Mietkaution bei Hartz IV

Lesedauer 22 Minuten

Mietkautionen und Hartz 4

07.03.2012

Zunächst die absolute Kurzversion: Ich bin kein Jurist, folglich darf dieser Artikel auch nicht als rechtliche Beratung missverstanden werden. Aber wenn ich noch einmal in die Situation käme, dass ich eine Mietkaution aus der Hartz IV Regelleistung heraus tilgen soll, würde ich mir einen Beratungsschein vom Amtsgericht holen und mich an einen Anwalt wenden. Der sollte dem Jobcenter dann schreiben, dass es ja so nicht gehen würde (mögliche Begründungen finden sich in diesem Artikel). Dann kommt vom Jobcenter der Widerspruchsbescheid und gegen den wird dann geklagt, wobei aufschiebende Wirkung beantragt wird. Anschließend hat man wahrscheinlich (einige Jahre) Ruhe vor dem Thema!

Und hier jetzt die (leider etwas längere) Vollversion: Ende 2010 hatte ich umziehen müssen. Für die alte Wohnung hatte ich keine Mietkaution stellen müssen, für die neue hingegen schon. Um die Übernahmeerklärung vom Jobcenter für den neuen Vermieter zu bekommen, musste ich einen Vertrag über die ratenweise Rückzahlung des Darlehens unterschreiben. Später fand ich heraus, dass diese Tilgung gar nicht verlangt werden durfte und klage aktuell gegen das Jobcenter Kiel.

Auf den ersten Blick scheint das Thema „Mietkaution und Bezieher von Regelleistungen“ recht übersichtlich zu sein. Am 1.4.2011 ergaben sich einige Änderungen im Gesetzestext und als mir das Oberbürgermeisteramt von Kiel erklärte, nun gäbe es endlich Rechtssicherheit in Bezug auf Mietkautionen, beschloss ich der Sache gründlich auf den Grund zu gehen und kam zu einem völlig anderen Ergebnis. Und wie das so ist, je tiefer man gräbt, um so mehr interessante Sachen kommen zum Vorschein. Und die interessantesten habe ich jetzt in diesem Artikel zusammen gestellt (Zitate sind in kursiver und etwas kleinerer Schriftart. Fettdruck kennzeichnet eine Hervorhebung durch mich.).

Hierzu habe ich versucht die Sichtweisen der vier Parteien wieder zu geben, die mit ihren Ansichten und Interessen bei diesem Thema aufeinander treffen:

Der Gesetzgeber: Seine Aufgabe ist es für die Bereiche, für die sich ein Regulierungsbedarf ergibt, Gesetze zu formulieren. Hierbei ist er gehalten, das Gemeinwohl nicht aus dem Auge zu verlieren, und die Gesetze so klar und eindeutig zu formulieren, dass bestenfalls überhaupt kein Interpretationsspielraum bleibt. Der letzte Prüfstein für die Gesetzgebung ist die Verfassung.

Die Kommunen: Sie tragen bei Beziehern von Sozialleistungen die Kosten für die Unterkunft, also Miete und Heizkosten. Sie sind zudem die Dienstherren der Angestellten in den Jobcentern (weder Landes- noch Bundesbehörden haben eine Weisungsbefugnis). Da fast alle Kommunen ständig klamm sind, wollen sie (bei einigen Kommunen kann man sagen: mit allen Mitteln) die Anzahl der Leistungsbezieher möglichst gering halten.

Die Leistungsbezieher: Wenn der Gesetzgeber seine Arbeit nicht ordentlich gemacht hat oder die Kommunen ihre eigene Interpretation der Gesetzestexte haben, sind sie die Leidtragenden in diesem Machtkampf. Sie beziehen das, was der Gesetzgeber als soziokulturelles Lebensminimum definiert hat. Wenn in dieses Lebensminimum auch noch Einschnitte gemacht werden, dann bleibt nur die Wahl zwischen Verzweiflung oder Kampf.

Die Richter: an den Sozialgerichten und am Bundesverfassungsgericht: Ihre Aufgabe ist es, die Fehlleistungen der drei anderen Gruppen unter Kontrolle zu behalten. Wird um prinzipielle Fragen gestritten, kann es Jahre dauern, bis eine Klärung vorliegt. Diese Klärung kann beim Bundesverfassungsgericht auch die Konsequenz haben, dass der Gesetzgeber nachbessern muss.

1. Der Gesetzgeber und die Mietkaution
Dieses Kapitel ist eindeutig das längste, denn für das Verständnis der aktuellen Situation ist die Kenntnis der Situation vor dem 1.4.2011 essenziell wichtig. Es werden nicht nur die entsprechenden Paragrafen vorgestellt, sondern auch das, was die Bundesregierung aufgrund einer kleinen Anfrage darüber sagte. Anschließend werden die seit dem 1.4.2011 gültigen Paragrafen vorgestellt und mit den alten Versionen verglichen. Hierbei wird natürlich auch diskutiert, wie der Gesetzgeber wirklich Klarheit hätte schaffen können und es werden Vermutungen angestellt, warum er es nicht machte.

1.1 Die gesetzlichen Regelungen zur Mietkaution vor dem 1.4.2011
Im SGB II gab es vor dem 1.4.2011 zwei Paragrafen, in denen das Wort Darlehen verwendet wurde. In keinem der Sozialgesetzbücher wird das Wort Darlehen definiert. Da das BGB solch eine Definition enthält und zudem deutlich älter ist als die Sozialgesetzbücher, schauen wir uns diese Definition einmal an.

BGB § 488 Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag
(1) Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen…..

Davon, dass ein Darlehen ratenweise zu tilgen ist, steht hier nichts. Wir können als sicher unterstellen, dass der Gesetzgeber sich dessen bewusst war. Soll eine monatliche Tilgung erfolgen, dann muss dies also ausdrücklich und zusätzlich angegeben werden.

Jetzt kommen wir zum ersten Paragrafen, der das Wort Darlehen enthält. Um meine Ausführungen nicht unnötig lang zu machen, zitiere ich nur den 3. Absatz; Version vor dem 1.4.2011

§ 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung
(3) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.
Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.

Wichtig ist, dass eine Tilgung ausdrücklich nicht erwähnt oder gefordert wird. Es wäre allerdings deutlich klarer gewesen, wenn noch angefügt worden wäre: Eine monatliche Tilgung aus der Regelleistung heraus erfolgt nicht. Oder: Die Tilgung erfolgt bei Rückgabe des Betrages durch den Vermieter.

Wir kommen jetzt zu dem zweiten Paragrafen, in dem das Wort Darlehen verwendet wird; Version vor dem 1.4.2011:

§ 23 Abweichende Erbringung von Leistungen
(1) Kann im Einzelfall ein
von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Bei Sachleistungen wird das Darlehen in Höhe des für die Agentur für Arbeit entstandenen Anschaffungswertes gewährt. Das Darlehen wird durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 vom Hundert der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt.

Auch hier haben wir es mit einem Darlehen zu tun, jedoch wird ausdrücklich bestimmt, dass es nur gewährt werden soll, wenn es für einen Bedarf ist, der von der Regelleistung umfasst wird, und dass das Darlehen dann auch aus der Regelleistung heraus getilgt werden muss. Einen Überblick darüber, was die Regelleistung umfasst, kann man sich auf Wikipedia unter Regelsatzverordnung verschaffen.

Natürlich wäre es jetzt sehr interessant zu wissen, was denn der Gesetzgeber selbst zu der Frage meint, ob Mietkautionen aus der Regelleistung heraus getilgt werden müssen. Aufgrund einer kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke ist seine ausdrückliche Meinung bekannt (Bundesdrucksache 16/4887 vom 29.3.2007). Die Frage war:

Wie bewertet die Bundesregierung die Handlungsweise der Arbeitsgemeinschaften, Darlehen für Mietkautionen nach § 22 SGB II wie Darlehen nach § 23 SGB II zu behandeln?
Ist diese Handlungsweise durch das Gesetz und durch Durchführungsverordnungen gedeckt?

Die Antwort der Bundesregierung:
Die Übernahme einer Mietkaution in Form der Gewährung eines Darlehens nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist rechtswidrig. Demzufolge scheidet auch eine Darlehenstilgung auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB II aus…..

Die Aufwendungen für eine Mietkaution sind nicht von der Regelleistung umfasst, so dass § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II keine Grundlage für die darlehensweise Übernahme einer Mietkaution bietet…..

Die Bundesregierung hatte also eindeutig ausgeschlossen, dass Darlehen für eine Mietkaution so zu behandeln sind wie Darlehen für eine Bedarfsdeckung, also durch die Jobcenter nicht verlangt werden durfte, dass die Mietkaution ratenweise aus der Regelleistung getilgt wurde. Diese Aussage der Bundesregierung wurde nie zurückgenommen, zumindest nicht vor dem 1.4.2011.

Und diese Aussage wurde allem Anschein nach von sehr vielen Kommunen ignoriert. So gibt das Jobcenter Kiel sogar zu, dass Tilgungen von Mietkautionen aus der Regelleistung heraus in großer Zahl erfolgten. Und es gibt einen schönen Artikel über einen Anwalt aus Plön (und das ist mit Verlaub, auch zusammen mit dem Kreis, ein kleines Nest), in dessen Kanzlei alleine über 200 Fälle wegen Mietkautionen anhängig sind. Die Kommunen wehrten sich also heftig dagegen, dass sie die Mietkautionen übernehmen sollten.

1.2 Die Gesetzesänderungen zum 1.4.2011
Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass es lediglich zwei Paragrafen im SGB II gab, in denen das Wort Darlehen vorkam (zum 1.4.2011 ist der § 42a hinzu gekommen). Ich stelle jeweils die alte und die neue Version einander gegenüber, damit die Änderungen leicht ersichtlich sind.

Die Version des § 22 vor dem 1.4.2011
(3) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.

Die Version des § 22 nach dem 1.4.2011
(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.

Der einzige Unterschied besteht aus der Ersetzung der Wortes „übernehmen“ durch die Phrase „als Bedarf anerkennen“.

In keinem der Sozialgesetzbücher wird der Begriff „Bedarf“ definiert und auch im BGB habe ich keine Definition gefunden. Man kann also davon ausgehen, dass die umgangssprachliche Bedeutung gemeint ist. Wir greifen mal wieder auf Wikipedia zurück:

Der Ausdruck Bedarf (Plural, nur in der Fachsprache: Bedarfe) ist mehrdeutig. Er bedeutet:

– allgemein ein Bedürfnis, ein Erfordernis,
– eine erforderliche Menge oder einen Verbrauch,
– eine Nachfrage;
– in der Wirtschaftswissenschaft das mit Kaufkraft (Geld) verbundene Bedürfnis;
– in Systemen der sozialen Sicherung eine Anspruchsberechtigung auf einen Betrag, eine Menge oder ein Volumen.

Am Sinn des § 22 SGB II hat sich auf den ersten Blick nichts geändert!

Auf den zweiten Blick sieht man, dass der Gesetzgeber jetzt unterstellt, dass die Mietkaution etwas ist, was der Leistungsbezieher haben will oder meint zu brauchen. Das ist aber grundfalsch, denn dieser hat lediglich den Bedarf an einer beheizbaren Unterkunft. Der Vermieter will die Kaution und zwar als Absicherung für die vollständige Mietzahlung. Mietkautionen sind Teil der Umzugsfolgekosten und somit kein Bedarf des Leistungsbeziehers! Falls der Gesetzgeber tatsächlich die Tilgung der Kaution dem Leistungsbezieher aufbürden wollte, dann musste er die Kaution natürlich erst zu einem Bedarf umdeuten, damit es nicht schon auf den ersten Blick verfassungswidrig aussieht.

Hätte der Gesetzgeber eine Tilgung aus der Regelleistung heraus ausdrücklich fordern wollen, hätte er den Satz „Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.“ beispielsweise durch „und wird entsprechend den Konditionen in § 42a getilgt.“ erweitern können. Insbesondere nach der Antwort auf die kleine Anfrage (Bundesdrucksache 16/4887 vom 29.3.2007) hätte man an dieser Stelle eine deutlich größere Klarheit erwarten können.

In der Version des SGB II vor dem 1.4.2011 gab es einen weiteren Paragrafen, in dem sich das Wort Darlehen fand, und zwar im § 23 Abs. 1, dessen Inhalt sich jetzt weitgehend im § 24 Abs. 1 befindet (und natürlich im § 42a). Wir prüfen, ob sich dort ein direkter Hinweis auf Mietkautionen findet.

Die Version des § 23 vor dem 1.4.2011
(1) Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts weder durch das Vermögen nach §12 Abs. 2 Nr. 4 noch auf andere Weise gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt dem Hilfebedürftigen ein entsprechendes Darlehen. Bei Sachleistungen wird das Darlehen in Höhe des für die Agentur für Arbeit entstandenen Anschaffungswertes gewährt. Das Darlehen wird durch monatliche Aufrechnung in Höhe von bis zu 10 v. H. der an den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen jeweils zu zahlenden Regelleistung getilgt. Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen.

Die Version des § 24 nach dem 1.4.2011
(1) Kann im Einzelfall ein vom Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasster
und nach den Umständen unabweisbarer Bedarf nicht gedeckt werden, erbringt die Agentur für Arbeit bei entsprechendem Nachweis den Bedarf als Sachleistung oder als Geldleistung und gewährt
der oder dem Leistungsberechtigten ein entsprechendes Darlehen. Bei Sachleistungen wird das Darlehen in Höhe des für die Agentur für Arbeit entstandenen Anschaffungswertes gewährt. Weiter gehende Leistungen sind ausgeschlossen.

Wir stellen fest, dass sich im § 24 nicht der geringste Hinweis auf Mietkautionen findet und auch die Tilgung findet hier keine Erwähnung mehr.

Die Meinung, dass Mietkautionen ab April 2011 in Raten aus der Regelleistung zu tilgen sind, könnte sich also einzig und allein auf § 42a stützen. Den Paragrafen müssen wir uns also mal ganz genau ansehen. Weil in den anderen Absätzen nichts über Mietkautionen steht, beschränke ich das Zitat auf den dritten Absatz.

§ 42a Darlehen
(3) Rückzahlungsansprüche aus Darlehen nach § 24 Absatz 5 sind nach erfolgter Verwertung sofort in voller Höhe und
Rückzahlungsansprüche aus Darlehen nach § 22 Absatz 6 bei Rückzahlung durch den Vermieter sofort in Höhe des noch nicht getilgten Darlehensbetrages fällig. Deckt der erlangte Betrag den noch nicht getilgten Darlehensbetrag nicht, soll eine Vereinbarung über die Rückzahlung des ausstehenden Betrags unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Darlehensnehmer getroffen werden.

Vor dem 1.4.2011 wurde im SGB II das Wort Darlehen mit zwei deutlich verschiedenen Bedeutungen benutzt wird. Nämlich erstens, wie das Darlehen aus dem BGB, also Zinszahlung und Tilgung durch den Vermieter, keine ratenweise Tilgung durch den Leistungsbezieher aus der Regelleistung heraus. Und zweitens das Darlehen zur Deckung von Bedarfen, die von der Regelleistung umfasst werden, und dementsprechend auch aus der Regelleistung heraus ratenweise getilgt werden müssen.

Der § 42a SGB II bezieht sich jetzt allgemein auf Darlehen. Wenn man den Gesetzestext liest, ohne die Vorgeschichte zu kennen, müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass ab dem 1.4.2011 auch Darlehen für eine Mietkaution aus der Regelleistung zu tilgen sind. Mit dem Wissen um die Vorgeschichte und insbesondere nach der Antwort der Bundesregierung aus dem Jahre 2007 sieht das etwas anders aus, denn der Gesetzgeber hätte in gerade einmal vier Jahren eine komplette Kehrtwendung von „definitiv nein“ hin zu „mit Sicherheit ja“ gemacht. Und er hat mehrere gute Möglichkeiten ungenutzt gelassen, für die notwendige Klarheit zu sorgen, was er denn jetzt meint!

Aber ich habe auch eine andere Interpretation, nämlich dass es sich lediglich um eine handwerkliche Fehlleistung handelt. Und zwar verschiebe ich gedanklich mal die fett gedruckte Passage aus dem § 42a nach § 22; und siehe da, wir haben wieder die gleiche Interpretation wie vor dem 1.4.2011, nämlich dass Mietkautionen nicht aus der Regelleistung getilgt werden müssen. Bliebe noch zu klären, wie „in Höhe des noch nicht getilgten Darlehensbetrages“ zu interpretieren wäre.

Nehmen wir an, ein Bezieher von Regelleistung muss, aus welchen Gründen auch immer, umziehen und das Jobcenter sieht ein, dass der Umzug notwendig ist. Bei seinem alten Vermieter hatte er von seinem Vermögen 300 Euro Mietkaution hinterlegt und der neue Vermieter will eine Hinterlegung von 500 Euro. Die kann der Bezieher aber nicht aufbringen, weil der alte Vermieter die 300 Euro erst zwei Monate später zurück geben will und der neue Vermieter will die Hinterlegung von 500 Euro sofort haben. Zudem ist der Bezieher nicht einmal in der Lage, die zweihundert Euro für die Differenz aufzubringen.

Also muss das Jobcenter einspringen und ein Darlehen über 500 Euro gewähren, wobei vereinbart werden könnte, dass der Leistungsbezieher das Darlehen zum Teil tilgt, sobald er die Mietkaution von seinem alten Vermieter zurück bekommen hat (so das Jobcenter sie nicht ohnehin direkt von dort bekommt). Und wenn er irgend wann bei seinem neuen Vermieter auszieht, dann sind die restlichen 200 Euro fällig. Allerdings nicht sofort bei Auszug, sondern erst, wenn er sie vom Vermieter erhalten hat (so das Jobcenter sie nicht ohnehin direkt von dort bekommt)!

Wir hatten ja schon gesehen, dass eine Mietkaution, obwohl eigentlich zu den Umzugsfolgekosten gehörend, jetzt zu einem Bedarf mutiert sein soll. Folglich müssen wir uns noch den Paragrafen ansehen, der regelt, was die Regelleistung überhaupt umfasst.

§ 20 SGB II Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts

(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

Weder Umzugskosten noch Umzugsfolgekosten wie die Mietkautionen tauchen hier auf. Wenn die Gesetzesinterpretation der Jobcenter richtig wäre, nämlich dass jetzt zusätzliche Ausgabeposten von der Regelleistung umfasst werden, dann müsste dies ja auch Konsequenzen bei der Definition des Regelbedarfs haben. Oder man sollte zumindest eine Anpassung des Regelsatzes nach oben erwarten, denn es soll ja mehr abgedeckt werden. Doch weder das eine noch das andere lässt sich finden. Entweder hat der Gesetzgeber an dieser Stelle grob gepfuscht oder die Interpretation der BA und der Jobcenter ist falsch.

Des weiteren wird festgelegt, dass es in der Verantwortlichkeit des Leistungsbeziehers liegt, wofür er das Geld ausgibt. Wenn jetzt das Jobcenter anordnet, man habe 10% der Leistung für eine Kaution anzusparen, dann ist die Eigenverantwortlichkeit nahezu vollständig ausgehebelt. Der § 20 hätte also inhaltlich an diese neue Situation angepasst werden müssen, wurde er aber nicht.

Wir haben dem Gesetzestext bereits entnommen, dass Mehrbelastungen mit Hilfe eines Darlehens abgefangen werden sollen. Dies kann der Fall sein, wenn mehrere kleinere Mehrbelastungen sich zufälligerweise häufen oder wenn etwas kaputt geht, das teurer ist. Jetzt gibt es zwar Urteile, dass ein Leistungsbezieher weder Anspruch auf einen Fernseher oder einen Kühlschrank hat, aber schauen wir mal, was denn in einem Haushalt am teuersten ist, wenn es kaputt geht.

Dies sind Kühlschrank, Waschmaschine, Fernseher und PC. Einen brauchbaren gebrauchten Kühlschrank bekommt man für 50-80 Euro; eine funktionierende Waschmaschine für 120-150 Euro; gebrauchte Farbfernseher kann man für 40 bis 100 Euro bekommen und einen gebrauchten PC (3 – 5 Jahre alt) kann man für etwa 100 Euro ergattern. Man hat also eine Ansparzeit von maximal vier Monaten, um einen Ersatz beschaffen zu können, wenn man 10% der Regelleistung dafür aufwendet.

Bei der Abzahlung einer Mietkaution handelt es sich aber um einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren! Das geht weit über die Zeit hinaus, die der Gesetzgeber bei der ursprünglichen Erstellung des Gesetzes gemeint haben könnte!

1.3 Fazit
Der Gesetzgeber hat seine Aufgabe, Gesetze klar und eindeutig zu formulieren, nur mangelhaft erledigt. Aktuell gehen die Jobcenter davon aus, dass die Mietkautionsdarlehen zwingend aus der Regelleistung heraus zu tilgen sind. Das Problem ist nur, dass sich hieraus ebenso zwingend Konsequenzen ergeben, die nicht mit der Verfassung in Einklang gebracht werden können.

Oder man geht davon aus, dass es lediglich einen Anhaltspunkt dafür gibt, dass der Gesetzgeber seine Meinung innerhalb von vier Jahren komplett geändert hat und jetzt ein Missverständnis bei der Interpretation des Gesetzes vorliegt. Es steht nirgendwo ausdrücklich im SGB II, dass Mietkautionen aus der Regelleistung zu tilgen sind, obwohl Mietkautionen ausdrücklich erwähnt werden. Um zu der Überzeugung der BA (siehe nächstes Kapitel) kommen zu können, muss man zumindest eine logische Schlussfolgerung machen. Eine Begründung der Art „wenn dies, dann wohl auch das“ (wenn die Kaution ein Darlehen ist, das getilgt werden muss, dann kann man auch von einer monatlichen Tilgung aus der Regelleistung heraus ausgehen) ist aber deutlich schwächer, als anzunehmen, dass sich inhaltlich nichts grundlegend geändert haben wird, wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird.

Oder war der Gesetzgeber womöglich sehr geschickt und hat das Gesetz so formuliert, dass die Kommunen es (wie gewollt) fehlinterpretieren können, ohne dass man dem Gesetzgeber den Wunsch zum Verfassungsbruch unterstellen kann oder den Kommunen, dass sie gesetzeswidrig handeln würden? Diese Frage wird im 4. Kapitel noch einmal aufgegriffen.

2. Die Kommunen und die Mietkaution
2.1 Die Situation vor dem 1.4.2011
In den vergangenen Jahren hätte man den Eindruck bekommen können, dass jede Kommune so lange geklagt hat, bis es ein rechtskräftiges Urteil gab, das die jeweilige Kommune gezwungen hat, Mietkautionen nur noch als Darlehen ohne ratenweise Tilgung zu gewähren. Zumindest in Kiel und Plön wurden die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit ignoriert, genauso wie der Wille der Bundesregierung oder das Urteil vom Landessozialgericht Schleswig-Holstein (L 6 AS 24/09 vom 25.11.2009; die Revision ist unter B 4 AS 26/10 beim Bundessozialgericht anhängig).

Bei meiner (nicht sehr intensiven) Suche nach Urteilen zum Thema Mietkaution fand ich:

– Landessozialgericht Schleswig-Holstein L 6 AS 24/09 vom 25.11.2009 nicht rechtskräftig

– Landessozialgericht Hessen L AS 145/07 vom 05.09.2007

– Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L32B 1912/07 AS ER vom 30.11.2007 rechtskräftig

– Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen S 43 AS 4/09 ER vom 21.8.2007 rechtskräftig

– Landessozialgericht Baden-Württemberg L 13 AS 3108/06 ER-B vom 06.09.2006,

wobei alle diese Gerichte zu dem Ergebnis kamen, dass es rechtswidrig sei, Darlehen für Mietkautionen in Raten aus dem Regelbedarf heraus tilgen zu lassen. Bei der Menge an Urteilen kann man wohl davon ausgehen, dass sich so ziemlich alle Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland geweigert haben, sich gesetzeskonform zu verhalten.

In Bezug auf die Jobcenter in Schleswig-Holstein kann ich dies sogar beweisen. Der Petitionsausschuss des Landtages teilte mir mit seinem Beschluss vom 6.11.2011 mit:

…Auch die Bundesregierung hat im Rahmen der kleinen Anfrage (BT-Drs. 16/4683) erklärt, dass eine Darlehenstilgung auf der Grundlage des oben genannten Paragrafen ausscheide. Der Ausschuss drückt sein Erstaunen darüber aus, dass in manchen Fällen – trotz der deutlichen Haltung der angesprochenen Institutionen – weiterhin eine Darlehenstilgung mit Verweis auf § 23 SGB II a.F. zu Lasten der Hilfeempfänger erfolgt…..

Der Petitionsausschuss nimmt begrüßend zur Kenntnis, dass bereits im Jahre 2007 die damaligen „ARGEn“ und „Optionskommunen“ vom damals zuständigen Justizministerium sowohl in einer Rund-E-Mail als auch in einer gemeinsamen Sitzung des Ministeriums und der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit mit den Geschäftsführern der ARGEn und den Fachdienstleitungen der Optionskommunen über die aktuelle Rechtslage informiert worden seien.

Die Jobcenter in Kiel und Plön haben also in großer Zahl rechtswidrig gehandelt. Mit Vorsatz! Wie es bei den anderen Jobcentern in Schleswig-Holstein aussieht, entzieht sich meiner Kenntnis (bei entsprechenden Nachrichten erweitere ich natürlich die Liste).

Wenn eine Integrationsfachkraft zufällig wusste, dass die Bundesregierung es als illegal ansah, wenn Mietkautionen als Darlehen nach § 23 SBG II gewährt wurden, dann hätte sie das selbstverständlich auch nicht so machen dürfen. Wenn sie aber von ihrem Vorgesetzten die Anweisung bekam, es trotzdem so zu machen, musste sie ihn darauf hinweisen, dass dies illegal sei. Blieb der Vorgesetzte bei der Anweisung, musste die Integrationsfachkraft zum Vorgesetzten des Vorgesetzten gehen und sagen, man verlange rechtswidriges Verhalten von ihr. Wenn auch der sagte, mache es so wie angeordnet, dann würde die Integrationsfachkraft straffrei ausgehen, wenn es später doch noch zu echtem Ärger gekommen wäre. Aber dann wären die Vorgesetzten dran gewesen! Wer die Einzelheiten genauer wissen will, kann sie unter dem Stichwort Remonstration ergoogeln.

Wenn andererseits ein Vorgesetzter, wider besseres Wissen, die Anweisung an einen Untergebenen gab, rechtswidrig zu handeln oder wenn er die Information über die korrekte Verhaltensweise vorsätzlich unterdrückte, dann wäre das ein schweres Dienstvergehen gewesen. Und es ist bewiesen, dass die Leiter der Jobcenter in Schleswig-Holstein es seit 2007 wussten! Es ist lediglich die Frage offen, wer sich in welcher Form und in welchem Umfang schuldig gemacht hat.

2.2 Die Situation nach dem 1.4.2011
Jetzt sieht die Angelegenheit etwas anders aus, denn jetzt gibt die Bundesagentur für Arbeit den fachlichen Hinweis, dass die Darlehen für Mietkautionen genauso getilgt werden müssen, wie solche für Bedarfe, die von der Regelleistung umfasst werden. In der Fassung vom 20.5.2011 heißt es:

…. Die Erbringung von Darlehen ist in verschiedenen Vorschriften des SGB II vorgesehen (z.B. §§ 22 Abs. 6, 24 Abs. 1 und 4, 27 Abs. 4)….

…. § 42a regelt die Rahmenbedingungen für die Gewährung aller Darlehen nach dem SGB II, insbesondere für die Rückzahlungsverpflichtung. Eine Darlehensgewährung kommt demnach nur in Betracht, wenn sie im SGB II ausdrücklich vorgesehen ist…..

…. Bei der Regelung des § 42a Abs. 2 ist die Ermessensregelung hinsichtlich der Höhe der Aufrechnung entfallen….

…. eine Mietkaution wird bei vorheriger Zusicherung als Darlehen erbracht (§ 22 Abs. 6 S. 3),….

Man könnte sagen, was Darlehen für Mietkautionen anbelangt, stehen die Jobcenter und Kommunen jetzt da, wo sie schon lange sein wollten. Die Mietkautionen müssen mit 10% aus der Regelleistung getilgt werden. Es bliebe die Frage zu klären, warum die Kommunen genau dies wollten und immer noch wollen.

2.3 Was könnte der Beweggrund der Kommunen sein?
Wird eine Mietkaution vom Jobcenter gestellt, so kann sie direkt an den neuen Vermieter überwiesen werden. Zieht der Leistungsbezieher nach einer Weile wieder aus, dann wird die verzinste Kaution wieder an das Jobcenter überwiesen. Der Bezieher der Regelleistung hat aus dem Vorgang keinerlei Vorteil und die Kommune hat keinen Nachteil, denn sie bekommt das Geld ja verzinst zurück.

Es muss also irgendeinen Grund geben, warum die Kommunen unbedingt wollen, dass Mietkautionen aus der Regelleistung getilgt werden. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht und habe drei mögliche Erklärung gefunden:

1. Die Kommunen bekommen selber keinen Kredit mehr:
Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, statt einer Kaution eine Bürgschaft zu geben. Wenn es allerdings soweit ist, dass kein Vermieter so eine Bürgschaft akzeptieren will, dann wäre es wohl an der Zeit, dass die Kommune in die Insolvenz geht und nicht versucht, die Angelegenheit auf dem Rücken der Ärmsten auszutragen.

2. Die Kommunen wollen die Zinsdifferenz nicht übernehmen:
Nimmt die Kommune einen Kredit auf, um hieraus Mietkautionen zu bedienen, dann muss sie beispielsweise 3% zahlen, wohingegen die Mietkaution nur 1% bringt. Bei einer Mietkaution von Pi mal Daumen 600 Euro macht das eine Differenz von 12 Euro im Jahr oder 1,0 Euro pro Monat. Diesen Betrag vom Leistungsbezieher zu verlangen wäre berechtigt und das kann er auch aufbringen. Allerdings fehlt da wohl eine rechtliche Grundlage (aber das hat die Kommunen früher ja auch nicht gestört).

3. Die Kommunen wollen, dass es den Beziehern so lange wie möglich so schlecht wie möglich geht:
Und hierzu sollen die Leistungsbezieher über lange Zeiträume deutlich unter die Grenze gedrückt werden, die vom Gesetzgeber als Lebensminimum definiert worden war. Bei gängigen Beträgen für die Mietkautionen soll man also bis zu 2 Jahre darben; 10% unter dem Lebensminimum!

Die Lübecker Nachrichten vom 24.2.2012: Jens-Olaf Teschke setzt auf die Ansiedlung von Unternehmen und rechnet vor: „Lübeck hat 33 000 Empfänger von staatlichen Leistungen. Wären es 7000 weniger, dann würde das 50 Millionen Euro einsparen.“Und wenn keine Unternehmen kommen wollen, versucht man dann diese Empfänger zu vergrämen, damit sie zur Nachbarkommune abwandern, bundesweit und flächendeckend?

Seit dem 1.4.2011 ist allem Anschein nach das gesetzlich vorgeschrieben, was vorher ein Fall für den Staatsanwalt hätte sein können. Was ich damit meine, folgt im nächsten Kapitel.

3. Leistungsbezieher und Mietkaution
Ein Bezieher von Sozialleistung kann keinen Unterschied feststellen zwischen der Situation vor dem 1.4.2011 und der Zeit danach. Zumindest nicht, wenn er/sie in Kiel oder Plön wohnt. Wenn man das Glück hatte, vor dem 1.4.2011 in einer Kommune zu wohnen, wo die Jobcenter die allgemeine Rechtsprechung respektierten, dann hatte man die Mietkaution als Darlehen, das nicht in Raten aus der Regelleistung heraus getilgt werden musste. In allen anderen Kommunen hatte man halt Pech (Das lässt mich daran denken, dass es doch eine nette Option wäre, den getilgten Betrag wieder einzuklagen, weil er rechtswidrig einbehalten wurde! Das müsste gehen, sobald das Urteil vom Bundessozialgericht zu den Mietkautionen vor dem 1.4.2011 vorliegt!).

Jetzt ist es ja so, dass die Höhe der Regelleistungen so bemessen ist, dass gerade eben ein menschenwürdiges Überleben gesichert wird, wobei angemerkt sei, dass nicht wenige Sozialverbände der Meinung sind, dass die Sätze deutlich zu niedrig angesetzt sind. Und es gibt Politiker, die bei diesen völlig überhöhten Regelsätzen römische Dekadenz unterstellen. Trotzdem können wir sicher davon ausgehen, dass die Regelsätzen nichts ermöglichen, was nicht wirklich absolut notwendig ist.

Mehr soll es ja auch ausdrücklich nicht sein, denn niemand soll sich in der Situation wohlfühlen können, wenn er von Regelleistung lebt. Die Regelleistung ist also gerade eben so hoch, dass man wahrscheinlich ohne körperliche oder geistige Schäden überleben kann. Doch im Umkehrschluss heißt das natürlich auch: Wenn jemandem deutlich weniger zugestanden wird, dann besteht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass er/sie Schaden nimmt.

Ein Teil der Regelleistung ist ausdrücklich dafür bestimmt, ein Polster anzulegen. Wenn jemand seit Mai Leistungen bezieht, dann wird von ihm erwartet werden, dass er bis Dezember so viel Geld zurück gelegt hat, dass er sich Winterstiefel und einen Pullover kaufen kann. Wenn er dann den von Motten zerfressenen Wintermantel im Schrank findet, dann darf er allerdings für einen neuen Mantel ein Darlehen beim Jobcenter beantragen, das dann wieder aus der Regelleistung heraus getilgt wird. Klingt nicht unfair. Aber was passiert, wenn die Regelleistung langfristig um 10% gekürzt wird?

Wenn man sich mal die Aufschlüsselung des Regelsatzes ansieht (findet man bei Wikipedia unter Regelsatzverordnung), dann stellt man eindeutig fest: Wenn man nur noch 90% vom Regelsatz bekommt, dann geht es wirklich an die Substanz. Beim normalen Regelsatz bleibt mir persönlich nach Abzug der Fixkosten ein Tagessatz von knapp über 7 Euro. Wenn mir über 36 Euro vom Regelsatz abgezogen werden, dann bleiben weniger als 6 Euro pro Tag. Neue Hose kaufen, weil die alte kaputt ist? Ja, wovon denn? Zumindest einmal im Monat eine Tüte Haribo? Bis auf weiteres gestrichen! Mal Freunde besuchen? Das kostet mit dem Bus hin und zurück 4,60 Euro. Wie willst du von 1,40 Euro den Rest des Tages überleben?

Diese 10% bewirken einen erheblichen Unterschied, nämlich den zwischen „gerade eben über die Runden kommen und hoffentlich keinen Schaden nehmen“ und „an die Substanz gehen und wahrscheinlich Schaden an Körper und/oder Geist nehmen“.

Da meine Klage vor dem 1.4.2011 eingereicht wurde, wollte/sollte meine Integrationsfachkraft also dafür zu sorgen, dass ich 16 Monate lang darbe und mich quäle. Heute wäre sie dazu verpflichtet!

Fast eineinhalb Jahre deutlich unter dem Lebensminimum sollten es werden. Wenn mir der Regelsatz um 10% gekürzt wird, kann ich keine Rücklagen mehr bilden, folglich kann ich mir im kommenden Winter auch keine Stiefel kaufen. Also muss ich dann um einen Kredit vom Jobcenter nachsuchen und verlängere die Zeit des Leidens entsprechend. Auf ewig unter dem Existenzminimum, nur weil ich umziehen musste!?

Ich wollte doch gar nicht umziehen! Ich wollte doch gar kein Darlehen für eine Mietkaution! Und trotzdem sollte ich bestraft werden? Ich sollte mich 16 Monate quälen! Wenn man dafür sorgt, dass jemand gequält wird, dann ist das Folter und Folter ist Körperverletzung.

Zumindest für alle Fälle vor dem 1.4.2011, wo vom Jobcenter die Tilgung aus der Regelleistung gefordert wurde, kann man davon ausgehen, dass es sich um eine Körperverletzung im Amt handelt. Da schon der Versuch strafbar ist braucht man nicht einmal zu untersuchen, ob es im einzelnen Fall tatsächlich zu einer Schädigung kam, denn der Wunsch zu schädigen war die Antriebskraft!

§ 340 Körperverletzung im Amt
(1) Ein Amtsträger, der während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst eine Körperverletzung begeht oder begehen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.

(2) Der Versuch ist strafbar…..

Ich glaube kaum, dass jetzt die Staatsanwaltschaft bundesweit aktiv wird. Aber eines ist zumindest schon mal klar: Vor dem 1.4.2011 war die Anordnung, dass eine Mietkaution aus der Regelleistung heraus zu tilgen ist, zumindest im Graubereich zum Strafrecht.

Doch was ist es jetzt, wo ein Bundesgesetz angeblich genau das fordert? Ganz klar, es ist immer noch Folter, jemanden über längere Zeiträume hinweg deutlich unter das Lebensminimum zu drücken. Und solange es keine Bundesfolterordnung gibt, wird es auch illegal bleiben!

4. Sozialgerichte, Mietkautionen und die Verfassung
„Wo kein Kläger, da kein Richter!“ Richter werden also in der Auseinandersetzung, wie Mietkautionen gehandhabt werden sollen oder müssen, nicht von sich aus tätig. Bei ihrer Tätigkeit gehen sie normalerweise davon aus, dass das Gesetz fehlerfrei ist. Wird aber genau dies vom Kläger glaubhaft angezweifelt, dann wird der Richter entsprechend Artikel 100 Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht einschalten müssen. Dieses muss dann feststellen, ob das Gesetz selbst fehlerbehaftet ist; dann müsste der Gesetzgeber nachbessern. Wenn das BVerfG das Gesetz für fehlerfrei hält, dann wird es auch angeben, welche Interpretation des Gesetzes richtig ist.

Nach Einführung der Hartz-Gesetzgebung hat es sechs Jahre gedauert, bis ein Großteil der Kommunen sich an die Urteile der Richter hielten. Zeitlich passend kommt jetzt eine Gesetzesänderung und ich wäre nicht verwundert, wenn es wieder mindestens sechs Jahre dauert, bis halbwegs Klarheit herrscht.

Sinn dieses Kapitels ist es, möglichst gute Argumente für den Nachweis zu liefern, dass das SGB II in der aktuellen Form verfassungswidrig ist oder zumindest in einer Art und Weise interpretiert wird, die zu verfassungswidrigen oder rechtswidrigen Konsequenzen führt.

Der nicht rechtskräftige Beschluss vom Berlin S 37 AS 24431/11 vom 30.09.2011 zeigt, dass auch Richter die Konflikte mit der Verfassung sehen. Eine junge Frau hatte beantragt, dass der Tilgungsvertrag für die Mietkaution für nichtig erklärt wird.

Für eine vom SGB XII-Hilfeträger vermittelte Wohnung war eine Kaution in Höhe von 840 EUR zu zahlen. Mangels eigener Leistungsfähigkeit gewährte das Jobcenter …. ein Kautionsdarlehen nach § 22 Abs. 6 SGB II, das direkt an den Vermieter überwiesen wurde…..verpflichtete der Antragsgegner die Antragstellerin das Darlehen ab September 2011 mit 10% des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen….

Vor Inkrafttreten der Regelung des § 42a SGB II war einhellig anerkannt, dass Kautionsdarlehen nicht mit der laufenden Regelleistung getilgt werden dürfen….

…. Die Kürzung des Regelbedarfs um 10% über einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum hinweg setzt den Empfänger eines Kautionsdarlehens …. einer Situation aus, die das BVerfG bewogen hatte, einen Sonderbedarf als unabdingbare Zusatzleistung zum Regelbedarf vorzusehen (vom Gesetzgeber mit § 21 Abs. 6 SGB II umgesetzt); es ist daher nicht verfassungsgemäß, die Antragstellerin über 20 Monate hinweg auf ein Leistungsniveau zu drücken, das Ansparungen vom oder Ausgleiche im Regelbedarf ausschließt. Eine Sicherung ihres Existenzminimums wäre dann nur mit Regelbedarfs-Darlehen nach § 24 SGB II möglich, was den Zustand der Bedarfsunterdeckung auf unabsehbare Zeit verlängerte….

Dem Antrag musste daher in vollem Umfang stattgegeben werden.

Jetzt müssen wir uns natürlich ansehen, worum es in dem Urteil vom Bundesverfassungsgericht ging und wie der § 21 Abs. 6 SGB II jetzt aussieht.

Leitsätze zum Urteil des Ersten Senats vom 9. Februar 2010; 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09

1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind…..

4. Der Gesetzgeber kann den typischen Bedarf zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums durch einen monatlichen Festbetrag decken, muss aber für einen darüber hinausgehenden unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf einen zusätzlichen Leistungsanspruch einräumen.

Der Gesetzgeber hat hierauf damit reagiert, dass im § 21 ein neuer Absatz, nämlich Nummer 6, eingefügt wurde.

§ 21 SGB II Mehrbedarfe
(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

Der Richter des Sozialgerichts Berlin sagt also, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber schon einmal gezwungen hat, Zusatzleistungen zum Regelbedarf vorzusehen. Hierbei geht es zwar um einen „nicht nur einmaliger besonderer Bedarf“, aber den kann man natürlich voraussetzen, wenn man über zwei Jahre hinweg diesen zusätzlichen Aufwand hat. Falls die aktuelle Auffassung der BA und ihre Vorgabe an die Jobcenter korrekt wäre, dann hätte der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes also vorsätzlich ausgehebelt!

Wir kommen zur Liste der Gründen, weshalb zumindest die Interpretation der neuen Regelung zu Mietkautionen rechtswidrig und sehr wahrscheinlich auch verfassungswidrig ist. Ob es auch das Gesetz ist, wird das Bundesverfassungsgericht klären müssen.

1. Die Vorgaben des BVerfG werden ignoriert
Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes, dass es eine Regelung geben muss, wenn ein Leistungsbezieher über längere Zeit hinweg zusätzlichen und unabweisbaren Zusatzbedarf hat, wird vorsätzlich ausgehebelt, wenn unterstellt wird, die Kaution sei ja nur einmal fällig, lediglich die Rückzahlung würde sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.

2. Jemanden für einen langen Zeitraum unter das Lebensminimum zu drücken ist Folter
Die Regelleistung ist so definiert, dass über sie die Bedarfe des täglichen Lebens und die soziokulturelle Teilhabe gedeckt sind. Wird einem über einen längeren Zeitraum nur deutlich weniger zugestanden, dann ist davon auszugehen, dass man körperlichen und / oder geistigen Schaden nimmt. Existenzangst über längere Zeit hinweg hinterlässt mit Sicherheit nachhaltige Spuren. Das ist Folter und somit Körperverletzung und ein Gesetz, das Staatsdiener zu Straftaten gegen Bürger zwingt, kann nicht verfassungskonform sein! Es besteht also ein Konflikt mit den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetz.

3. Beschränkung der persönlichen Freiheit
Dadurch, dass man einen Antrag beim Jobcenter stellt, verliert man weder Grund- noch Bürgerrechte. Folglich hat man das Recht die bezogene Regelleistung so auszugeben, wie man das für richtig hält (allerdings mit der Einschränkung, dass man Rücklagen bilden muss für größere Bedarfe, die aber von den Regelleistungen umfasst sind). Das heißt, es ist meine freie Entscheidung, ob ich Schokolade essen will oder lieber Gemüse, oder ob ich beschließe, etwas auf die hohe Kante zu legen.

Zwingt mich das Jobcenter dazu, Vermögen aufzubauen, dann ist dies ganz eindeutig eine Beschränkung meiner Freiheitsrechte. Ich würde von mir aus nie auf die Idee kommen, meine Gesundheit zu schädigen, damit ich eineinhalb Jahre später ein Vermögen von 600 Euro habe. Wir haben also einen Konflikt mit Artikel 2 Grundgesetz.

4. Vermögensaufbau aus der Grundsicherung heraus
In der Definition der Regelleistung gibt es keinen Posten mit der Bezeichnung Vermögensaufbau. Folglich darf nicht verlangt werden, dass andere Bedarfe, die von der Regelleistung umfasst werden, reduziert werden, um diesen Vermögensaufbau zu ermöglichen.

5. Kosten für Unterkunft sind nicht regelsatzrelevant
Bei der Festlegung der Höhe der Regelleistung wurde so vorgegangen, dass eine Stichprobe genommen wurde von Haushalten mit einem Einkommen der untersten 20%, bereinigt um Empfänger von Sozialleistungen. Alle Kosten, die mit der Unterkunft verbunden waren, wurden explizit heraus gerechnet. Durch diverse weitere Reduktionen wurde (in der Öffentlichkeit weiß keiner wie) der Regelsatz ermittelt. Jetzt soll ein Teil der Kosten für die Unterkunft in den Regelsatz zurück verschoben werden. Dies kann aber nur dann legal sein, wenn die Höhe der Regelsätze explizit neu berechnet wird. Das ist nicht erfolgt!

Der Gesetzgeber hat eigentlich nur drei Optionen:

Er könnte die Regelleistungen um einen Posten erweitern, der jedem Bezieher von Regelleistung den Aufbau von Vermögen aus der Regelleistung heraus erlaubt (also nicht nur denen, die eine Mietkaution tilgen sollen).

Er ändert das Gesetz eindeutig in einer Form, dass die Kommunen wieder die Mietkaution als Darlehen stellen, das allerdings nur vom jeweiligen Vermieter getilgt wird.

Die letzte Option wäre, dass er sich vom Bundesverfassungsgericht zwingen lässt, genau eine dieser Optionen zu erfüllen.

Wenn also das Gesetz verfassungswidrig oder seine Interpretation durch die BA und die Jobcenter rechtswidrig ist, dann sind automatisch auch alle Tilgungsverträge nichtig, denn Jobcenter dürfen nur dann Verträge abschließen, wenn sie den Inhalt auch per Bescheid erzwingen dürften (für die Argumentation siehe L 6 AS 24/09 vom 25.11.2009).

Es gibt also sehr gute Gründe, um gegen eine Tilgung der Mietkaution aus der Regelleistung zu klagen. Auch die Chancen, dass man damit auch durchkommt, sind meiner Meinung nach exzellent!

17.10.2012: Ein Nachtrag vorab: Am 22.3.2012 hat das Bundessozialgericht geurteilt (B 4 AS 26/10), dass es vor dem 1.4.2011 rechtswidrig war, wenn Jobcenter verlangten, dass Mietkautionen aus dem Regelbezug abzuzahlen seien. Es bezieht sich hierbei ausdrücklich auf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 9. 2. 2010 – 1 BvL 1/09 ), stellt also klar, dass das Verhalten der Jobcenter verfassungswidrig war. Die Chance dürfte ziemlich hoch sein, dass das, was vor dem 1.4.2011 verfassungswidrig war, es immer noch ist! Der Inhalt dieses Artikels ist also immer noch top-aktuell. J.D.Henning

(Der Artikel darf mit Quellnachweis und Link zum Originalartikel weiterverwendet werden, Autor: J.D. Henning)