Rente: Sozialamt muss auch unangemessene Unterkunftskosten übernehmen

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Ein 75-jähriges Ehepaar bezieht Altersrenten und erhält zusätzlich Grundsicherung im Alter vom zuständigen Kreis. Sie bewohnen eine 62 m² große Wohnung mit einer Bruttokaltmiete von 580 EUR monatlich. Die Ehefrau ist schwerbehindert und kann sich nur mit einem Gehstock und Rollator fortbewegen; mittlerweile wurde ihr ein Rollstuhl verordnet.

Ihr wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit) und B (Berechtigung für eine ständige Begleitung) zuerkannt.

Sozialamt fordert Kostensenkung

Das Sozialamt informierte das Ehepaar, dass eine Bruttokaltmiete von 461 EUR monatlich in ihrer Region als angemessen betrachtet werde und forderte sie auf, eine kostengünstigere Wohnung zu suchen.

Trotz dieser Aufforderung übernahm das Sozialamt vorübergehend noch für mehrere Jahre die tatsächlichen Mietkosten in Höhe von 580 EUR.

Mangelnde Berücksichtigung besonderer Umstände

Zur Mitte des Jahres 2017 entschied der beklagte Kreis, nur noch die als angemessen betrachteten Kosten von 461 EUR zu übernehmen.

Als Begründung wurde angegeben, dass das Ehepaar keine ausreichenden Bemühungen zur Kostensenkung nachgewiesen habe.

Die Kläger, entgegneten, dass sie gerne in eine behindertengerechte Wohnung umziehen würden, jedoch solche Wohnungen zu dem vom Beklagten genannten Mietpreis nicht verfügbar seien.

Zudem sei ein Umzug in eine andere Region nicht möglich, da ihre Töchter eigens zugezogen seien, um sie pflegerisch zu unterstützen.

Sozialgericht Mannheim gibt den Klägern Recht

Das Sozialgericht Mannheim entschied zugunsten der Kläger. Das Gericht stellte fest, dass die Wohnung zwar nach den vorliegenden statistischen Erhebungen zu teuer sei, es jedoch nachvollziehbar sei, dass das betagte Ehepaar nicht ohne Hilfe eine angemessene Wohnung finden könne.

Keine Hilfestellung angeboten

Der Beklagte habe keine Hilfestellung, wie die Übernahme von Maklerkosten, angeboten. Zudem sei es zweifelhaft, ob eine günstigere, behindertengerechte Wohnung in der Region überhaupt verfügbar sei. Aufgrund dieser besonderen Umstände verurteilte das Sozialgericht den beklagten Kreis, die tatsächlichen Unterkunftskosten weiterhin vollständig zu übernehmen.

Bedeutung der Entscheidung

Diese Entscheidung des Sozialgerichts ist bisher nicht rechtskräftig. Sollte der beklagte Kreis Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung einlegen, bleibt abzuwarten, wie das Verfahren weitergeht.

Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist individuelle Lebensumstände bei der Festlegung von Unterkunftskosten durch das Sozialamt zu berücksichtigen. Besonders in Fällen von Schwerbehinderung und hohen Alters müssen die bestehenden Umstände beachtet werden, um eine menschenwürdige Unterbringung sicherzustellen.

Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock

Sowohl für das Bürgergeld nach dem SGB 2 als auch für die Sozialhilfe ( SGB XII ) gilt hier nach gefestigter Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgendes zur Unmöglichkeit eines Kostensenkungsaufforderung seitens des Jobcenters/Sozialamtes:

1. Auch im Rahmen des SGB XII gelten die Wohnkosten als angemessen, solange relevante Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen. Dies kann auch bei einem Ablauf der Regelfrist von 6 Monaten der Fall sein (BSG, Urteil vom 6. Oktober 2022 – B 8 SO 7/21 R – , LSG BW,Urt. v. 28.02.2024 – L 2 SO 3252/22 – ).

2. Beim SGB XII ( Sozialhilfe ), welches für ältere Menschen gilt, sind zu berücksichtigen besondere Umstände wie u.a. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben.

3. Der Träger der Sozialhilfe darf Hilfeempfänger, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen ( BSG Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R – ).

4. Kommt der Leistungsträger dieser Obliegenheit nicht nach, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Konkrete Suchaktivitäten müssen die Betroffenen dann nicht nachweisen ( B 8 SO 7/21 R – ).

Gilt auch für Bürgergeld – Empfänger

BSG, Urteil v. 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R –

Tatsächliche Aufwendungen der Kosten der Unterkunft und Heizung können auch bei Bürgergeld-Empfängern auf Grund des Einzelfalls und seiner Besonderten dazu führen, dass der Leistungsempfänger in seiner Wohnung verbleiben kann oder bei einem Wohnungswechsel den verfügbaren angemessenen Wohnraum erweitern ( BSG, Urteil v. 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R – Rz. 36 ).
Fazit

Unangemessene Kosten der Unterkunft und Heizung können im Einzelfall aufgrund der Besonderheiten wie ( Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit ) länger als 6 Monate vom Jobcenter bzw. Sozialhilfeträger zu übernehmen sein und somit dem Hilfebedürftigen ein Verbleib in seiner Wohnung ermöglichen.

Dazu auch jüngst das LSG Niedersachsen – Bremen: Beschluss vom 13. Oktober 2023 – L 13 AS 185/23 B ER –

1. Jobcenter müssen für Schwerbehinderte, Pflegebedürftige oder Rollstuhlfahrer im Einzelfall höhere Mieten anerkennen, wenn der Wohnungsmarkt zu eng ist.

2. Höheren Kosten aufgrund der familiären Besonderheiten ( z. Bsp, wenn die Mutter den schwerbehinderten Sohn durch das Treppenhaus tragen muss ) führen im Einzelfall nicht zu – unangemessen Kosten der Unterkunft.

Welche Besonderheiten haben die Gerichte bis heute berücksichtigt

Wenn der Wohnungsmarkt eng ist, sie Besonderheiten des Einzelfalls aufweisen, wie Kranheit, Behinderung, Rollstuhl, Pflegebedürftigkeit, Beschränkung auf Wohnungen im Erdgeschoss oder Parterre aufgrund v. Krankheit, barrierefreie Wohnung aufgrund psychischer Störungen, eingeschränkte Mobilität wegen Krankheit u. Behinderung bei der Wohnungssuche, Schwierigkeiten beim Treppensteigen, wenn die Mutter den schwerbehinderten Sohn durch das Treppenhaus tragen muss, Störungen des Ganges – Merkzeichen G – und vielem mehr, ( Einzelpunkte stammen alle aus den Urteilen zu diesem Thema ) – können Sie im Einzelfall Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Miete haben.