Es gibtzwei Mรถglichkeiten, bis zu zwei Jahre vor der individuellen Regelaltersgrenze ohne Abschlรคge in Rente zu gehen: die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen und die Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte.
Beide Wege erรถffnen einen abschlagsfreien Ruhestand zwei Jahre frรผher, unterscheiden sich jedoch deutlich, sobald der Rentenbeginn noch weiter vorgezogen werden soll. Genau an dieser Stelle liegt der fรผr die Planung zentrale Unterschied.
Inhaltsverzeichnis
Regelaltersgrenze und Ausgangspunkt der Rechnung
Fรผr alle Personen der Geburtsjahrgรคnge 1964 und spรคter liegt die Regelaltersgrenze bei 67 Jahren. Von diesem Fixpunkt aus werden Vorziehungen und mรถgliche Abschlรคge berechnet.
Wer die Voraussetzungen einer der beiden Sonderrenten erfรผllt, kann grundsรคtzlich zwei Jahre frรผher ohne Abzรผge in den Ruhestand โ also mit 65 Jahren. Fรผr รคltere Jahrgรคnge gelten รbergangsstufen, die die Altersgrenzen schrittweise anheben.
Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen: Voraussetzungen und Spielrรคume
Die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen setzt drei Bedingungen voraus: einen Grad der Behinderung von mindestens 50, festgestellt durch das zustรคndige Versorgungsamt; eine Wartezeit von 35 Jahren in der gesetzlichen Rentenversicherung; und das Erreichen der jeweils geltenden Altersgrenze.
Fรผr Jahrgรคnge ab 1964 ist die abschlagsfreie Grenze 65 Jahre; eine vorzeitige Inanspruchnahme ist ab 62 Jahren mรถglich. Fรผr jeden Monat des vorzeitigen Bezugs fรคllt ein Abschlag von 0,3 Prozent an, maximal 10,8 Prozent. Damit lรคsst sich diese Rente insgesamt bis zu fรผnf Jahre vor der Regelaltersgrenze beginnen: zwei Jahre ohne, bis zu drei weitere Jahre mit Abschlรคgen.
Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte: 45 Jahre Wartezeit, aber keine Vorziehung mit Abschlรคgen
Die Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte honoriert eine Versicherungsbiografie von 45 Jahren. Sie ermรถglicht den abschlagsfreien Rentenbeginn zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze.
Eine Vorverlegung รผber diesen Zeitpunkt hinaus ist gesetzlich nicht vorgesehen โ auch nicht gegen Abschlรคge.
Fรผr Geburtsjahrgรคnge ab 1964 heiรt das: abschlagsfrei mit 65, aber nicht frรผher. Welche Zeiten fรผr die 45 Jahre zรคhlen, ist enger gefasst als bei den 35 Jahren; insbesondere werden Zeiten mit Bรผrgergeld nicht angerechnet, und Zeiten mit Leistungen der Agentur fรผr Arbeit in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nur ausnahmsweise, etwa bei Insolvenz des Arbeitgebers.
Wenn beides mรถglich ist: Gรผnstigkeitsprinzip und Auswahl der Rentenart
Erfรผllen Versicherte sowohl die Voraussetzungen der Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen als auch jene fรผr besonders langjรคhrig Versicherte, gilt das sogenannte Gรผnstigkeitsprinzip.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein Rentenantrag grundsรคtzlich so auszulegen, dass die fรผr die versicherte Person gรผnstigste Altersrentenart bewilligt wird โ unabhรคngig davon, welche Rentenart im Formular angekreuzt wurde. In der Praxis prรผft die Rentenversicherung also die Varianten und bewilligt die vorteilhaftere.
Unterschied bei einem Rentenstart noch frรผher als zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze
Genau hier trennen sich die Wege: Wer eine anerkannte Schwerbehinderung hat, kann den Rentenbeginn zusรคtzlich zu den zwei abschlagsfreien Jahren um bis zu drei weitere Jahre vorziehen.
Die Abschlรคge berechnen sich mit 0,3 Prozent je Monat auf die Differenz zwischen gewรคhltem Rentenbeginn und der abschlagsfreien Grenze dieser Rentenart. Wer beispielsweise 1964 geboren ist und statt mit 65 schon mit 63 Jahren in die Rente fรผr schwerbehinderte Menschen geht, zieht die Rente um 24 Monate vor und zahlt dauerhaft 7,2 Prozent Abschlag.
Ohne Schwerbehinderung wรคre der gleiche Rentenbeginn nur รผber die Altersrente fรผr langjรคhrig Versicherte mรถglich. Dort beziehen sich die Abschlรคge auf die Regelaltersgrenze, also auf 67 Jahre. 63 statt 67 bedeutet 48 Monate Vorziehung โ mithin 14,4 Prozent Abschlag. Der Unterschied betrรคgt in diesem Beispiel 7,2 Prozentpunkte.
Altersrente fรผr langjรคhrig Versicherte: Der Ausweichpfad mit 35 Jahren Wartezeit
Wer keine 45 Jahre zusammenbekommt und auch nicht schwerbehindert ist, kann mit mindestens 35 Versicherungsjahren die Altersrente fรผr langjรคhrig Versicherte wรคhlen.
Diese Rente ist ab 63 mรถglich, immer mit Abschlรคgen von 0,3 Prozent pro vorgezogenem Monat, maximal 14,4 Prozent bei vier Jahren Vorziehung auf 63, wenn die Regelaltersgrenze 67 betrรคgt.
Fรผr die 35 Jahre werden neben Beitragszeiten zahlreiche Anrechnungs-, Berรผcksichtigungs- und Ersatzzeiten berรผcksichtigt, etwa Kindererziehung, Pflege, Krankheit, Ausbildung oder Studium. Das erleichtert vielen Versicherten, die Marke bis zum Beginn der 60er zu erreichen.
รbergangsregelungen: Anhebung der Altersgrenzen
Bei beiden Sonderrenten wurden die Altersgrenzen schrittweise angehoben. Die vielfach umgangssprachlich so genannte โRente mit 63โ bezeichnet heute nicht mehr einen starren Anspruch mit 63 Jahren, sondern die Mรถglichkeit des abschlagsfreien Vorbezugs fรผr besonders langjรคhrig Versicherte, deren Altersgrenze je nach Geburtsjahrgang nach oben gestaffelt wurde.
Fรผr Geburtsjahrgรคnge 1964 und spรคter ist der abschlagsfreie Zeitpunkt einheitlich 65. Auch bei der Rente fรผr schwerbehinderte Menschen stieg die abschlagsfreie Grenze von 63 auf 65 Jahre; der frรผhestmรถgliche Beginn mit Abschlรคgen liegt parallel nun bei 62 Jahren.
Hinzuverdienst: Seit 2023 ohne Obergrenze
Seit dem 1. Januar 2023 kรถnnen Altersrenten โ auch vorgezogene โ unabhรคngig von der Hรถhe des Hinzuverdienstes in voller Hรถhe bezogen werden. Frรผhere Verdienstgrenzen sind entfallen.
Wer also weiterarbeitet oder wieder einsteigt, muss die Beschรคftigung fรผr den Rentenbeginn nicht beenden und kann Einkommen und Rente kombinieren.
Antragstellung, Fristen und Wechselverbote
Die Rente wird nicht automatisch gezahlt. Der Antrag sollte in der Regel drei Monate vor dem gewรผnschten Rentenbeginn gestellt werden, damit die Zahlung pรผnktlich einsetzen kann.
Wichtig ist zudem: Nach bindender Bewilligung einer Altersrente ist der Wechsel in eine andere Altersrente grundsรคtzlich ausgeschlossen. Ein spรคterer Wechsel ist nur in eng begrenzten, gesetzlich geregelten Konstellationen mรถglich; das spricht fรผr eine sorgfรคltige Vorauswahl und Beratung.
Umgekehrt kann eine rรผckwirkend festgestellte Schwerbehinderung โ je nach Fall โ รผber einen รberprรผfungsantrag Bedeutung fรผr die bewilligte Rentenart und den Zugangsfaktor haben.
โRente mit 63โ bleibt โ Kosten im Blick
Die Mรถglichkeit, nach 45 Versicherungsjahren zwei Jahre frรผher abschlagsfrei in Rente zu gehen, bleibt politisch umstritten, ist aber weiterhin geltendes Recht. Die Bundesregierung stellt klar, dass am schrittweisen Anstieg auf 67 Jahre nichts geรคndert wird und der abschlagsfreie Vorruhestand nach 45 Jahren bestehen bleibt.
Zugleich verweisen Analysen auf die wachsenden finanziellen Belastungen angesichts der starken Babyboomer-Jahrgรคnge. 2024 nutzten fast 270.000 Menschen den abschlagsfreien Vorruhestand โ ein Hรถchststand.
Fazit: Erst rechnen, dann entscheiden
Fรผr einen Ruhestand zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze bieten sowohl die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen als auch die Altersrente fรผr besonders langjรคhrig Versicherte einen abschlagsfreien Zugang. Wer jedoch deutlich frรผher in den Ruhestand mรถchte, fรคhrt mit einem anerkannten Grad der Behinderung hรคufig gรผnstiger, weil sich die Abschlรคge auf die niedrigere, rentenartbezogene Grenze beziehen.
Ohne Schwerbehinderung fรผhrt der Weg รผber die Rente fรผr langjรคhrig Versicherte โ dann allerdings mit deutlich hรถheren Abschlรคgen, weil die Regelaltersgrenze der Maรstab ist.
Eine individuelle Prรผfung der Versicherungszeiten, der mรถglichen Rentenarten und der finanziellen Auswirkungen ist unerlรคsslich. Die Rentenversicherung wendet zwar das Gรผnstigkeitsprinzip an, dennoch schรผtzt eine rechtzeitige, fundierte Entscheidung vor dauerhaften Einbuรen.
Praxisbeispiel 1: Jahrgang 1964, anerkannte Schwerbehinderung, Rentenstart mit 63
Eine Versicherte, geboren 1964, verfรผgt รผber einen Grad der Behinderung von 50 und hat bereits mehr als 45 Versicherungsjahre gesammelt. Ihre Regelaltersgrenze liegt bei 67 Jahren. Aufgrund der Schwerbehinderung kann sie die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen zwei Jahre frรผher, also mit 65, abschlagsfrei beziehen. Sie mรถchte jedoch noch frรผher in den Ruhestand gehen und erwรคgt einen Rentenbeginn mit 63.
Fรผr die Altersrente fรผr schwerbehinderte Menschen ist ein Vorziehen um bis zu drei weitere Jahre zulรคssig. Wรคhlt sie den Rentenbeginn mit 63, zieht sie die abschlagsfreie Grenze ihrer Rentenart um 24 Monate vor.
Der dauerhaft wirksame Abschlag betrรคgt 0,3 Prozent je Monat und summiert sich damit auf 7,2 Prozent. Angenommen, ihre ungekรผrzte monatliche Bruttorente lรคge bei 1.800 Euro, ergรคbe sich bei einem Rentenstart mit 63 eine Monatsrente von 1.671 Euro.
Hรคtte sie keine anerkannte Schwerbehinderung und mรผsste denselben Rentenbeginn รผber die Altersrente fรผr langjรคhrig Versicherte wรคhlen, wรผrde sich der Abschlag auf die gesamte Differenz zur Regelaltersgrenze beziehen. Zwischen 63 und 67 liegen 48 Monate, der Abschlag beliefe sich damit auf 14,4 Prozent. Aus 1.800 Euro wรผrden 1.540,80 Euro.
Der Vorteil der Schwerbehindertenrente betrรคgt in diesem Beispiel 130,20 Euro pro Monat โ und wirkt lebenslang.
Die Versicherte gewinnt damit eine klare Entscheidungsgrundlage. Entweder sie wartet bis 65 und erhรคlt den vollen Rentenbetrag, oder sie zieht auf 63 vor und akzeptiert 7,2 Prozent dauerhaften Abschlag.
Dank Schwerbehinderung vermeidet sie die deutlich hรถheren 14,4 Prozent, die ohne Schwerbehinderung bei gleicher Vorverlegung fรคllig wรคren. Finanzielle, gesundheitliche und arbeitsmarktliche Aspekte kรถnnen so mit konkreten Betrรคgen gegeneinander abgewogen werden.
Praxisbeispiel 2: Jahrgang 1965, keine Schwerbehinderung, 43
Versicherungsjahre โ frรผher Start mit 64 oder Warten bis 65?
Ein Versicherter, geboren 1965, hat 43 Versicherungsjahre und keine anerkannte Schwerbehinderung. Er รผberlegt, mit 64 in Rente zu gehen. Fรผr die besonders langjรคhrige Rente fehlen ihm noch zwei Jahre, denn fรผr die abschlagsfreie Vorverlagerung auf 65 sind 45 Jahre notwendig.
Der einzige realistische Weg ist daher die Altersrente fรผr langjรคhrig Versicherte mit mindestens 35 Jahren Wartezeit โ sie erlaubt den Rentenbeginn mit 64, allerdings mit Abschlรคgen, die von der Regelaltersgrenze bei 67 aus berechnet werden. Zwischen 64 und 67 liegen 36 Monate, der Abschlag betrรคgt 10,8 Prozent.
Unterstellen wir eine ungekรผrzte Monatsrente von 1.400 Euro. Bei einem Start mit 64 ergรคbe sich eine gekรผrzte Rente von 1.248,80 Euro. Alternativ kรถnnte der Versicherte bis 65 weiterarbeiten, das 45. Versicherungsjahr vollmachen und dann die besonders langjรคhrige Rente abschlagsfrei in Anspruch nehmen.
In diesem Fall erhielte er ab 65 die vollen 1.400 Euro, zusรคtzlich erhรถht durch die in der Zwischenzeit gezahlten Beitrรคge.
Die Entscheidung lรคsst sich mit einem “Break-even-Vergleich” strukturieren:
Nimmt er die Rente bereits mit 64, bezieht er zwรถlf Monate lang 1.248,80 Euro und hat damit bis zum 65. Geburtstag rund 14.986 Euro an Rentenzahlungen erhalten. Wartet er bis 65, erhรคlt er zuvor keine Rente, startet dann aber mit 1.400 Euro.
Der monatliche Unterschied nach dem 65. Geburtstag betrรคgt 151,20 Euro. Bis der spรคtere, hรถhere Rentenbetrag den Vorsprung der frรผheren Zahlungen aufholt, vergehen rund 99 Monate, also gut acht Jahre und drei Monate. Der rechnerische Gleichstand lรคge damit ungefรคhr mit 73 Jahren und einigen Monaten.
Beitrรคge in den beiden zusรคtzlichen Arbeitsjahren erhรถhen die spรคtere Rente zusรคtzlich, verkรผrzen also den tatsรคchlichen Break-even. Umgekehrt kann ein Teilzeit- oder รbergangsjob den Lebensunterhalt bis 65 sichern, ohne dass Abschlรคge lebenslang mitgetragen werden mรผssen.
Diese Gegenรผberstellung zeigt, wie stark der fehlende Schwerbehindertenstatus die Wahlmรถglichkeiten einschrรคnkt. Wer die 45 Jahre nicht erreicht, muss bei einem frรผhen Rentenstart die Abschlรคge der Rente fรผr langjรคhrig Versicherte in Kauf nehmen.
Wer sie erreichen kann, gewinnt mit dem Warten nicht nur den Weg zur Abschlagsfreiheit, sondern in der Regel auch einen spรผrbar hรถheren Monatsbetrag durch zusรคtzliche Entgeltpunkte.
Quellen zum Weiterlesen
1. Deutsche Rentenversicherung: Informationsseite โAltersrente fรผr schwerbehinderte Menschenโ; Voraussetzungen, Altersgrenzen, Abschlรคge, Hinzuverdienst.
2. Deutsche Rentenversicherung, Pressemitteilung vom Februar 2025: Anhebung der Altersgrenzen und Mรถglichkeit, bis zu drei Jahre frรผher mit Abschlรคgen in die Schwerbehindertenrente zu gehen.