Rente: Keine Pflicht zur Klage für Teilzeitbeschäftigung

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Das Sozialgericht bestätigt den Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente bei verschlossenem Arbeitsmarkt.

Erwerbsminderung und der verschlossene Arbeitsmarkt

In einem Urteil wurde die Frage behandelt, ob Versicherte verpflichtet sind, gegen ihren Arbeitgeber zu klagen, um eine leidensgerechte Teilzeitbeschäftigung zu erhalten. Es geht dabei um die Arbeitsmarktrente, die gewährt wird, wenn ein Versicherter zwar teilweise erwerbsgemindert ist, aber der Arbeitsmarkt für ihn faktisch verschlossen ist.

Werdegang und gesundheitliche Situation des Klägers

Der 1959 geborene Kläger absolvierte eine Ausbildung zum Bauzeichner und war seit 1978 bei einem Arbeitgeber im öffentlichen Dienst beschäftigt. Seit 1984 arbeitete er als Sachbearbeiter für die Bauunterhaltung von Schulgebäuden. Seine Aufgaben umfassten unter anderem die Unterstützung von Objektmanagern bei Rechnungsprüfungen und Angebotsöffnungen, die Erfassung von Verbrauchsdaten der Schulen sowie die Prüfung von Turnhallenbüchern auf Mängel.

Aufgrund gesundheitlicher Probleme, insbesondere psychischer Beeinträchtigungen, war der Kläger ab Dezember 2012 arbeitsunfähig. Er litt unter einer depressiven Störung, Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck und einer Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales erkannte einen Grad der Behinderung von 50 an.

Medizinische Gutachten und Rentenantrag

Im Februar 2013 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung. Ein Gutachten attestierte ihm zunächst eine Arbeitsfähigkeit von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten. Die Rentenversicherung lehnte den Antrag ab, mit der Begründung, er könne noch ausreichend arbeiten und sei nicht berufsunfähig. Der Kläger legte Widerspruch ein.

Im Verlauf der nächsten Jahre unterzog sich der Kläger mehreren medizinischen Behandlungen, darunter einer stationären Rehabilitationsmaßnahme und einer tagesklinischen Therapie. Ein späteres Gutachten im Juni 2015 stellte fest, dass er nur noch in der Lage sei, drei bis unter sechs Stunden täglich zu arbeiten. Die Einschränkungen ergaben sich aus erhöhter Erschöpfbarkeit, Antriebsstörungen und vermindertem Konzentrationsvermögen.

Teilweise Erwerbsminderungsrente und fehlende Teilzeitstelle

Auf Basis des neuen Gutachtens gewährte die Rentenversicherung dem Kläger eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2017. Der Kläger strebte jedoch eine volle Erwerbsminderungsrente an, da er aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen und der fehlenden Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte.

Der Arbeitgeber des Klägers bestätigte auf Nachfrage, dass es keinen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz für ihn gäbe. Aufgrund der spezifischen Anforderungen aller verfügbaren Positionen sei es nicht möglich, eine Stelle anzubieten, die den gesundheitlichen Bedingungen des Klägers entspräche. Selbst einfache Tätigkeiten setzten ein Mindestmaß an Konzentrationsfähigkeit und Belastbarkeit voraus.

Urteil des Sozialgerichts: Anspruch auf volle Rente

Das Sozialgericht gab dem Kläger recht und verurteilte die Rentenversicherung, ihm für den genannten Zeitraum eine volle Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nur noch begrenzt arbeitsfähig sei und der Arbeitsmarkt für ihn verschlossen sei.

Entscheidend war die Feststellung, dass es dem Kläger nicht zuzumuten sei, gegen seinen Arbeitgeber zu klagen, um einen leidensgerechten Teilzeitarbeitsplatz zu erzwingen. Obwohl theoretisch gesetzliche Ansprüche auf Teilzeitbeschäftigung bestehen, sah das Gericht keine Pflicht des Klägers, diese gerichtlich durchzusetzen. Der Arbeitgeber hatte klar mitgeteilt, dass kein entsprechender Arbeitsplatz zur Verfügung stehe oder geschaffen werden könne.

Argumente der Rentenversicherung im Berufungsverfahren

Die Rentenversicherung legte Berufung ein und argumentierte, dass der Kläger nicht als voll erwerbsgemindert gelte, da er gesetzliche und tarifvertragliche Ansprüche auf eine Teilzeitbeschäftigung habe. Sie war der Ansicht, dass der Kläger verpflichtet sei, diese Ansprüche aktiv seinem Arbeitgeber gegenüber geltend zu machen. Zudem vertrat sie die Auffassung, dass es ihm zuzumuten sei, notfalls gerichtlich gegen den Arbeitgeber vorzugehen.

Ferner zweifelte die Rentenversicherung an den Aussagen des Arbeitgebers und der Schwerbehindertenvertretung, die keinen geeigneten Arbeitsplatz für den Kläger sahen. Sie betonte, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht ausreichend nachkomme und somit keinen Anspruch auf die volle Rente habe.

Entscheidung des Landessozialgerichts: Keine Klagepflicht gegen den Arbeitgeber

Das Hessische Landessozialgericht bestätigte in seinem Urteil, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, gegen seinen Arbeitgeber zu klagen, um eine passende Teilzeitbeschäftigung zu erhalten. Das Gericht erkannte an, dass der Arbeitsmarkt für den Kläger faktisch verschlossen ist, da kein leidensgerechter Arbeitsplatz verfügbar ist und es ihm nicht zuzumuten ist, rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einzuleiten.

Das Gericht führte aus, dass die gesetzlichen Ansprüche auf Teilzeitbeschäftigung zwar bestehen, der Kläger jedoch nicht gezwungen werden kann, diese gerichtlich durchzusetzen. Ein solches Vorgehen könnte das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachhaltig stören. Zudem hatte der Kläger bereits mehrfach versucht, in Gesprächen mit dem Personalservice und der Schwerbehindertenvertretung eine Lösung zu finden, jedoch ohne Erfolg.

Bedeutung des Urteils für Betroffene

Das Urteil verdeutlicht, dass Versicherte mit gesundheitlichen Einschränkungen, die nur noch teilweise arbeitsfähig sind und keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht verpflichtet sind, gegen ihren Arbeitgeber zu klagen, um eine Teilzeitbeschäftigung zu erzwingen. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen eine volle Erwerbsminderungsrente beanspruchen, wenn kein geeigneter Arbeitsplatz verfügbar ist und es unzumutbar wäre, rechtliche Schritte einzuleiten. Damit bietet das Urteil Orientierung für ähnliche Fälle und zeigt, dass gesetzliche Ansprüche nicht zwangsläufig eine Klagepflicht bedeuten.