Wie kam es zu der Möglichkeit, schon mit 62 ohne Abschläge in Rente zu gehen?
Die gesetzliche Rentenversicherung folgt grundsätzlich dem Leitbild, dass die abschlagsfreie Regelaltersgrenze stufenweise von 65 auf 67 Jahre steigt. Für Bergleute, die viele Jahre unter Tage gearbeitet haben, galt jedoch schon immer ein Sonderrecht.
Rechtlich findet sich dieses Privilegs heute in § 40 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Dort steht unmissverständlich, dass eine Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute bereits mit Vollendung des 62. Lebensjahres beansprucht werden kann, wenn zugleich eine Wartezeit von 25 Jahren unter Tage nachgewiesen ist.
Eine vorgezogene Inanspruchnahme, wie sie in anderen Rentenarten üblich ist, sieht das Gesetz hier ausdrücklich nicht vor.
Geburtsjahr entscheidet darüber, ob sogar ein Ruhestand mit 60 denkbar ist
Ob die Tür zum frühestmöglichen Rentenbeginn weit offen steht oder sich bereits geschlossen hat, bestimmt das Geburtsdatum. Für Versicherte der Jahrgänge 1952 bis 1963 gilt eine Übergangsregelung in § 238 SGB VI. Sie sollte den sozialen Abfederungen während des Strukturwandels im Bergbau dienen.
Wer in diese Gruppe fällt und mindestens 25 Jahre unter Tage war, darf – ohne Abschläge – noch vor dem 62. Geburtstag den letzten Arbeitstag erleben. Das Gesetz verknüpft diese Sonderchance aber mit dem Bezug von Anpassungsgeld (APG) oder Knappschaftsausgleichsleistung; fehlt diese Vorleistung des Staates, verschiebt sich der Rentenbeginn abhängig vom Geburtsjahr um wenige Monate nach hinten.
Anpassungsgeld
Anpassungsgeld ist eine Übergangsleistung für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus. Hat ein Bergmann oder eine Bergfrau diese Hilfe in Anspruch genommen, genießt er oder sie sogenannten Vertrauensschutz.
Das bedeutet: Die Altersrente kann bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres beginnen, obwohl § 40 für spätere Jahrgänge 62 Jahre vorschreibt.
Das Gesetz anerkennt damit, dass das Anpassungsgeld seinerzeit unter der Zusicherung gezahlt wurde, später ohne Einbußen früher in Rente gehen zu dürfen. Wer das Anpassungsgeld nicht erhalten hat, rutscht dagegen in die gestaffelten Altersgrenzen des § 238 Abs. 2 SGB VI und muss – im Falle des Geburtsjahres 1963 – bis 61 Jahre und zehn Monate warten.
Zwei Fallbeispiele
Nehmen wir einen Bergmann, geboren am 1. Januar 1963, der 25 Jahre unter Tage nachweisen kann. Ohne Bezug von Anpassungsgeld würde er – gestützt auf die Tabelle des § 238 – am 1. November 2024 in Rente gehen, exakt 61 Jahre und zehn Monate alt.
Hätte derselbe Versicherte jedoch Anpassungsgeld erhalten, läge sein abschlagsfreier Rentenbeginn bereits am 1. Januar 2023, also unmittelbar nach dem 60. Geburtstag. In beiden Varianten fallen keine Rentenminderungen an, weil die Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute per Gesetz immer ohne Abschläge gewährt wird.
Die Differenz von fast zwei Jahren verdeutlicht, wie stark das Anpassungsgeld die Lebensplanung beeinflusst.
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Was bedeutet das für alle ab 1964 Geborenen?
Für jüngere Bergleute ist der „60er-Bonus“ endgültig passé. Sie unterliegen ausschließlich § 40 SGB VI: Wer das 62. Lebensjahr erreicht und 25 Jahre unter Tage geleistet hat, kann die Grube abschlagsfrei verlassen.
Ein Versicherter, der am 1. Januar 1967 geboren wurde, erreicht die gesetzliche Schwelle folglich am 1. Januar 2029. Selbst ein früherer Bezug von Anpassungsgeld ändert daran nichts mehr, weil der Gesetzgeber seine Übergangsregelung zeitlich eindeutig begrenzt hat.
Welche Schritte sollten Betroffene jetzt unternehmen, um keinen Monat zu verschenken?
Zunächst braucht es Klarheit über die eigene Versicherungsbiografie. Das geschieht am einfachsten mit einer aktuellen Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung oder der Knappschaft Bahn-See.
Auf dieser Basis lässt sich feststellen, ob die 25-Jahres-Wartezeit unter Tage vollständig verbucht ist und ob Zeiten des Anpassungsgeld-Bezugs korrekt aufgeführt sind. Danach sollte schriftlich gefragt werden, „zu welchem Termin eine abschlagsfreie Altersrente nach § 40 oder § 238 SGB VI möglich ist“.
Oft stellt sich heraus, dass nicht alle untertägigen Monate erfasst oder Bescheinigungen über Anpassungsgeld verlorengegangen sind. Eine sorgfältige Nachrecherche kann hier wertvolle Monate im Ruhestand sichern.
Typische Fallstricke in der Praxis
Häufig verwechseln Versicherte die Altersrente für langjährig unter Tage Beschäftigte mit der Altersrente für langjährig Versicherte. Letztere setzt nur 35 Jahre Beitragszeit voraus, ist aber an Abschläge geknüpft, wenn sie vor dem regulären Rentenalter beginnt.
Auch wird übersehen, dass Teil-Zeiten im Bergbau oder Zeiten übertägiger Tätigkeit nicht zur 25-Jahres-Wartezeit zählen.
Wer kurz vor der Grenze steht, kann etwa durch Nachweise von Umgruppierungen oder zeitweilig nicht erfasster Arbeitsperioden doch noch den Status eines Langzeitarbeiters unter Tage erreichen. Fehlende Dokumente lassen sich über ehemalige Arbeitgeber, Berufsgenossenschaften oder das Bergamt rekonstruieren.
Was heißt das für die persönliche Rentenplanung?
Wer der seltenen Gruppe angehört, die noch von den Übergangsregelungen profitiert, sollte eine individuelle Rentenberatung in Anspruch nehmen. Denn jeder vorgezogene Monat Ruhestand muss mit der eigenen Vermögens- und Gesundheitslage in Einklang gebracht werden.
Für jüngere Jahrgänge bleibt die Erkenntnis, dass Sonderrechte schrumpfen und private Vorsorge wichtiger wird.
Doch selbst für sie gilt: Die Altersrente für langjährig unter Tage Beschäftigte bleibt eine der wenigen komplett abschlagsfreien Rentenarten, solange die 25-Jahres-Wartezeit erfüllt ist. Jede zusätzliche Bescheinigung über untertägige Zeiten kann deshalb bares Geld bedeuten.
Fazit: Wer früh prüft, gewinnt Zeit ohne Einbußen
Die abschlagsfreie Rente mit 60 oder 62 ist kein Mythos, sondern gesetzlich verankerte Realität für eine klar definierte Gruppe. Entscheidend sind das Geburtsjahr, das Vorliegen von 25 Jahren Untertagearbeit und – für die Jahrgänge bis 1963 – gegebenenfalls der Bezug von Anpassungsgeld.
Wer diese Voraussetzungen erfüllt, kann ohne Abstriche früher in den Ruhestand wechseln. Ein genauer Blick in den Versicherungsverlauf und eine lückenlose Dokumentation können dabei über Monate oder sogar Jahre zusätzlicher Freizeit entscheiden – ganz ohne finanzielle Verluste.