Fรผr viele gesetzlich Versicherte in Deutschland hat eine unscheinbare, aber folgenreiche Zรคsur lรคngst Fakten geschaffen: Die โRente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfรคhigkeitโ nach ยง 240 SGB VI kann von den nach dem 1. Januar 1961 Geborenen nicht mehr beantragt werden.
Damit ist der frรผhere Berufsschutz, der Beschรคftigte vor Einbuรen bewahrte, wenn sie ihren erlernten oder langjรคhrig ausgeรผbten Beruf krankheitsbedingt nicht mehr ausรผben konnten, abgeschafft. Wer nach diesem Stichtag geboren ist, muss sich ausschlieรlich an den allgemeinen Regeln der Erwerbsminderungsrente messen lassen โ mit deutlich hรถheren Hรผrden und hรคufig geringeren Leistungen.
Was genau abgeschafft wurde
Die Sonderregel des ยง 240 SGB VI adressierte eine Lรผcke: Nicht die abstrakte Leistungsfรคhigkeit auf irgendeinem Arbeitsplatz stand im Mittelpunkt, sondern die Frage, ob der konkret erlernte Beruf noch zumutbar ausgeรผbt werden konnte.
War das krankheits- oder unfallbedingt nicht mehr der Fall, griff ein besonderer Berufsschutz. Er galt jedoch nur fรผr Versicherte, die vor dem 2. Januar 1961 geboren wurden.
Fรผr alle jรผngeren Jahrgรคnge existiert dieser Schutz nicht mehr. Neue Antrรคge sind ausgeschlossen, Bestandsrenten laufen weiter. Das klingt technisch, hat aber praktische Wucht: Die individuelle Qualifikation, Ausbildungsdauer und Tรคtigkeitshistorie verlieren ihren rentenrechtlichen Schutzschirm.
Bestandsschutz und stille Brรผche
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen neuen und bestehenden Ansprรผchen. Wer bereits eine Rente nach ยง 240 SGB VI bezieht, behรคlt sie unter den bisherigen Voraussetzungen.
Der Bruch betrifft alle, die kรผnftig erstmals eine Leistung benรถtigen wรผrden, aber den Stichtag nicht erfรผllen. Fรผr diese Versicherten hat sich die Rechtslage substantiell geรคndert: Berufsschutz existiert nicht mehr, auch dann nicht, wenn die gesundheitlichen Einschrรคnkungen exakt dieselben wรคren wie bei รคlteren Jahrgรคngen.
Was bleibt: die allgemeine Erwerbsminderungsrente
Nach der Abschaffung des Berufsschutzes bleiben Versicherten die allgemeinen Erwerbsminderungsrenten nach ยง 43 SGB VI. Maรgeblich ist ausschlieรlich die abstrakte Einsatzfรคhigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, und zwar unabhรคngig von erlerntem Beruf, Spezialisierung oder Karriereweg.
Wer dauerhaft weniger als drei Stunden tรคglich unter den รผblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts arbeiten kann, erfรผllt die Voraussetzungen einer vollen Erwerbsminderung.
Liegt die Leistungsfรคhigkeit zwischen drei und unter sechs Stunden tรคglich, kommt eine teilweise Erwerbsminderung in Betracht. Ob eine frรผhere Tรคtigkeit als Meisterin, Facharbeiter, Erzieherin, Pflegekraft, Techniker oder kaufmรคnnische Angestellte noch mรถglich ist, spielt fรผr die Anspruchsprรผfung keine Rolle mehr. Es zรคhlt allein, ob irgendeine Tรคtigkeit unter Wettbewerbsbedingungen in dem genannten zeitlichen Umfang denkbar ist.
Hรผrden im Verfahren
Die Feststellung der Erwerbsminderung folgt einem mehrstufigen, streng medizinisch geprรคgten Prรผfprozess. รrztliche Gutachten, Befundberichte und die Einschรคtzung, ob Rehabilitationsleistungen die Erwerbsfรคhigkeit erhalten oder wiederherstellen kรถnnen, sind dabei zentral.
Der Grundsatz โReha vor Renteโ greift unverรคndert. Hรคufig werden Leistungen zunรคchst befristet bewilligt und in regelmรครigen Abstรคnden รผberprรผft. Fรผr Betroffene bedeutet das nicht nur organisatorischen und zeitlichen Aufwand, sondern oftmals auch die Unsicherheit schwankender Leistungsentscheidungen, insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern.
Folgen fรผr Rentenversicherte
Der Wegfall des Berufsschutzes wirkt sich auf die Rentenhรถhe vielfach negativ aus. Zum einen werden Leistungen hรคufiger nur teilweise gewรคhrt, wenn die gutachterliche Einschรคtzung eine Restleistungsfรคhigkeit von drei bis unter sechs Stunden attestiert.
Zum anderen orientiert sich die Berechnung nicht an einem fiktiven Einkommen des erlernten Berufs, sondern an den allgemeinen rentenrechtlichen Entgeltpunkten โ mit der Folge, dass langjรคhrige Spezialisierung oder Verantwortung keine eigenstรคndige Schutzwirkung mehr entfalten.
Selbst dort, wo die EM-Rente durch gesetzliche Anpassungen in den vergangenen Jahren aufgewertet wurde, bleibt sie in der Praxis oft deutlich hinter dem bisherigen Erwerbseinkommen zurรผck. Die Lรผcke zwischen Nettoverdienst und Rentenzahlbetrag kann betrรคchtlich sein und trifft besonders Haushalte ohne zusรคtzliche Absicherung.
Wer besonders betroffen ist
Die Abschaffung des Berufsschutzes belastet vor allem Berufsgruppen, deren Tรคtigkeit stark an spezifische kรถrperliche oder mentale Anforderungen gebunden ist.
Wer etwa in einem fordernden handwerklichen, pflegerischen oder industriellen Umfeld arbeitet und gesundheitlich nicht mehr belastbar ist, kann zwar fรผr die bisherige Tรคtigkeit ausfallen, dรผrfte aber gutachterlich noch fรผr leichtere, andersartige Tรคtigkeiten tauglich sein.
In der rentenrechtlichen Logik gilt diese Umsteuerung als zumutbar โ auch wenn Qualifikation und bisherige Laufbahn dafรผr kaum verwertbar sind. Fรผr viele Betroffene ist das ein Bruch in der Erwerbsbiografie mit spรผrbaren Einkommenseinbuรen.
Private Vorsorge gewinnt an Gewicht
Weil der gesetzliche Berufsschutz entfรคllt, rรผckt private Absicherung stรคrker in den Fokus. Eine eigenstรคndige Berufsunfรคhigkeitsversicherung kann das konkrete Risiko absichern, den erlernten oder ausgeรผbten Beruf aus gesundheitlichen Grรผnden nicht mehr ausรผben zu kรถnnen.
Je nach persรถnlicher Situation kommen auch Alternativen wie Erwerbsunfรคhigkeits-, Grundfรคhigkeits- oder funktionale Invaliditรคtsabsicherungen in Betracht.
Wichtig sind eine frรผhzeitige Beschรคftigung mit dem Thema, realistische Einschรคtzung des Gesundheitszustands und die genaue Prรผfung von Bedingungen, Nachversicherungsoptionen und Leistungsauslรถsern. Wer bereits gesundheitliche Einschrรคnkungen hat, sollte Beratung und Angebote besonders sorgfรคltig vergleichen, da Ausschlรผsse und Risikozuschlรคge verbreitet sind.
รbergรคnge gestalten: Reha, Qualifizierung, Arbeitsrecht
Neben der finanziellen Perspektive spielt die berufliche Neuorientierung eine zentrale Rolle. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, Umschulungen oder Qualifizierungen kรถnnen helfen, eine neue Erwerbsbasis zu schaffen.
Arbeitgeberseitig kommen โ je nach Fall โ betriebliches Eingliederungsmanagement, Anpassungen des Arbeitsplatzes oder Wechsel in gesundheitsvertrรคglichere Bereiche in Betracht.
Bei anerkannter Schwerbehinderung ergeben sich zusรคtzliche Schutzrechte und Nachteilsausgleiche, die im Zusammenspiel mit Reha- und Rentenleistungen die Situation stabilisieren kรถnnen. Diese Instrumente ersetzen die frรผhere Berufsschutz-Rente nicht, kรถnnen die Folgen ihres Wegfalls aber abmildern.
โGut zu wissenโ: die Stichtagslogik
Die alte Berufsunfรคhigkeitsregelung innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung ist kein allgemein โvergessenesโ Recht, sondern eine Stichtagsregel. Nur wer vor dem 2. Januar 1961 geboren ist, konnte und kann die besondere Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfรคhigkeit beanspruchen.
Fรผr alle spรคter Geborenen greifen ausschlieรlich die allgemeinen Regeln der Erwerbsminderungsrente. Fรผr den Alltag bedeutet das: Zwei Menschen mit identischem Krankheitsbild kรถnnen je nach Geburtsjahr auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen stoรen โ mit entsprechend unterschiedlichen Leistungsfolgen.
Fazit: Ein Systemwechsel mit Langzeitwirkung
Die Abschaffung des gesetzlichen Berufsschutzes ist mehr als eine juristische Feinheit. Sie verschiebt das Risiko gesundheitlicher Brรผche stรคrker auf die Versicherten und bewertet Erwerbsfรคhigkeit abstrakt, losgelรถst von Bildungs- und Berufsbiografien. Fรผr alle nach dem 1. Januar 1961 Geborenen bleibt als gesetzliche Absicherung allein die volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente nach ยง 43 SGB VI โ mit strengem Prรผfmaรstab und hรคufig niedrigeren Zahlbetrรคgen.
Wer seine finanzielle Stabilitรคt im Ernstfall wahren will, sollte die Lรผcken kennen, frรผhzeitig รผber private Vorsorge nachdenken und die vorhandenen Reha- und Teilhabeinstrumente konsequent nutzen. Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung, zeigt aber die Richtung: Ohne Berufsschutz wird Vorsorge zur strategischen Notwendigkeit.