Bleibt das Bürgergeld bis 2026 wirklich bei 563 Euro?

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Nach der Erhöhung um 61 Euro zu Jahresbeginn 2024 stehen die Regelsätze für alleinlebende Erwachsene (Regelbedarfsstufe 1) seit Monaten still. Der 15. Existenzminimumbericht der Bundesregierung – Bundestagsdrucksache 20/13550 vom 25. Oktober 2024 – unterstellt sogar, dass auch am 1. Januar 2026 „kein Anstieg der Regelbedarfsstufen“ erfolgt und die Beträge von 2025 „unverändert weitergelten“.
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Wie errechnet der Staat jetzt das „menschenwürdige Existenzminimum“?

Die Grundlage sind alle fünf Jahre erhobene Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Aus den konsumbezogenen Ausgaben der einkommensärmsten 15 Prozent der Haushalte wird der Regelbedarf statistisch abgeleitet; danach fixiert der Gesetzgeber die Eurobeträge im Regelbedarfs-Ermittlungs­gesetz (§ 27 ff. SGB XII).

Zwischen zwei EVS-Runden werden die Regelsätze jährlich fortgeschrieben. Seit dem Bürgergeld-Gesetz (Dezember 2022) geschieht das in zwei Stufen: einer Basisfortschreibung mit dem 70/30-Mischindex aus Preis- und Nettolohnentwicklung sowie einer ergänzenden, speziell auf das zweite Quartal des Vorjahres bezogenen Preisbetrachtung.

Warum gab es 2025 eine „Nullrunde“?

Für 2025 ergab die kombinierte Fortschreibung rechnerisch nur 539 Euro – weniger als der 2024 geltende Satz von 563 Euro. Die gesetzliche Besitzschutzklausel (§ 28a Abs. 5 SGB XII) verhindert nominelle Kürzungen; deshalb blieb es bei 563 Euro.

Real jedoch frisst weiter steigende, wenn auch abgeschwächte Inflation die Kaufkraft: Preissteigerungen von knapp drei Prozent 2024 bedeuten für Leistungsbeziehende einen spürbaren Reallohnverlust.

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Droht 2026 erneut Stillstand – und warum?

Im 15. Existenzminimumbericht stützt sich die Bundesregierung auf ihre Herbstprojektion 2024. Sie geht davon aus, dass der Mischindex bis Juni 2025 kaum wächst und der Drei-Monats-Preisindex im zweiten Quartal 2025 ebenfalls flach bleibt.

Mangels Dynamik rechnet der Bericht deshalb vorsorglich mit keiner Erhöhung. Definitiv festgelegt werden die Beträge erst Ende Oktober 2025, wenn die tatsächlichen Indexwerte vorliegen. Doch selbst falls die Prognose nicht exakt eintritt, zeigt sie den politischen Willen, am Status quo festzuhalten.

Was passiert mit den Daten der EVS 2023 – und warum dauert das so lange?

Die Erhebung lief im Kalenderjahr 2023; erste Ergebnisse veröffentlicht das Statistische Bundesamt „voraussichtlich im 4. Quartal 2025“.

Erst danach kann das Bundes­arbeits­ministerium zusammen mit dem Bundes­finanz­ministerium die Regelbedarfe neu bestimmen. Ein eigenes Gesetzgebungsverfahren folgt – nach derzeitiger Planung frühestens 2027, wahrscheinlicher aber zum 1. Januar 2028. Der Effekt: Zwischen Datenerhebung und Wirksamkeit liegen bis zu fünf Jahre, in denen sich Preise, Löhne und Lebensrealitäten bereits weiterentwickeln.

Integrierte Sperre auf Kosten der Ärmsten

Die zusätzliche Preis­komponente sollte 2023 eigentlich die hohe Teuerung schneller in die Regelsätze einspeisen. Doch 2024 und 2025 sanken die Quartals-Preissteigerungen deutlich; die Ergänzungs­stufe brachte deshalb kaum Zuwachs, im Gegenteil: Sie drückte den rechnerischen Wert 2025 unter das Niveau von 2024.

Kritiker sprechen von einer „integrierten Sperre“ auf Kosten der Ärmsten. Das Bremer Institut BIAJ errechnete bereits einen realen Verlust, weil die 563 Euro 2024 – inflationsbereinigt – unter dem Wert von 2022 liegen.
Biaj

Alternativen zum amtlichen Verfahren

Verbände wie der Paritätische Gesamtverband legen seit Jahren eigene Berechnungen vor. Auf Basis einer unverfälschten Statistikmethode forderte der Verband schon 2021 einen Regelsatz von 644 Euro, damit Teilhabe etwa an Kultur, Freizeit und digitaler Infrastruktur möglich bleibt. Im Corona- und Energiekrisen-Kontext halten viele Sozialforscher heute sogar 700 Euro für notwendig.

Könnte die anstehende Überprüfung das Verfahren verbessern – oder verschärfen?

Der 15. Bericht kündigt explizit an, das seit 2023 geltende zweistufige Fortschreibungs­verfahren „im Kontext der Neuermittlung“ zu evaluieren.

Das eröffnet einerseits die Chance, Preis- und Lohnbewegungen transparenter und zeitnäher in die Sätze einzubeziehen. Andererseits ist das politische Klima von Forderungen nach Leistungskürzungen geprägt. So warnen Sozialverbände, eine Reform könne auch zum Absenken der Mindeststandards genutzt werden.

Jede Nullrunde erhöht den Abstand zwischen amtlich definiertem „Existenzminimum“ und realen Lebenshaltungskosten. Miete, Energie, Lebensmittel und Gesundheit verteuern sich weiter, während die Grundsicherung stagniert. Betroffene geraten in strukturelle Armut, Schuldenfallen oder Wohnungslosigkeit.

Aus sozial- wie volkswirtschaftlicher Sicht plädieren Fachleute für eine sofortige außerplanmäßige Anhebung der Regelsätze, eine kürzere Datenauswertungs- und Gesetzgebungs­schleife für die EVS, eine dynamische Kopplung an den unteren Einkommens­dezil statt an reinen Preis- und Lohn­indizes.

Ohne solche Korrekturen bleibt das verfassungsrechtlich gebotene „menschenwürdige Existenzminimum“ eine rechnerische Größe – weit entfernt vom Alltag der über 5,5 Millionen Leistungs­beziehenden.