Die Idee klingt verlockend: Zuerst mit 63 Jahren eine halbierte Altersrente beantragen, parallel weiterarbeiten und ein überschaubares Minus von 0,3 Prozent pro vorgezogenem Monat akzeptieren.
Später – etwa nach 45 Versicherungsjahren – beantragt man den „Rest“ der Rente angeblich ohne Abschläge.
In der Alltagspraxis gilt jedoch: Wer einmal eine bestimmte Altersrente bewilligt bekommt, bleibt an diese Rentenart gebunden. Ein Wechsel in eine andere, günstigere Altersrente ist grundsätzlich ausgeschlossen.
Inhaltsverzeichnis
Was regelt § 34 Absatz 2 SGB VI?
Die juristische Falle verbirgt sich in § 34 Abs. 2 Sozialgesetzbuch VI. Dort steht unmissverständlich, dass nach der bindenden Bewilligung einer Altersrente „der Wechsel ausgeschlossen“ ist – nicht nur in eine Erwerbsminderungs-, sondern auch in jede andere Altersrente.
Dieser Passus besteht seit 1996, seine letzte inhaltliche Änderung datiert von 2008. Damit verhindert der Gesetzgeber exakt das Modell „erst Teilrente mit Abschlag, später abschlagsfrei aufstocken“.
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Wie wirken sich die Abschläge real aus?
Ein fiktives Beispiel macht die Größenordnung deutlich:
Jürgen, Jahrgang 1962, hat mit 63 einen rechnerischen Voll-Rentenanspruch von 1 600 Euro. Er entscheidet sich für eine Teilrente von 50 Prozent. Auf die ersten 800 Euro wird wegen des dreijährigen Vorbezugs ein Abschlag von 13,2 Prozent fällig. Netto bleiben rund 694 Euro.
Zwei Jahre später möchte Jürgen die zweite Hälfte seiner Rente ziehen. Weil ihm der Wechsel in die abschlagsfreie „Rente für besonders langjährig Versicherte“ verwehrt ist, unterliegt auch dieser Teil der bisherigen Rentenart.
Der Abschlag schrumpft zwar auf 6 Prozent, doch ungekürzte Bezüge gibt es nie mehr. Selbst unter vereinfachten Annahmen kostet ihn die frühe Teilrente damit dauerhaft mehrere Hundert Euro pro Monat.
Gibt es einen Weg, die Kürzungen komplett zu vermeiden?
Wer gesundheitlich fit ist und seinen Job weiterhin ausüben kann, fährt rechnerisch am besten, erst ab dem frühestmöglichen abschlagsfreien Termin eine – gern nahezu volle – Teilrente zu wählen.
Seit den Flexirenten-Reformen dürfen Hinzuverdienste oberhalb der Regelaltersgrenze ohnehin unbegrenzt sein; unter der Grenze gelten seit 2023 nur noch sehr hohe pauschale Freigrenzen.
Dadurch lässt sich ein nahezu volles Gehalt mit einer ungekürzten Altersrente kombinieren.
Was, wenn Arbeiten bis zur Abschlagsfreiheit nicht möglich ist?
Ist die Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen eingeschränkt, können andere Einkommensquellen die Lücke schließen: Krankengeld, Übergangsgeld bei Reha-Maßnahmen oder – nach Jobverlust – Arbeitslosengeld I.
Alternativ kann eine Erwerbsminderungsrente geprüft werden; hier gelten jedoch eigene Zugangsvoraussetzungen. Solche Schritte sollten immer mit der Deutschen Rentenversicherung und – falls nötig – der Arbeitsagentur abgestimmt werden, damit Fristen gewahrt bleiben.
Dennoch Hinzuverdienst für die spätere Rentenhöhe
Wer trotz Teil- oder Vollrente arbeitet und Rentenbeiträge zahlt, erhöht seine spätere Monatsrente dauerhaft. Durch die Flexirente werden hierfür Zuschläge gutgeschrieben – selbst bei Minijobs, sofern auf die Versicherungsfreiheit verzichtet wird.
Vor- und Nachteile variieren mit Einkommenshöhe, Beschäftigungsform und Steuerklasse; eine individuelle Berechnung ist ratsam.
Warum ist professionelle Beratung unverzichtbar?
Jede Rentenentscheidung hat lebenslange Folgen. Bereits ein einziger fehlerhafter Antrag kann fünfstellige Einbußen bedeuten, die später nicht mehr korrigierbar sind. Versicherte sollten daher
- vor dem ersten Rentenantrag eine kostenlose Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung aufsuchen,
- ihr Versicherungskonto klären lassen,
- Szenarien mit und ohne Teilrente durchspielen und
- sich bei komplizierten Erwerbsbiografien zusätzlich an einen zugelassenen Rentenberater wenden.
Fazit
Die Kombination „Teilrente mit 63, später abschlagsfrei aufstocken“ scheitert am klaren Wortlaut des § 34 Abs. 2 SGB VI. Wer langfristig das volle Altersruhegeld sichern will, muss entweder ganz auf den vorzeitigen Rentenbezug verzichten oder die Kürzungen bewusst in Kauf nehmen.
Je früher die Frage gestellt wird, desto mehr Handlungsoptionen bleiben – und desto größer ist die Chance, den wohlverdienten Ruhestand ohne böse finanzielle Überraschungen zu genießen.