Deutschland diskutiert weiter über den frühen Ruhestand. Viele hoffen, schon mit 63 Jahren aufzuhören, ohne finanzielle Einbußen. Die Realität sieht differenzierter aus: Abschlagsfrei klappt das nur noch unter strengen Bedingungen.
Wer trotzdem früher gehen möchte, muss Abzüge hinnehmen oder alternative Wege kennen. Dieser Artikel zeigt Ihnen, welche Regeln gelten, wie hoch die Kürzungen ausfallen und welche Schritte sich jetzt lohnen.
Inhaltsverzeichnis
Rente mit 63 – ein Begriff überholt sich selbst
Die „Rente mit 63“ wurde 2014 eingeführt. Gemeint war die Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Damals reichten 45 Versicherungsjahre, um exakt mit 63 abschlagsfrei auszusteigen. Inzwischen hat der Gesetzgeber die Altersgrenze jährlich verschoben.
Geburtsjahrgänge ab 1964 erreichen die abschlagsfreie Rente trotz 45 Jahren erst mit 65. Der vertraute Begriff „Rente mit 63“ ist daher irreführend – er beschreibt eine Option, die faktisch nicht mehr existiert.
Abschlagsfrei nur bei 45 Jahren – und zwei Jahre vor dem Regelalter
Für jedes Geburtsjahr berechnet die Deutsche Rentenversicherung ein Regelrenteneintrittsalter. Dieses liegt heute meist bei 67 Jahren. Wer 45 Beitragsjahre nachweist, darf exakt zwei Jahre früher ohne Abschlag starten.
Beispiel: Jahrgang 1970 muss regulär bis 67 arbeiten, kann dank 45 Jahren aber mit 65 ohne Kürzung in Rente gehen. Frühere Ausstiegspläne bleiben dadurch möglich, aber nicht mehr mit 63.
Rente ab 35 Jahren: Früher Start, dauerhafte Abzüge
Die Altersrente für langjährig Versicherte verlangt nur 35 Jahre. Sie gestattet nach wie vor den Ruhestand ab 63 – unabhängig vom Geburtsjahr. Allerdings sinkt die Monatsrente um 0,3 Prozent je vorgezogenen Monat.
Wer regulär bis 67 müsste, zahlt bei einem Start mit 63 maximal 14,4 Prozent Abschlag – ein Kürzungsfaktor, der lebenslang bleibt. Praxisbeispiel: 1 400 Euro Bruttorente schrumpfen dauerhaft auf knapp 1 200 Euro.
Abschläge ausgleichen: Sonderzahlungen ab 50
Wer seine Rente vorzieht, kann die Kürzung ganz oder teilweise durch freiwillige Einzahlungen nach § 187a SGB VI wettmachen. Ab dem 50. Geburtstag dürfen Sie beliebige Teilbeträge überweisen, bis spätestens einen Monat vor Rentenbeginn.
Die Summe orientiert sich am geplanten Abschlag und lässt sich steuerlich als Sonderausgabe absetzen. So wird aus einer um 14,4 % geminderten Rente oft wieder der volle Betrag – und das dauerhaft.
Was zählt als Versicherungszeit?
Arbeitsjahre bilden das Grundgerüst. Hinzu kommen bis zu drei Jahre Kindererziehung, Wehr- oder Zivildienst, Pflege von Angehörigen sowie Krankengeldphasen. Arbeitslosengeld I wird grundsätzlich angerechnet; Leistungen in den letzten 24 Monaten vor Rentenbeginn zählen jedoch nur, wenn der Jobverlust auf Insolvenz oder komplette Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers zurückzuführen ist.
Arbeitslosengeld II (Bürgergeld) wird hingegen nicht berücksichtigt. Wer Lücken vermutet, sollte Belege sammeln und fehlende Zeiten nachmelden – oft erhöht das die Jahressumme entscheidend.
Freiwillige Beiträge zählen nur mit 18 Jahren Pflichtbeiträgen
Freiwillige Nachzahlungen helfen Ihnen nur dann, die 45‑Jahres‑Marke zu knacken, wenn bereits mindestens 18 Jahre Pflichtbeiträge aus Beschäftigung oder selbstständiger Tätigkeit verbucht sind. Wer diese Schwelle verfehlt, kann zwar weiterhin einzahlen, erreicht damit jedoch keine abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte.
Schwerbehinderung: Frühstart mit weniger Verlust
Selbst wenn Sie mehr als drei Jahre früher in Rente gehen, ist der Abschlag bei einem Grad der Behinderung von mindestens 50 auf maximal 10,8 % begrenzt. Das macht den vorgezogenen Ruhestand deutlich günstiger als die 14,4 % bei der klassischen Altersrente ab 35 Beitragsjahren.
Ein Schwerbehindertenausweis (Grad ≥ 50) eröffnet zusätzliche Möglichkeiten. Mit 35 Versicherungsjahren können Betroffene bis zu zwei Jahre vor dem Regelalter abschlagsfrei gehen. Wollen sie noch eher aussteigen, fällt der Abschlag geringer aus als ohne Ausweis. Die Prüfung lohnt, wenn gesundheitliche Einschränkungen bestehen.
Altersteilzeit & betriebliche Übergangsmodelle
Viele Tarif‑ und Betriebsvereinbarungen bieten Altersteilzeit an, oft im 80/100‑ oder Block‑Modell: Sie arbeiten nur 50 % der Zeit, erhalten aber bis zu 80 % Ihres Nettoentgelts, und der Arbeitgeber stockt Ihre Rentenbeiträge auf. Das hilft, Lücken für die 45‑Jahres‑Regel zu schließen oder Abschläge zu verkürzen. Es besteht kein Rechtsanspruch, doch eine Anfrage bei Personalabteilung oder Betriebsrat lohnt sich.
Drei Schritte zur persönlichen Entscheidung
- Rentenunterlagen prüfen
Ab 55 verschickt die Rentenversicherung eine ausführliche Rentenauskunft. Sie listet alle gemeldeten Zeiten und weist die erfüllten Wartezeiten aus. Stimmen die Angaben? Falls nicht, Nachweise einreichen. - 45-Jahres-Option bewerten
Wer nahe an 45 Jahren liegt, sollte versuchen, die Marke zu erreichen. Schon wenige Monate Minijob können den Sprung ermöglichen und hohe Abschläge vermeiden. - Kürzung gegen Lebensqualität abwägen
14,4 Prozent klingen hoch, können aber durch längere Bezugsdauer, private Rücklagen oder Zuverdienst kompensiert werden. Ein detaillierter Kassensturz zeigt, ob der frühere Ausstieg dennoch passt.
Kranken‑ und Pflegeversicherung in der Rente
Wer in der zweiten Hälfte seines Erwerbslebens mindestens neun Zehntel gesetzlich versichert war, tritt automatisch in die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ein und zahlt Beiträge nur auf die gesetzliche Rente.
Wer diese 9/10‑Regel verfehlt, bleibt freiwillig gesetzlich oder privat versichert – dann werden auch Betriebs‑ und Privatrenten verbeitragt. Prüfen Sie rechtzeitig, ob Ihnen noch Versicherungsmonate fehlen und ob sich eine Nachversicherung lohnt.
Steuer- und Krankenversicherung im Blick behalten
Früher Ruhestand bedeutet mehr Rentenjahre, aber auch längere Beitragszeiten zur Kranken- und Pflegeversicherung. Zudem steigt der steuerpflichtige Anteil Ihrer Rente jährlich an; für Jahrgänge ab 2025 liegt er bei 85 Prozent. Kalkulieren Sie diese Effekte, bevor Sie den Antrag stellen.
Flexirente und Zuverdienst
Wer Abschläge reduzieren will, kann seine Arbeitszeit nach Wunsch senken und Teilrente beziehen. Seit dem 1. Januar 2023 dürfen Bezieher einer vorgezogenen Altersrente unbegrenzt hinzuverdienen; eine Hinzuverdienstgrenze existiert nicht mehr. So lässt sich gleitend aus dem Berufsleben aussteigen, ohne sofort die maximalen Einbußen zu akzeptieren.
Antragstellung, Kontenklärung & Beratung
Klären Sie Ihr Versicherungskonto frühzeitig mit dem Formular V 0210, um fehlende Zeiten nachzumelden. Lassen Sie sich außerdem vor jeder Sonderzahlung von der Deutschen Rentenversicherung eine exakte Berechnung des Ausgleichsbetrags schicken. Kostenfreie Beratungen – persönlich, telefonisch oder online – helfen, die beste Strategie und den optimalen Rentenbeginn festzulegen.