Schwerbehinderte Mieter können mehr Ansprüche vom Vermieter verlangen

Lesedauer 5 Minuten

Im Mehrfamilienhaus entscheidet oft der Hausflur darüber, ob Menschen mit Schwerbehinderung ihre Wohnung überhaupt erreichen können. Darf der E-Rollstuhl vor der Tür stehen, wohin mit dem Scooter oder dem Pflegebett, und was gilt, wenn die Hausordnung Hunde verbietet, eine Person aber auf einen Assistenzhund angewiesen ist?

In Wohnungseigentumsanlagen kommen Konflikte um Rampen, Treppenlifte und Aufzugumbauten hinzu, bei denen sich schnell Kostenangst und Barrierefreiheit gegenüberstehen.

Rechtsprechung und Praxis

Rechtlich sind die Teilhaberechte im Miet- und WEG-Recht deutlich gestärkt worden. In der Praxis prallen sie jedoch auf Hausordnungen, Brandschutzargumente, Verwaltertricks und die Angst der Betroffenen, ihre Wohnung zu verlieren.

Rechtsgrundlagen: Barrierefreiheit im Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Für Mieterinnen und Mieter ist § 554 BGB der grundlegende Hebel. Vermieter müssen bauliche Veränderungen dulden, wenn sie dem Gebrauch der Wohnung durch Menschen mit Behinderungen dienen oder Barrieren abbauen, etwa durch Handläufe, Türverbreiterungen oder sichere Abstell- und Lademöglichkeiten für Hilfsmittel.

Die Zustimmung darf nur verweigert werden, wenn unzumutbare Nachteile entstehen. Die Kosten trägt in der Regel die Mieterin oder der Mieter selbst, meist unterstützt durch Pflegekasse oder Förderprogramme.

Barrierefreiheit in der WEG: Mehrheit statt Einstimmigkeit

Im Wohnungseigentumsrecht erlaubt § 20 WEG jeder Eigentümerin und jedem Eigentümer, angemessene bauliche Veränderungen zu verlangen, die der Nutzung durch Menschen mit Behinderungen dienen. Über Rampen, Treppenlifte oder Aufzugsumbauten entscheidet die Eigentümerversammlung inzwischen mit einfacher Mehrheit.

Wer trägt die Kosten?

Die Kosten trägt grundsätzlich der Antragsteller, es sei denn, die Gemeinschaft beschließt eine andere Verteilung. Grenzen bestehen dort, wo die Anlage grundlegend umgestaltet würde oder einzelne Eigentümer unbillig belastet werden. Auf dem Papier ist Barrierefreiheit damit privilegiert, die Durchsetzung bleibt aber mühsam.

Rollstuhl, Scooter und Pflegehilfsmittel: Was im Hausflur erlaubt ist

Gerichte stellen seit Jahren klar, dass Rollatoren, Rollstühle und andere notwendige Hilfsmittel im Treppenhaus oder Hausflur abgestellt werden dürfen, solange Fluchtwege frei bleiben und der Durchgang nicht massiv verengt wird. Pauschale Verbote in Hausordnungen sind unwirksam, wenn die betroffene Person auf das Hilfsmittel angewiesen ist.

Vermieter müssen zudem oft praktikable Lösungen ermöglichen, etwa gut zugängliche Abstellflächen im Erdgeschoss. Wer aus reiner „Optik“ oder Bequemlichkeit das Entfernen eines Rollstuhls verlangt, bewegt sich rechtlich auf dünnem Eis.

E-Rollstühle und Scooter: Brandschutz als Totschlagargument

Mit E-Rollstühlen und Scootern verschiebt sich der Streit. Viele Verwaltungen stufen Lithium-Ionen-Akkus als generelles Brandschutzrisiko ein und untersagen das Abstellen im Treppenhaus vollständig. Problematisch ist, dass häufig pauschal argumentiert wird, ohne konkrete Gefahrenbewertung oder Alternativkonzept.

In Altbauten ohne Aufzug ist der Verweis in tiefe Kellerräume realitätsfern. Aus einem eigentlichen Brandschutzthema wird so ein Instrument, um Hilfsmittel aus dem Sichtfeld verschwinden zu lassen.

Strukturelles Problem: Rechte ohne praktikable Lösungen

Formal sind die Duldungspflichten klar. Faktisch scheitert die Umsetzung oft daran, dass Vermieter keine baulich sinnvollen Alternativen schaffen wollen, Versicherer Druck machen oder Verwalter jede Verantwortung von sich weisen. Betroffene stehen zwischen Hausordnung, Brandschutz und ihrem Recht auf Teilhabe – und verzichten nicht selten aus Angst vor Streit auf ihre Ansprüche.

Assistenz- und Therapiehunde: Persönlichkeitsrecht gegen Hausordnung

Viele Mietverträge enthalten noch immer generelle Tierverbote. Nach der Rechtsprechung sind solche Klauseln aber unwirksam; es muss im Einzelfall abgewogen werden. Bei schwerbehinderten Menschen fällt diese Abwägung in aller Regel zugunsten eines Assistenz- oder Therapiehundes aus. Ein schlichtes „Hunde verboten“ trägt dann nicht mehr.

Warum Assistenzhunde in der Regel zu dulden sind

Benötigt eine Person den Hund, um ihre Behinderung auszugleichen, wie bei Mobilitäts-, Blinden-, Epilepsie- oder psychiatrischen Assistenzhunden, überwiegt das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Person normalerweise die Hausordnung.

Ein striktes Hundeverbot kann dann eine unzulässige Benachteiligung darstellen. Vermieter müssen solche Fälle akzeptieren, auch wenn sich andere Hausbewohner „gestört fühlen“.

Grenzen: Gemeinschaftsflächen und massive Störungen

Die Duldung ist allerdings nicht schrankenlos. Ein Assistenzhund gibt kein Recht, gemeinschaftliche Rasenflächen dauerhaft zu umzäunen oder Treppenhäuser zur Hundespielzone zu machen.

Bei erheblichem Dauerbellen, Verwahrlosung oder massiven Allergieproblemen in der Nachbarschaft können Einschränkungen zulässig sein. Entscheidend bleibt die Abwägung im konkreten Fall, nicht das pauschale Verbot.

Unsichtbare Behinderungen: Offenlegung intimer Details

Besonders problematisch ist die Situation für Menschen mit psychischen oder „unsichtbaren“ Beeinträchtigungen. Sie müssen gegenüber Vermietern oft intime medizinische Informationen preisgeben, um die Notwendigkeit eines Therapiehundes zu belegen.

Gleichzeitig wird der Unterschied zwischen zertifizierten Assistenzhunden und bloßen Begleithunden gerne genutzt, um legitime Bedarfe in Frage zu stellen. Aus einem Schutzinstrument wird so ein Filter, der genau diejenigen ausgrenzt, die auf Hilfe angewiesen sind.

Rampen, Treppenlifte, Aufzugumbauten: Neue Rechte im WEG – alte Blockaden

In Wohnungseigentümergemeinschaften sind barrierefreie Umbauten rechtlich privilegiert. Eine schwerbehinderte Eigentümerin kann verlangen, dass über eine Rampe, einen Treppenlift oder einen Aufzugumbau abgestimmt wird.

Die Hürden für einen Beschluss sind gesunken, die Möglichkeit, Barrierefreiheit durch Mehrheiten zu verhindern, ist kleiner geworden. Damit sollte eigentlich verhindert werden, dass einzelne Eigentümer die Mobilität anderer blockieren.

Typische Konflikte: Ästhetik gegen Selbstständigkeit

In der Praxis dominieren jedoch bekannte Muster. Erdgeschoss-Eigentümer fürchten verschandelte Vorgärten durch Rampen, Dachgeschoss-Eigentümer wollen für Aufzugsumbauten nicht zahlen, die sie vermeintlich nicht benötigen, und Verwalter verzögern Beschlüsse oder formulieren sie so schwammig, dass Betroffene vor Gericht ziehen müssen.

Die Perspektive schwerbehinderter Menschen, die ohne Umbau faktisch von der Nutzung ihrer eigenen Wohnung ausgeschlossen sind, bleibt in den Debatten oft zweitrangig.

Härtefallklauseln: Schutzschirm oder Blockadeinstrument?

Die Härteklausel im WEG, die unzumutbare Belastungen verhindern soll, wird häufig asymmetrisch genutzt. Eigentümer berufen sich erfolgreich auf finanzielle Überforderung, während schwerbehinderte Eigentümer umfangreiche Unterlagen vorlegen müssen, um ihre Bedarfe glaubhaft zu machen. Am Ende steht nicht selten eine juristische Pattsituation, in der die körperlich Schwächsten das höchste Risiko tragen.

Härtefallklauseln, AGG und Grundrechte: Anspruch und Wirklichkeit

Verfassungsrecht, AGG und spezielle miet- und wohnungseigentumsrechtliche Regelungen verbieten Benachteiligungen und schaffen Duldungsansprüche. In der Realität fehlt jedoch ein wirksamer Durchsetzungsmechanismus. Wer sich nicht wehrt, bleibt an der Hausordnung hängen, auch wenn sie klar rechtswidrig wäre.

Kosten und Prozessrisiko liegen bei den Schwächsten

Barrierefreie Umbauten kosten Geld, und genau dieses Geld fehlt vielen Betroffenen. Zuschüsse werden kompliziert beantragt, sind begrenzt und oft nur einmalig verfügbar. Gleichzeitig tragen Betroffene das volle Prozessrisiko, wenn Vermieter oder Eigentümergemeinschaften sich sperren.

Wer krank, pflegebedürftig und auf Hilfsmittel angewiesen ist, scheut nachvollziehbar Klagewege, lange Verfahren und das Risiko, das Wohnverhältnis weiter zu belasten.

Pingpong zwischen Mietrecht und WEG-Recht

Besonders zermürbend ist das Zuständigkeits-Pingpong in WEG-Anlagen. Mieterinnen wenden sich an den Vermieter, dieser verweist auf die Eigentümergemeinschaft, die wiederum auf Beschlussfristen und Verwalter. Während sich die Gremien sortieren, bleibt die Wohnung für die betroffene Person faktisch weiterhin nur mit fremder Hilfe erreichbar.

Was Betroffene tun können – und was die Politik nachliefern muss

Wer Hilfsmittel im Hausflur benötigt oder bauliche Veränderungen plant, sollte Anträge immer schriftlich stellen, den gesundheitlichen Bedarf begründen und relevante Nachweise beifügen. Schriftliche Ablehnungen sind die Grundlage, um Rechte zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.

Gerade bei Assistenz- und Therapiehunden lohnt es, ausdrücklich auf die bestehende Rechtsprechung hinzuweisen und den Charakter als behinderungsbedingte Unterstützung hervorzuheben.

Unterstützung holen und Verbündete suchen

Mietervereine, Behindertenverbände und Beratungsstellen kennen typische Argumentationsmuster von Hausverwaltungen und die wichtigsten Urteile. Sie können helfen, Schreiben aufzusetzen, Fristen zu wahren und einzuschätzen, wann sich ein Verfahren lohnt.

In WEG-Gemeinschaften ist es sinnvoll, frühzeitig Mitstreiter zu gewinnen und deutlich zu machen, dass Barrierefreiheit den Wert der gesamten Anlage steigert und allen beim Älterwerden zugutekommt.

Gesetzgeberische Nachbesserungen

Solange Brandschutz, Denkmalschutz und Kostenvorbehalte praktisch mehr Gewicht haben als Grundrechte, bleibt Barrierefreiheit im Mehrfamilienhaus eine zähe Auseinandersetzung.

Teilhabe muss auch ohne Klage möglich sein

Denkbar wären klarere Vorgaben zur Kostenverteilung, ein Ausbau der Zuschüsse, eine Verschiebung von Beweislasten hin zu Vermietern und Eigentümergemeinschaften sowie Sanktionen bei offenkundig diskriminierenden Hausordnungen. Erst wenn Teilhaberechte auch ohne Klage durchsetzbar sind, wird das Mehrfamilienhaus tatsächlich inklusiv.