคche durch das Gehรถr ausgleichen.

Deshalb liegt eine schwere Sehbehinderung allein bei einem Grad der Behinderung von 20 bis 70. Eine gleichzeitige Seh- und Hรถrbehinderung fรผhrt jedoch zu einem Grad der Behinderung von 50 bis 100. Sie wรคren damit also in jedem Fall schwerbehindert.

Keine Verstรคrkung bei Stรถrungen im gleichen Bereich

Wenn Sie hingegen in einem Bereich eine stark ausgeprรคgte Funktionsstรถrung und eine leichtere haben, dann erhรถht die leichtere in der Regel nicht den Gesamtgrad der Behinderung. Wenn Sie zum Beispiel bereits erheblich wegen einer Hรผftarthrose in Ihrer Gehfรคhigkeit eingeschrรคnkt sind, dann verstรคrkt eine leichte Stรถrung im Beckenbereich Ihre Mobilitรคt nicht zusรคtzlich.

Kurz gesagt: Eine starke Beeintrรคchtigung fรผhrt bei einer weiteren leichteren Stรถrung im selben Bereich zu keinem hรถheren Gesamtgrad – beziehungsweise zu einer niedrigen Erhรถhung.

Wenn Einzelbehinderungen nebeneinander stehen

AuรŸerdem kรถnnen einzelne Behinderungen zwar in verschiedenen Bereichen auftreten, aber aufeinander ohne Wirkung bleiben. Das gilt zum Beispiel bei einer Einschrรคnkung in den Ohren und einer leichteren Einschrรคnkung im Rumpfbereich: Gesundheitsprobleme im Rumpf verstรคrken keine Schwerhรถrigkeit.

Wenn Einzelbehinderungen die spezifische Einschrรคnkung verstรคrken

Es geht also um die Einschrรคnkung in einem spezifischen Bereich. Bleiben wir bei einer erheblichen Gehbehinderung, verursacht durch eine Funktionseinschrรคnkung der Hรผfte. Kommt zu diesem Hรผftleiden jetzt noch ein kรผnstliches Kniegelenk mit Komplikationen nach der Operation hinzu, dann verstรคrkt das die bestehende Gehbehinderung. Beide Einzelgrade der Behinderung fรผhren also zu einem hรถheren Gesamtgrad. So kann aus einer erheblichen Gehbehinderung eine auรŸergewรถhnliche Gehbehinderung werden.