Schwerbehinderung: Arbeitgeber muss für behinderungsgerechte Beschäftigung sorgen – Urteil

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Arbeitgeber sind rechtlich dazu verpflichtet, schwerbehinderte Menschen so zu beschäftigen, dass sie ihre Arbeitsaufgaben behinderungsgerecht ausführen können. Das betrifft nicht nur die Anpassung des Arbeitsplatzes, sondern auch die Zuordnung von Aufgaben, die den individuellen Einschränkungen des Arbeitnehmers gerecht werden.

Der Fall des hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG Hessen, Az.: 21 Sa 593/10) zeigt, wie diese Verpflichtung umgesetzt werden muss und welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn Arbeitgeber diesen Pflichten nicht nachkommen.

Kern des Urteils: Ein konkreter Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeit

Im vorliegenden Fall hatte ein schwerbehinderter Mitarbeiter, der als Flugzeugabfertiger angestellt war, Anspruch auf eine behinderungsgerechte Umgestaltung seines Arbeitsplatzes geltend gemacht. Aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen konnte er seine ursprünglichen Aufgaben nicht mehr vollständig wahrnehmen.

Der Arbeitgeber hatte ihm jedoch nur alternative Aufgaben zugeteilt, die auch nicht seiner gesundheitlichen Situation entsprachen, wie das Aufräumen und Reinigen von Flächen. Diese Aufgaben beinhalteten Tätigkeiten im Freien, was seine Beschwerden verschlimmerte. Der Arbeitnehmer forderte stattdessen eine Tätigkeit als Personalfahrer, die seinen gesundheitlichen Anforderungen eher entsprach.

Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und verpflichtete den Arbeitgeber, eine Tätigkeit bereitzustellen, die seinen Behinderungen gerecht wird.

Gesetzliche Grundlagen für behinderungsgerechte Arbeitsgestaltung

Die rechtliche Grundlage für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur behinderungsgerechten Arbeitsplatzgestaltung findet sich in Artikel 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie im Sozialgesetzbuch IX (§ 81 Abs. 4 SGB IX). Diese Regelungen schreiben vor, dass Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen so anpassen müssen, dass behinderte Menschen ihre Arbeit ohne Nachteile ausüben können.

Das umfasst sowohl die technischen Anpassungen des Arbeitsplatzes als auch die Zuweisung von Aufgaben, die für den Arbeitnehmer leistbar sind.

In diesem konkreten Fall hatte der Arbeitgeber zwar Anpassungen vorgenommen, diese wurden jedoch als unzureichend erachtet.

Das Konzept des “Runden Tisches” im betrieblichen Eingliederungsmanagement

Ein wichtiger Aspekt dieses Falles war das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM), welches im Jahr 2009 im Rahmen eines “Runden Tisches” stattfand. Ziel des BEM ist es, Möglichkeiten zur Anpassung der Arbeitsbedingungen zu identifizieren, damit der Arbeitnehmer weiterhin beschäftigt werden kann. In diesem Fall führte der “Runde Tisch” allerdings nicht zu einer zufriedenstellenden Lösung für den Kläger. Die zugewiesenen Aufgaben blieben für ihn gesundheitlich belastend.

Der BEM-Prozess soll eigentlich dazu beitragen, geeignete Maßnahmen zu finden, um die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen zu sichern. Arbeitgeber sind hier gefordert, aktiv mit dem Arbeitnehmer sowie externen Experten zusammenzuarbeiten, um eine optimale Lösung zu finden.

Der Fall zeigt jedoch, dass diese Bemühungen allein nicht immer ausreichen, wenn die tatsächlichen Maßnahmen nicht den gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechen.

Welche Aufgaben müssen Arbeitgeber im Rahmen der Fürsorgepflicht übernehmen?

Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass die zugewiesenen Aufgaben mit den gesundheitlichen Einschränkungen der Mitarbeiter kompatibel sind. Im Urteil des LAG Hessen wurde betont, dass die Zuweisung von nicht angemessenen Aufgaben gegen die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstößt.

In diesem Fall hätte der Arbeitgeber statt der zugewiesenen Reinigungs- und Aufräumarbeiten dem Kläger eine Tätigkeit zuweisen müssen, die keine Tätigkeiten im Freien bei widrigen Wetterbedingungen beinhaltet.

Arbeitsmedizinische Gutachten als Entscheidungsgrundlage

Ein weiterer Punkt des Verfahrens waren die arbeitsmedizinischen Gutachten, die zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung des Klägers herangezogen wurden. Diese Gutachten stellten fest, dass der Kläger keine schweren Lasten tragen und keine längeren Wegstrecken zurücklegen sollte. Zudem wurde festgelegt, dass Tätigkeiten bei Kälte, Nässe und Feuchtigkeit vermieden werden sollten.

Trotz dieser klaren Empfehlungen wurde der Kläger weiterhin mit Aufgaben betraut, die diesen Anforderungen widersprachen. Das Gericht stellte klar, dass der Arbeitgeber an die Ergebnisse solcher Untersuchungen gebunden ist, sofern keine anderen, begründeten Einwände bestehen.

Die Zuweisung der Position als Personalfahrer wäre eine Alternative gewesen, die den medizinischen Anforderungen entsprochen hätte.

Arbeitsplatzanpassung und Zumutbarkeit für den Arbeitgeber

Nach § 81 Abs. 4 SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet, Anpassungen vorzunehmen, sofern diese zumutbar sind und keine unverhältnismäßig hohen Kosten verursachen. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, sondern lediglich die bestehenden Arbeitsplätze gegebenenfalls anzupassen.

Im vorliegenden Fall argumentierte der Arbeitgeber, dass die Position des Personalfahrers keine separate Stelle sei, sondern nur temporär bestimmten Mitarbeitern zugewiesen werde.

Das Gericht stellte jedoch fest, dass diese Tätigkeit im Rahmen der behinderungsgerechten Anpassung hätte angeboten werden müssen, insbesondere weil vergleichbare Mitarbeiter ähnliche Anpassungen erfahren hatten.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz: Vergleichbare Mitarbeiter und Schonarbeitsplätze

Der Kläger argumentierte zudem, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wurde, da andere leistungsgeminderte Mitarbeiter auf sogenannte Schonarbeitsplätze versetzt worden waren, während ihm diese Möglichkeit verwehrt blieb.&x20;

Das Gericht folgte dieser Argumentation und stellte fest, dass der Arbeitgeber dem Kläger keinen weniger belastenden Arbeitsplatz zugewiesen hatte, obwohl entsprechende Möglichkeiten bestanden. Dies stellt eine Ungleichbehandlung dar, die im Sinne des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht gerechtfertigt werden konnte.

Arbeitgeber sind demnach verpflichtet, vergleichbare Maßnahmen zur Unterstützung schwerbehinderter Mitarbeiter zu ergreifen, um Diskriminierungen zu vermeiden.

Klagbarer Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung

Das Urteil des LAG Hessen stellt klar, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer einen klagbaren Anspruch auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung haben.

Dieser Anspruch besteht nicht nur abstrakt, sondern kann konkret auf eine bestimmte Tätigkeit gerichtet sein, wenn andere Aufgaben aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar sind und entsprechende Stellen im Betrieb vorhanden sind.

Arbeitgeber sollten daher sicherstellen, dass sie im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht angemessene Anpassungen vornehmen und den Arbeitnehmern geeignete Tätigkeiten zuweisen, die deren gesundheitlichen Einschränkungen gerecht werden.

Tun sie dies nicht, können betroffene Arbeitnehmer ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen, wie das vorliegende Urteil zeigt.