Mit dem Bürgergeld wurde ein neues Versprechen verbunden: Weg von der reinen Sanktionslogik des Hartz-IV-Systems, hin zu mehr Vertrauen, Gesprächsorientierung und individueller Förderung. Symbol dieser Neuausrichtung war der Kooperationsplan – ein Instrument, das die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigten partnerschaftlicher gestalten sollte, ergänzt um Vertrauenszeit und ein Schlichtungsverfahren.
Der jetzt vorliegende Entwurf zur Reform der Grundsicherung stellt das Instrument Kooperationsplan deutlich um. Künftig soll aus der gemeinsam ausgehandelten Vereinbarung ein Verwaltungsakt werden können, der unmittelbar mit strengen Nachweis- und Mitwirkungspflichten verbunden ist. Verstöße sollen schnell zu empfindlichen Leistungsminderungen führen – in einem Sanktionssystem, das gleichzeitig deutlich verschärft wird.
Inhaltsverzeichnis
Vom Hartz-IV-Sanktionsregime zum Bürgergeld mit Kooperationsplan
Mit Wirkung zum 1. Januar 2023 hat das Bürgergeld das frühere Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) abgelöst. Zugleich wurde das System der Eingliederungsvereinbarungen und der vom Bundesverfassungsgericht teilweise verworfenen harten Sanktionen neu geordnet.
Die klassische Eingliederungsvereinbarung wurde durch den Kooperationsplan ersetzt. Seine Idee: Integrationsfachkräfte und Leistungsberechtigte sollten Ziele, Schritte und Unterstützungsangebote gemeinsam festhalten – ohne Unterschrift, ohne Rechtsfolgenbelehrung, damit auch ohne direkte Sanktionswirkung.
Der Kooperationsplan war versehen mit zwei weiteren Dingen: einer sogenannten Vertrauenszeit, in der zunächst keine regulären Sanktionen greifen sollten, sowie einem Schlichtungsverfahren, das Konflikte zwischen Jobcenter und Leistungsbeziehenden ohne sofortige Rechtsstreitigkeiten lösen sollte.
In der Gesetzesbegründung wurde ausdrücklich eine „neue Kultur des Miteinanders“ betont, die auf Kooperation und Vertrauen setzt.
Parallel dazu blieb ein Sanktionsregime bestehen, wenn etwa zumutbare Arbeit ohne wichtigen Grund abgelehnt wurde. Seit Ende März 2024 kann der Regelbedarf bei dauerhafter Arbeitsverweigerung in Einzelfällen sogar vollständig entfallen – wenngleich dies nach aktuellen Untersuchungen nur in sehr wenigen Fällen praktiziert wird.
Der neue Entwurf: Kooperationsplan nur noch unter Vorbehalt
Der Referentenentwurf für das 13. Gesetz zur Änderung des SGB II – mit dem das Bürgergeld in „Grundsicherungsgeld“ umbenannt werden soll – lässt den Begriff Kooperationsplan zwar bestehen, verändert aber seine Funktionsweise deutlich.
Nach einer Potenzialanalyse soll das Jobcenter weiterhin „unverzüglich“ mit jeder erwerbsfähigen Person einen Kooperationsplan erstellen. Darin werden Eingliederungsziel, Schritte zur Integration in Arbeit oder Ausbildung, Eigenbemühungen und Förderangebote des Jobcenters festgehalten. Inhaltlich ähnelt dies dem bisherigen Konzept. Neu ist die Art, wie mit fehlender Mitwirkung oder gescheiterten Verhandlungen umgegangen wird.
Wird eine Einladung zu einem Gespräch über den Kooperationsplan ohne Grund nicht wahrgenommen, kann das Jobcenter die betreffende Person künftig verpflichten, ganz konkrete Pflichten zu erfüllen: etwa bestimmte Eigenbemühungen zur Arbeitssuche, die Aufnahme oder Fortführung einer zumutbaren Beschäftigung, Teilnahme an Integrationskursen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Diese Verpflichtung erfolgt nicht mehr als unverbindliche Absprache, sondern mittels Verwaltungsakt – versehen mit Rechtsfolgenbelehrung.
Kommt es gar nicht erst zu einem Kooperationsplan oder kann er nicht fortgeschrieben werden, sieht der Entwurf vor, dass der Plan zwingend als ersetzender Verwaltungsakt erlassen wird. Dabei muss das Jobcenter präzise festlegen, welche Eigenbemühungen in welcher Häufigkeit, Form und Frist nachzuweisen sind.
Damit wird die bisherige Logik umgedreht: Aus einer gemeinsam entwickelten Orientierungshilfe mit weichen Konturen wird ein Instrument, das einseitig durchgesetzt werden kann – mit klar definierten Pflichten und unmittelbarer Sanktionsrelevanz.
Was ein Verwaltungsakt bedeutet – und warum das kritisch ist
Rechtlich gilt: Ein Verwaltungsakt ist ein verbindlicher Bescheid, der Rechte und Pflichten festschreibt. Er ist mit Rechtsbehelfs- und Rechtsfolgenbelehrung versehen und kann mit Widerspruch und Klage angegriffen werden. Genau hier setzt der Entwurf an: Kein Kooperationsplan – Verwaltungsakt. Pflichtverstoß – erneuter Verwaltungsakt.
Die Zusammenarbeit zwischen Jobcenter und Leistungsbeziehenden basiert damit nicht mehr primär auf einer rechtlich „weichen“ Absprache, sondern auf einem Arsenal an anfechtbaren Bescheiden. Dies erhöht die Verbindlichkeit, eröffnet aber zugleich neue Konfliktlinien.
Kommunale Spitzenverbände und Praktiker warnen bereits vor einer „Verfahrensflut“ und verweisen auf die stark steigende Zahl möglicher Widersprüche und Klagen, wenn jede Pflichtverletzung oder jede Unklarheit in einer Rechtsfolgenbelehrung gerichtlich überprüft werden kann.
Für die Betroffenen bedeutet der Status als Verwaltungsakt eine Verschiebung der Risikoverteilung: Wer eine Einladung übersieht, den Termin wegen gesundheitlicher Probleme nicht wahrnehmen kann oder sich in einer instabilen Lebenssituation befindet, muss damit rechnen, dass Pflichten ohne weitere Verhandlungen verbindlich auferlegt werden – und Verstöße schnell materielle Konsequenzen nach sich ziehen.
Gleichzeitig stärkt der Verwaltungsakt den Rechtsschutz, weil Betroffene nun systematisch Rechtsmittel einlegen können, wo der Kooperationsplan bislang nicht unmittelbar anfechtbar war.
Ein deutlich härteres Sanktionsregime
Der Wandel beim Kooperationsplan vollzieht sich nicht im luftleeren Raum, sondern eingebettet in eine umfassende Verschärfung der Sanktionen im SGB II. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass bereits eine einmalige Ablehnung eines zumutbaren Jobangebots dazu führen kann, dass der Regelbedarf für einen Monat gestrichen wird. Die Miete soll in solchen Fällen direkt an den Vermieter gezahlt werden.
Wer sonstige Pflichten verletzt – etwa Bewerbungsbemühungen unterlässt oder eine Fördermaßnahme abbricht –, soll drei Monate lang nur 70 Prozent des Regelbedarfs erhalten. Besonders einschneidend sind die geplanten Regelungen bei Meldeversäumnissen: Nach zwei grundlosen versäumten Terminen ist eine Kürzung um 30 Prozent vorgesehen; bei drei verpassten Terminen hintereinander entfällt der Regelbedarf vollständig, die Miete wird wiederum direkt überwiesen.
Wird ein weiterer Termin versäumt, soll in der Entwurfsfassung sogar der komplette SGB II-Leistungsanspruch einschließlich Wohn- und Heizkosten wegfallen.
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Bescheid prüfenHinzu kommt eine neue Fiktion der Nichterreichbarkeit: Wer nach dem vollständigen Entzug des Regelbedarfs innerhalb eines Monats nicht im Jobcenter erscheint, gilt als nicht erreichbar; der Anspruch auf Leistungen entfällt dann insgesamt. In Bedarfsgemeinschaften sollen die Unterkunftskosten anteilig den verbleibenden Mitgliedern zugerechnet werden, damit die Wohnung nicht unmittelbar verloren geht.
Damit baut die Reform auf einem Sanktionssystem auf, das bereits seit 2024 in Ausnahmefällen Vollsanktionen des Regelbedarfs bei nachhaltiger Arbeitsverweigerung kennt – und geht einen Schritt weiter, indem es zusätzliche Konstellationen schafft, in denen vollständige Kürzungen möglich sein sollen.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts widerspricht
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 Teile des Hartz-IV-Sanktionsrechts für verfassungswidrig erklärt. Kürzungen um 60 oder 100 Prozent des Regelbedarfs bei wiederholten Pflichtverletzungen wurden als unverhältnismäßig gewertet; zulässig seien grundsätzlich Absenkungen bis zu 30 Prozent, darüber hinaus nur in eng begrenzten Ausnahmekonstellationen mit strengen Anforderungen.
Genau an dieser Stelle entzündet sich nun erneut Streit. Befürworter der Reform argumentieren, die neuen Vollsanktionen knüpften an sehr spezielle Fälle an, etwa an wiederholtes, bewusstes Fernbleiben trotz mehrfacher Hinweise oder dauerhafte Ablehnung von Arbeit. Sie seien deshalb mit der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung vereinbar.
Kritiker wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt sehen dagegen die Gefahr, dass das Existenzminimum faktisch unterschritten wird, “insbesondere wenn Wohn- und Heizkosten in der letzten Eskalationsstufe nicht mehr übernommen werden sollen”. Sozialverbände und Fachjuristinnen erwarten, dass “die neuen Regelungen früher oder später erneut in Karlsruhe landen werden”.
Perspektive der Leistungsbeziehenden: Zwischen Klarheit und Druck
Aus Sicht vieler Leistungsbeziehender erhält der Alltag mit dem Jobcenter ein anderes Gesicht. Schon heute betreffen Leistungskürzungen wegen mangelnder Kooperation nur einen kleinen Teil der Bürgergeldempfangenden.
Gleichwohl steigt mit der Reform der Druck: Jeder Termin, jedes Gespräch über den Kooperationsplan, jede dort festgehaltene Pflicht ist potenziell mit Sanktionen verknüpft. Das Risiko, durch Krankheit, psychische Belastungen, unzuverlässige Postzustellung oder Sprachbarrieren gegen Fristen und Nachweispflichten zu verstoßen, wächst.
Verbände warnen, dass gerade besonders verletzliche Gruppen – Menschen mit chronischen Erkrankungen, Alleinerziehende, Personen mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder instabiler Wohnsituation – in Konflikt mit den neuen Anforderungen geraten könnten.
Auf der anderen Seite betonen Befürworter, der Kooperationsplan als Verwaltungsakt schaffe Klarheit: Wer welche Schritte gehen soll, welche Unterstützungsleistungen angeboten werden und welche Folgen bei Pflichtverstößen drohen, sei präzise geregelt.
Das Institut der deutschen Wirtschaft etwa sieht in „mehr Verbindlichkeit, schärferen Sanktionen und höheren Voraussetzungen des Leistungsbezugs“ eine Stärkung des Grundsatzes, dass staatliche Hilfe an ernsthafte Bemühungen zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit geknüpft sein müsse.
Konsequenzen für Jobcenter und Sozialgerichte
Für die Jobcenter bedeutet der Umbau des Kooperationsplans einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand. Jeder ersetzende Verwaltungsakt muss sorgfältig formuliert, inhaltlich begründet und mit korrekter Rechtsfolgenbelehrung versehen werden. Formfehler, unklare Pflichtbeschreibungen oder missverständliche Hinweise können den Bescheid angreifbar machen.
Kommunale Vertreterinnen und Vertreter warnen deshalb vor einer erheblichen Ausweitung an Widersprüchen und Klagen. Wenn jeder Streitpunkt – etwa die Zumutbarkeit einer Maßnahme oder die Frage, ob eine Einladung korrekt zugestellt wurde – über Verwaltungsakte formalisiert wird, steigt das Prozessrisiko. Bereits heute sind viele Sozialgerichte stark ausgelastet.
Die Befürchtung lautet: Was politisch als Beschleunigung und Straffung verkauft wird, könnte in der Praxis zu längeren Verfahren und mehr Schwebezuständen führen.
Gleichzeitig gilt: Mehr Verwaltungsakte bedeuten auch mehr Rechtsschutz. Betroffene haben klar ausgewiesene Angriffspunkte, können Widerspruch einlegen, einstweiligen Rechtsschutz beantragen und so Fehlentscheidungen korrigieren lassen. In einem hoch formalisierten System, das bis zum vollständigen Leistungsentzug reichen kann, ist diese Korrekturinstanz für viele die letzte Absicherung.
Streit um Richtung und Härte der Reform
Politisch ist die Reform hoch umstritten. Die Koalitionsspitzen unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) begründen den Kurs mit der Notwendigkeit, erwerbsfähige Leistungsbeziehende schneller und konsequenter in Arbeit zu bringen und den Staatshaushalt zu entlasten.
Innerhalb der SPD regt sich allerdings Widerstand: Teile der Parteibasis fürchten eine Rückkehr zu einer Politik, die an Hartz IV erinnert, und haben ein Mitgliederbegehren gegen die Reform gestartet. Sozialverbände, Wohlfahrtsorganisationen und Erwerbsloseninitiativen warnen vor wachsender Armut und einem Klima, in dem Misstrauen und Kontrolle gegenüber Hilfesuchenden dominieren.
Sozialrechtsexperten sprechen von einer „Entsorgung“ des Bürgergeldes und einer Verschiebung hin zu einer strengeren Grundsicherung mit überstark betonten Pflichten.
Der Gesetzentwurf befindet sich noch im parlamentarischen Verfahren. Anhörungen, mögliche Änderungen in den Ausschüssen und denkbare Kompromisse können Details der Regelungen – auch beim Kooperationsplan – noch verändern.
Die Richtung ist jedoch klar: mehr Druck der Jobcenter, mehr Sanktionen, eine stärkere Betonung von Eigenverantwortung – und ein Kooperationsplan, der nur noch bedingt als Ausdruck partnerschaftlicher Zusammenarbeit verstanden werden kann.




