Wer von der Erwerbsminderungsrente in die Altersrente wechseln kann, steht vor einer entscheidenden Frage: jetzt umsteigen oder bis zur regulären Altersgrenze warten.
Im Fall von Karl, 63 Jahre alt und seit vielen Jahren in voller Erwerbsminderungsrente, zeigt sich sehr klar, worauf es ankommt – und warum die Angst vor einer später niedrigeren Altersrente in vielen Fällen unbegründet ist.
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Ausgangslage: Langjährige Erwerbsminderungsrente, Option auf vorgezogene Altersrente
Karl erhält seit fast zwei Jahrzehnten eine unbefristete volle Erwerbsminderungsrente. Die Deutsche Rentenversicherung hat ihm nun mitgeteilt, dass er bereits mit 63 in eine vorgezogene Altersrente wechseln könnte, obwohl seine Regelaltersrente erst einige Jahre später beginnen würde.
Damit stehen zwei Wege nebeneinander: Entweder bleibt er in der Erwerbsminderungsrente, bis die Regelaltersgrenze erreicht ist, oder er nutzt schon jetzt die Möglichkeit, in die Altersrente zu wechseln. Seine Sorge ist nachvollziehbar:
Wenn bei der vorgezogenen Altersrente zusätzliche Abschläge anfallen, könnte die Rente niedriger sein als bisher. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob sich durch ein Warten bis zur Regelaltersgrenze überhaupt noch eine merklich höhere Altersrente aufbauen lässt.
Wie die Erwerbsminderungsrente berechnet wird – und was das für Karl bedeutet
Wer früh erwerbsgemindert wird, hat häufig noch keine durchgehende Erwerbsbiografie. Damit die Rente nicht extrem niedrig ausfällt, arbeitet die Rentenversicherung mit der sogenannten Zurechnungszeit. Sie tut so, als würde die betroffene Person bis zu einem bestimmten Alter weiterarbeiten und Beiträge zahlen. Diese fiktive Zeit wird in Entgeltpunkte umgerechnet und erhöht so die Erwerbsminderungsrente.
Als Karl die Erwerbsminderungsrente zugesprochen wurde, galten allerdings noch ungünstigere Regeln als heute. Die Zurechnungszeit endete früher, die Hochrechnung war also kürzer.
Hinzu kommt, dass seine Erwerbsminderungsrente dauerhaft mit Abschlägen belastet wurde, typischerweise bis zu 10,8 Prozent. Er erhält also eine Rente, die zwar durch die Zurechnungszeit gestützt, aber dauerhaft gekürzt ist.
Seit Beginn der Erwerbsminderungsrente hat Karl – von möglichen Ausnahmen wie versicherungspflichtigen Minijobs oder anerkannten Pflegezeiten abgesehen – kaum neue Entgeltpunkte erworben.
Das führt dazu, dass die später zu berechnende Altersrente im Regelfall niedriger wäre als die bisherige Erwerbsminderungsrente, weil keine nennenswerten zusätzlichen Beitragszeiten mehr hinzukommen.
Bestandsschutz: Der wichtigste Schutzmechanismus beim Rentenwechsel
Entscheidend ist der gesetzliche Bestandsschutz beim Übergang von der Erwerbsminderungsrente in die Altersrente. Dieser sorgt dafür, dass der Zahlbetrag beim Wechsel nicht einfach absinken darf.
Konkret gilt: Geht Karl nahtlos oder innerhalb von maximal 24 Monaten nach dem Ende der Erwerbsminderungsrente in eine Altersrente über, darf die neue Altersrente nicht niedriger ausfallen als die bisherige Erwerbsminderungsrente.
Die Rentenversicherung berechnet zwar eine „eigentliche“ Altersrente auf Grundlage der vorhandenen Entgeltpunkte. Fällt dieser Betrag niedriger aus, greift der Bestandsschutz und hebt das Niveau mindestens auf den bisherigen Zahlbetrag der Erwerbsminderungsrente an.
Für Karl bedeutet das: Egal ob er jetzt mit 63 in die vorgezogene Altersrente wechselt oder erst zur Regelaltersgrenze, er muss nicht befürchten, dass seine Altersrente unter das bisherige Niveau der Erwerbsminderungsrente sinkt, solange der Übergang fristgerecht erfolgt.
Die bisherigen Abschläge bleiben zwar bestehen, es kommen aber durch den Wechsel keine zusätzlichen Nachteile hinzu.
Vorzeitiger Wechsel oder Warten: Lohnt sich das Aufschieben der Altersrente?
Theoretisch könnte man annehmen, dass es sich lohnt, mit dem Wechsel in die Altersrente zu warten, um Abschläge zu vermeiden und noch Entgeltpunkte zu sammeln. In der Praxis ist dieser Effekt bei langjähriger Erwerbsminderungsrente jedoch meist gering.
Wer über Jahre hinweg keine oder nur sehr geringe Pflichtbeiträge zahlt, baut kaum zusätzliche Entgeltpunkte auf. Selbst wenn Karl in der Zwischenzeit in einem kleinen rentenversicherungspflichtigen Job arbeitet oder Angehörige pflegt, sind die zusätzlichen Entgeltpunkte meist überschaubar. In vielen Fällen reicht das nicht aus, um eine Altersrente zu erreichen, die die bisherige Erwerbsminderungsrente deutlich übersteigt.
Da die Rentenversicherung dank Bestandsschutz verpflichtet ist, mindestens den bisherigen Zahlbetrag zu leisten, entsteht in der Mehrzahl der Fälle kein spürbarer Vorteil, wenn Betroffene nur aus diesem Grund bis zur Regelaltersgrenze warten.
Für Karl heißt das: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass seine Altersrente – egal ob er jetzt wechselt oder einige Jahre später – am Ende etwa auf dem Niveau seiner bisherigen Erwerbsminderungsrente liegt.
Warum eine aktuelle Rentenauskunft trotzdem unverzichtbar ist
Trotz dieser allgemeinen Mechanismen bleibt jeder Versicherungsverlauf individuell. Deshalb sollte Karl sich unbedingt eine aktuelle Rentenauskunft bei der Deutschen Rentenversicherung einholen. In dieser Auskunft sollte sowohl die voraussichtliche Altersrente bei einem Wechsel zum frühestmöglichen Zeitpunkt als auch die Altersrente zur Regelaltersgrenze ausgewiesen werden.
In einem Beratungsgespräch kann zusätzlich geklärt werden, ob in seinem bisherigen Verlauf Besonderheiten eine Rolle spielen, etwa freiwillige Beiträge, Zeiten der Pflege, Auslandsaufenthalte oder rentenrechtliche Lücken.
Erst mit diesen Zahlen vor Augen kann Karl sicher beurteilen, ob sich ausnahmsweise doch ein finanzieller Unterschied ergibt oder ob der Bestandsschutz in seinem Fall genau das leistet, was er soll: die bisherige Rentenhöhe sichern.
Hinzuverdienst in der Erwerbsminderungsrente: Enges Korsett für Arbeit neben der Rente
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Erwerbsminderungsrente und Altersrente liegt beim Hinzuverdienst. Als Bezieher einer vollen Erwerbsminderungsrente darf Karl zwar grundsätzlich arbeiten, aber nur in einem sehr begrenzten Rahmen.
Die gesetzliche Definition der vollen Erwerbsminderung setzt voraus, dass er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig ist. Wer deutlich mehr arbeitet, riskiert, dass die Rentenversicherung die volle Erwerbsminderungsrente überprüft oder entzieht.
Zusätzlich gibt es eine jährliche Hinzuverdienstgrenze. Wird diese überschritten, kann die Rente gekürzt oder in eine teilweise Erwerbsminderungsrente umgewandelt werden. Für Menschen, die wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen ohnehin nur wenige Stunden im Monat arbeiten können, ist diese Grenze oft kein praktisches Problem.
Wer sich jedoch stabiler fühlt und eigentlich mehr arbeiten könnte, stößt schnell an die rechtlichen und finanziellen Grenzen.
Hinzuverdienst in der Altersrente: Unbegrenzte Kombination von Rente und Arbeit
In der Altersrente ist die Situation grundlegend anders. Für Altersrenten – auch für vorgezogene – gelten seit der Reform keine Hinzuverdienstgrenzen mehr. Wer eine Altersrente bezieht, darf beliebig viel hinzuverdienen, ohne dass die Rente deshalb gekürzt wird. Eine formale Stundenbegrenzung wie bei der Erwerbsminderungsrente gibt es ebenfalls nicht.
Für Karl kann das ein entscheidender Punkt sein. Wenn seine Gesundheit es erlaubt, wieder deutlich mehr zu arbeiten, könnte der Wechsel in die Altersrente ihm ermöglichen, ohne Begrenzung aufzustocken.
Er könnte, rein rechtlich, sogar wieder in Vollzeit arbeiten und seine Altersrente zusätzlich beziehen. Die Rente bleibt in voller Höhe erhalten, und der Bestandsschutz verhindert gleichzeitig, dass der Zahlbetrag unter das Niveau der früheren Erwerbsminderungsrente fällt.
Wer dagegen gesundheitlich so stark eingeschränkt ist, dass auch ein flexibler Hinzuverdienst keine reale Option ist, profitiert von dieser Freiheit kaum. Für diese Gruppe unterscheidet sich die Lage in der Erwerbsminderungsrente und in der Altersrente vor allem formal; die Rentenhöhe bleibt dank Bestandsschutz im Wesentlichen gleich.
Rentenanpassungen: Dynamik der Rente bleibt in beiden Systemen erhalten
Ein weiterer Punkt, der Betroffene häufig beschäftigt, sind die jährlichen Rentenerhöhungen. Karl muss sich hier keine Sorgen machen. Sowohl Erwerbsminderungsrenten als auch Altersrenten werden jedes Jahr zum 1. Juli mit dem aktuellen Rentenwert angepasst. Die prozentuale Erhöhung ist identisch.
Ob Karl also als Erwerbsminderungsrentner oder als Altersrentner geführt wird, spielt für die jährliche Erhöhung keine Rolle. Der Bestandsschutz sorgt zusätzlich dafür, dass die neue Altersrente nicht hinter den bereits dynamisierten Zahlbetrag der bisherigen Erwerbsminderungsrente zurückfallen darf.
Was bedeutet das alles für Karl in der Praxis?
Für Karl ergibt sich aus diesen Bausteinen ein klares Bild. Er bezieht seit langer Zeit eine unbefristete volle Erwerbsminderungsrente, auf die bereits Abschläge angerechnet wurden. Seitdem sind kaum neue Entgeltpunkte hinzugekommen. Eine neu berechnete Altersrente würde daher im Regelfall niedriger ausfallen als seine bisherige Erwerbsminderungsrente.
Wechselt er rechtzeitig in die Altersrente, greift der Bestandsschutz. Er stellt sicher, dass Karl mindestens den Zahlbetrag erhält, den er bislang als Erwerbsminderungsrente bekommt. Ob er diesen Schritt jetzt mit 63 oder erst zur Regelaltersgrenze vollzieht, dürfte an der Rentenhöhe wenig ändern. Relevant wird der Zeitpunkt vor allem dann, wenn er tatsächlich wieder arbeiten möchte.
Wenn Karl gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, nennenswert hinzuverdienen, kann er den Wechselzeitpunkt in Ruhe wählen. Geht es ihm vor allem um finanzielle Sicherheit, bieten ihm Erwerbsminderungsrente und Altersrente – mit Bestandsschutz – eine vergleichbare Basis.
Wenn er dagegen plant, seine Arbeitszeit deutlich auszuweiten, spricht viel dafür, den Schritt in die Altersrente früher zu gehen, um die starre Hinzuverdienstgrenze der Erwerbsminderungsrente loszuwerden.
Entscheidungshilfe für Menschen in ähnlicher Lage
Wer sich in einer Situation wie Karl befindet, sollte die Entscheidung nicht allein aus dem Bauch heraus treffen. Zuerst braucht es eine aktuelle Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung, aus der hervorgeht, welche Altersrente zum nächstmöglichen Zeitpunkt und welche zur Regelaltersgrenze zu erwarten ist.
Anschließend ist zu klären, ob tatsächlich noch relevante Entgeltpunkte hinzukommen können oder ob die Erwerbsbiografie im Wesentlichen abgeschlossen ist.
Danach sollte ehrlich bewertet werden, ob ein nennenswerter Hinzuverdienst realistisch ist. Wer aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, wird von den Freiheiten der Altersrente weniger profitieren als jemand, der sich eine Rückkehr in größere Beschäftigungsumfänge vorstellen kann.




