Mehr als 1. Million leben mit Hartz IV Aufstockern

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Hartz IV trotz Arbeitsplatz

Untersuchung des DGB: Mehr als eine Million "Aufstocker"
Wenige Stunden vor dem Koalitionsausschuss hat der DGB-Vorsitzende Michael Sommer noch einmal an die große Koalition appelliert, sich endlich auf existenzsichernde Mindestlöhne zu einigen.

Dafür spricht auch die jüngste DGB-Untersuchung, die Michael Sommer am Montag in Berlin vorlegte: Danach hat sich die Zahl der Hilfebedürftigen mit Erwerbseinkommen seit Einführung von Hartz IV um rund 80 Prozent auf gut 1,1 Mio. Personen erhöht.

Damit ist inzwischen gut ein Fünftel der Hartz IV-Empfänger trotz Arbeit auf aufstockende Fürsorgeleistungen angewiesen, darunter über 600 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. 440 000 der sozialversichert beschäftigten ,Aufstocker’ gehen sogar einer Vollzeittätigkeit nach – ihre Zahl hat sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt und übersteigt inzwischen sogar die der Minijobber im ALG II-Bezug.

"Arm durch Arbeit – auf diese erschütternde Formel kann man das Ergebnis unserer jüngsten Hartz IV-Analyse bringen", sagte Michael Sommer. "Hartz IV hat eindeutig den Druck auf die Arbeitkräfte erhöht, auch niedrig entlohnte Tätigkeiten anzunehmen. Gleichzeitig nutzen Arbeitgeber die Situation aus und senken die Löhne. Die Folge: Der Staat subventioniert durch seine Transferleistungen etliche Branchen wie das Gastgewerbe und begünstigt damit noch die Lohnsenkungspolitik."

Dieser freie Fall der Löhne sei sofort und wirksam zu stoppen. Jeder einzelne müsse von seiner Vollzeitbeschäftigung leben können, so der DGB-Vorsitzende. "Es ist zynisch zu sagen: ,Du verdienst zwar nur einen Hungerlohn, aber deine Familie füttert dich schon mit durch’. Die Ausdehnung des Entsendegesetzes und ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro sind erforderlich, um menschenwürdige Bezahlung sicherstellen zu können. Dieser Notwendigkeit kann sich auch die Union nicht länger verschließen."

Mittlerweile zeigt sich der DGB enttäuscht über die Koalitionsverhandlung um einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer hat am Dienstag in Berlin das Beratungsergebnis des Koalitionsausschusses zum Mindestlohn kritisiert. "Es ist enttäuschend, dass die große Koalition nach monatelangen Verhandlungen die gut 2,5 Millionen Menschen, die Hungerlöhne beziehen, weiter im Regen stehen lässt. Wir appellieren eindringlich an die Union, einen angemessenen Mindestlohn von 7,50 Euro nicht länger zu blockieren. Die Menschen brauchen ihn jetzt und nicht in weiter Ferne. Es hilft ihnen auch nicht, wenn der Mindestlohn zum Wahlkampfthema 2009 wird.

Inhaltlich zeichnen sich völlig unbefriedigende Lösungen ab, die vor allem darauf hinauslaufen, die negativen Folgen der Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns abzumildern. Das gilt z.B. für den Prüfauftrag, Einkommen zwischen 800 und 1.300 Euro ganz oder teilweise von Sozialversicherungsbeiträgen zu befreien. Das würde natürlich den Betroffenen helfen. Aber auch diese angedachte Maßnahme wäre bei einem ausreichenden Mindestlohn schlichtweg überflüssig.

Die in der Koalition diskutierte Ausweitung des Entsendegesetzes wäre ein nicht ausreichender Minischritt. Er wäre auch noch vollkommen wirkungslos, wenn sich die Union mit ihrer Forderung durchsetzen sollte, Anträge auf Allgemeinverbindlich-Erklärungen nur noch im Tarifausschuss zu entscheiden. Dann könnte die BDA weiterhin jeden Mindestlohn mit ihrem "Nein" torpedieren. Auch die von der großen Koalition alternativ diskutierte Ausdehnung des Entsendegesetzes auf Branchen, die das beantragen, macht einen Mindestlohn nicht überflüssig. Denn in vielen Bereichen ist es nicht möglich – auch weil die Arbeitgeber es verhindern wollen – repräsentative und bundesweite Tarifverträge abzuschließen oder zu erzwingen.

Wir begrüßen die Entscheidung der Koalition, die Krippenplätze bis 2013 zu verdreifachen und danach einen Rechtsanspruch zu gewähren. Das wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in weiten Teilen des Landes deutlich verbessern und der berufliche Chancengleichheit der Frauen zum Durchbruch verhelfen.

Die ab 2013 geplante Prämie für Mütter, die ihre Kleinkinder zuhause betreuen, entspringt einem Familienbild aus dem Jahr 1950 und ist ein Stück aus dem Tollhaus. Diese `Stoiber-Heimchen-am-Herd-Prämie` ist für uns ebenso wenig akzeptabel wie die Tatsache, dass ein Anspruch auf einen Krippenplatz erst dann gilt, wenn ein Versorgungsgrad von 35 % für Kinder unter drei Jahren erreicht ist. Einer ;Stoiber-Prämie’ könnten wir uns bestenfalls dann nähern, wenn Krippenplätze grundsätzlich kostenlos angeboten würden. Davon steht nichts im Koalitionsbeschluss." (DGB, 15.05.07)