Schwerbehinderung: Zwei-Stunden-Regel – So wird Merkzeichen H rechtlich anerkannt

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Eine psychische Erkrankung kann die Merkzeichen H und B im Schwerbehindertenausweis rechtfertigen. Hilflosigkeit (Merkzeichen H) liegt vor, wenn der tรคgliche Zeitaufwand fรผr fremde Hilfe bei den regelmรครŸig wiederkehrenden Verrichtungen des tรคglichen Lebens erheblich ist, in der Regel also mindestens zwei Stunden pro Tag.

Anspruch auf die Mitnahme einer Begleitperson (Merkzeichen B) besteht, wenn jemand fรผr die Nutzung รถffentlicher Verkehrsmittel regelmรครŸig auf fremde Hilfe angewiesen ist โ€“ etwa weil Planung, Orientierung oder das situationsangemessene Verhalten ohne Unterstรผtzung nicht mรถglich sind.

Dies gilt laut dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg nicht nur bei kรถrperlichen Einschrรคnkungen, sondern ebenso bei psychischen Leiden (Az. L 13 SB 158/14).

Voraussetzungen fรผr Hilflosigkeit: Zwei Stunden tรคglich als Richtwert

Der Betroffene hatte bei der zustรคndigen Versorgungsbehรถrde die Anerkennung eines Grades der Behinderung von รผber 50 sowie die Feststellung der Merkzeichen H und B beantragt. Die Behรถrde lehnte den Antrag ab; auch der Widerspruch blieb erfolglos.

Wann Hilflosigkeit trotz geringerer Zeiten anerkannt werden kann

Vor dem Sozialgericht Potsdam verfolgte der Mann sein Anliegen weiter. Das Gericht holte ein ergรคnzendes Gutachten eines Neurologen und Psychiaters ein. Im Ergebnis verpflichtete es die Behรถrde zwar, einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 anzuerkennen, sah die Voraussetzungen fรผr die Merkzeichen H und B jedoch als nicht erfรผllt an.

Der konkrete Fall: Anerkannter GdB 80 und Merkzeichen

Dagegen legte der Betroffene Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ein โ€“ mit Erfolg. Die Richter bestรคtigten sowohl den GdB 80 als auch die Zuerkennung der Merkzeichen H und B.

Zeitaufwand im Alltag: Pflege, Kommunikation, Begleitung auรŸer Haus

Fรผr die Entscheidung stellte das Gericht klar: Hilflosigkeit ist grundsรคtzlich anzunehmen, wenn mindestens zwei Stunden tรคglicher Hilfebedarf bestehen. Liegt der Zeitaufwand darunter (zwischen einer und zwei Stunden), kann Hilflosigkeit ausnahmsweise ebenfalls bejaht werden, wenn der wirtschaftliche Wert der erforderlichen Hilfe besonders hoch ist.

Bei der Beurteilung werden nicht nur Grundpflegehandlungen berรผcksichtigt, sondern auch Betreuungs- und รœberwachungsbedarfe wie geistige Anregung und Kommunikation. Hauswirtschaftliche Tรคtigkeiten zรคhlen hingegen nicht in die Zeitbewertung hinein.

Im konkreten Fall waren die Voraussetzungen erfรผllt. Der tรคgliche Hilfebedarf des Betroffenen รผberschritt deutlich die Zwei-Stunden-Grenze: In den Bereichen Kรถrperpflege, Ernรคhrung und Mobilitรคt benรถtigte er tรคglich 51 Minuten Hilfe, fรผr geistige Anregung und Kommunikation 120 Minuten und fรผr die Begleitung auรŸer Haus 45 Minuten. Damit war Hilflosigkeit gegeben und das Merkzeichen H zuerkannt.

Merkzeichen B: Hilfe im ร–PNV bei psychischen Einschrรคnkungen

Auch die Kriterien fรผr das Merkzeichen B lagen vor. MaรŸgeblich war hier ein Sachverstรคndigengutachten, wonach der Betroffene aufgrund einer schweren psychischen Stรถrung weder Start- und Zielort einer Fahrt planen noch sich bei Fahrplanรคnderungen sinnvoll verhalten konnte.

Ohne Begleitung wรผrde er immer wieder im Fahrzeug sitzenbleiben oder gar nicht erst einsteigen. Das Gericht betonte, dass B nicht nur kรถrperliche Einschrรคnkungen betrifft: Wer zwar kรถrperlich ein- und aussteigen kann, den ร–PNV aber wegen psychischer Beeintrรคchtigungen faktisch nicht allein nutzen kann, erfรผllt ebenfalls die Voraussetzungen.

Praxis: Wertmarke, Begleitperson und Kombination mit weiteren Merkzeichen

Das Merkzeichen B wird in der Regel zusรคtzlich zu anderen Merkzeichen (hรคufig G oder H) vergeben, wenn fรผr die Nutzung รถffentlicher Verkehrsmittel regelmรครŸig fremde Hilfe erforderlich ist. B berechtigt die Begleitperson zur unentgeltlichen Mitfahrt. Dies ist unabhรคngig von der Wertmarke, die die unentgeltliche Befรถrderung des schwerbehinderten Menschen selbst betrifft.

Hilfebedarf richtig dokumentieren: Alltag strukturieren und Zeiten erfassen

Fรผr H ist entscheidend, dass die Hilfe hรคufig, regelmรครŸig und tรคglich benรถtigt wird und sich auf die typischen Verrichtungen des Alltags einschlieรŸlich notwendiger Beaufsichtigung und Anleitung erstreckt; die Zwei-Stunden-Schwelle dient als klare Orientierung.

Betroffene sollten den Hilfebedarf strukturiert erfassen und โ€“ neben der Grundpflege โ€“ auch kognitive, kommunikative und betreuende Unterstรผtzungsleistungen dokumentieren.

Was das Urteil fรผr Antrรคge und Widersprรผche konkret bedeutet

Das Urteil zeigt: Psychische Erkrankungen kรถnnen die gleichen Nachteilsausgleiche auslรถsen wie kรถrperliche Behinderungen. Entscheidend sind der tatsรคchlich regelmรครŸig anfallende Hilfebedarf und die konkrete Unfรคhigkeit, รถffentliche Verkehrsmittel ohne fremde Hilfe zu nutzen.

Wer im ร–PNV ohne Begleitung nicht zuverlรคssig ans Ziel gelangt, hat Anspruch auf das entsprechende Merkzeichen B.