In den letzten Monaten ist ein hitziger politischer Streit über die Höhe der Regelleistungen im Bürgergeld entbrannt.
Während konservative und rechte Parteien behaupten, die Regelsätze seien zu hoch und würden den Anreiz zur Arbeitsaufnahme mindern, setzen sich Sozialverbände, Erwerbslosen-Initiativen und Gewerkschaften für deutlich höhere Bürgergeld-Leistungen ein, da sie den Lebensunterhalt im Alltag nicht ausreichend sichern.
Doch warum klaffen die Meinungen über die Bürgergeld-Regelsätze so stark auseinander? Ein Grund dürfte die Intransparenz bei der Berechnung der Regelleistungen sein.
Inhaltsverzeichnis
Statistik-Modell oder Statistik-Warenkorb: Ein entscheidender Unterschied
Auf den ersten Blick mag es wie eine reine Wortklauberei erscheinen, ob die Berechnung der Bürgergeld-Regelsätze auf einem Statistik-Modell oder einem Statistik-Warenkorb basiert.
Doch in Wirklichkeit handelt es sich um einen bedeutenden Unterschied, der die Grundlage für die immer wieder aufkommende Kritik an der Ermittlung der Bürgergeld-Regelsätze und der als unabdingbar geltenden Bedarfe bildet.
Die Berechnung der Regelsätze: Ein Blick hinter die Kulissen
In Deutschland muss die Höhe der pauschalierten Lebensunterhaltsleistungen gemäß dem Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) nach einem transparenten und methodisch abgesicherten Verfahren ermittelt werden. Dabei dient die alle fünf Jahre durchgeführte Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Ausgangspunkt.
Diese spiegelt die Einkommens- und Vermögensverhältnisse wider, informiert über den Besitz von Gebrauchsgütern und die Konsumausgaben und berücksichtigt 80.000 Haushalte.
Die Rolle von Referenzhaushalten
Um den Bedarf von Bürgergeld-Beziehern zu bestimmen, werden bei Einpersonenhaushalten die unteren 15 Prozent und bei Paarhaushalten mit Kindern die unteren 20 Prozent als Referenz genommen.
Dabei werden Ausgaben, die durch andere Leistungsansprüche gedeckt sind, wie beispielsweise Miete und Heizkosten, nicht berücksichtigt. In Jahren ohne EVS erfolgt die Anpassung anhand der Lohn- und Inflationsentwicklung.
Das ist willkürlich: Denn, so haben wir bereits berichtet, werden Ausgaben für Tabak und Alkohol in den Regelleistungen für Kinder mit berücksichtigt. Auf der anderen Seite werden Tricks angewendet, um die Regelleistungen kleinzurechen. So existiert beispielsweise der sogenante “Kaffeetrick”, den wir hier entlarvt haben.
Die entscheidende Frage: Modell oder Warenkorb?
Der entscheidende Unterschied zwischen einem Modell und einem Warenkorb besteht darin, dass im letzteren Fall Ausgaben für Güter und Dienstleistungen, die gemäß normativen Setzungen als nicht existenznotwendig gelten, weiterhin berücksichtigt werden.
Das bedeutet, dass es sich bei der Berechnung der Bürgergeld-Regelsätze um eine Mischung aus ausgabenbasierter und expertenbasierter Bemessung des materiellen Mindestbedarfs handelt, oder anders ausgedrückt, um einen Statistik-Warenkorb.
Kritik an der methodischen Schwäche
Die Unterscheidung zwischen bedarfsrelevanten und nicht bedarfsrelevanten Gütern und Dienstleistungen wird von Experten als “methodische Schwäche” betrachtet. Dies führt dazu, dass das Standard-Budget unterschätzt wird. Einige Kritiker argumentieren, dass diese Probleme durch ein rein ausgabenbasiertes Verfahren vermieden werden könnten.
Der Sozialwissenschaftler Dr. Andreas Aust vom Paritätischen Wohlfahrtsverband erläuterte beispielsweise, warum die Regelleistungen im Bürgergeld eigentlich 725 Euro (Eckregelsatz, Einpersonenhaushalt) plus Stromkosten betragen müssten.
Zur Berechnung der Regelsätze hat der Experte ein sogenanntes Statistikmodell verwendet. Dahinter verbirgt sich die Methode, das untere Fünftel der Einkommen in Deutschland zur Berechnung heranzuziehen.
Zu diesem “unteren Fünftel” zählen aber auch Tagelöhner, Armutsrentner, Bürgergeld-Aufstocker (früher Hartz IV-Aufstocker). Damit werden die unteren Einkommensschichten herangezogen, die selbst armutsgefährdet sind.
Unterschiede bei der Berechnung der Regelbedarfe
Die Unterschiede zeigen sich hier in dieser Tabelle:
Regelbedarf | Bürgergeld 2023 | Sozialverband |
Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke | 174,25 Euro | 181,60 Euro |
Alkoholische Getränke, Tabak | 0,00 Euro | 24,91 Euro |
Bekleidung, Schuhe | 41,61 Euro | 47,01 Euro |
Wohnen, Energie, Instandhaltung | 42,57 Euro | 2,17 Euro |
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände | 30,59 Euro | 34,56 Euro |
Gesundheitspflege | 19,17 Euro | 34,89 Euro |
Verkehr | 45,04 Euro | 102,66 Euro |
Nachrichtenübermittlung | 44,90 Euro | 47,57 Euro |
Freizeit, Unterhaltung, Kultur | 49,00 Euro | 100,09 Euro |
Bildung | 1,81 Euro | 8,13 Euro |
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen | 13,12 Euro | 59,27 Euro |
Weitere Waren und Dienste | 40,01 Euro | 49,92 Euro |
Mitgliedsbeiträge | 0,00 Euro | 6,07 Euro |
Geldspenden | 0,00 Euro | 1,95 Euro |
Gerichtskosten | 0,00 Euro | 0,58 Euro |
Versicherungen (private Haftpflicht, Kfz, Hausrat) | 0,00 Euro | 23,96 Euro |
GESAMT | 502,07 Euro | 725,34 Euro |
Gesamt ohne Strom (40,74 Euro) | 461,33 Euro | 725,34 Euro |
Viele Bedarfe werden als nicht relevant angesehen
Die Bundesregierung streicht zudem viele Ausgabenpositionen aus dem Regelbedarf, weil sie als “nicht relevant” angesehen werden. Nicht relevant bedeutet, dass diese Posten eigentlich grundlos gekürzt oder gestrichen werden, um den Regelbedarf künstlich klein zu rechnen. Dazu gehören z.B. kulturelle Aktivitäten, Kfz und Versicherungen, aber auch Bildung.
Ähnliche Methode wie bei Hartz IV
Im Ergebnis zeigt sich, dass auch beim Bürgergeld die gleiche Methode angewandt wird, wie sie bereits bei Hartz IV der Fall war. Der Regelbedarf beim Bürgergeld soll möglichst niedrig kalkuliert werden, um Kosten zu sparen.
Tatsächliche Ausgabenberechnung schützt vor Armut
Die Einbeziehung tatsächlicher Ausgaben bei der Bestimmung der finanziellen Mindestbedarfe im Bürgergeld bietet demnach klare Vorteile, um die Existenz der hilfebedürftigen Menschen zu sichern.
Sie ermöglicht eine zeitnähere und präzisere Abbildung von Veränderungen im Konsumverhalten. Im Gegensatz dazu lassen normative Setzungen den Entscheidungsträgern erheblichen Gestaltungsspielraum. Eine regelgebundene Vorgehensweise, die sich an den tatsächlichen Konsumausgaben orientiert, könnte somit für mehr Transparenz und Akzeptanz sorgen.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht, Gesundheitsprävention sowie bei gesellschaftspolitischen Themen. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und engagiert sich politisch für Armutsbetroffene.