Keine Hartz IV Kürzung bei sittenwidrigen Arbeitsgelegenheiten mit Entgeltvariante
27.09.2011
Wie das Sozialgericht in Berlin aktuell urteilte, müssen Bezieher von Hartz IV-Leistungen keine Arbeitsgelegenheiten mit Entgeltvariante annehmen, wenn die Vergütung als sittenwidrig eingestuft werden kann. Sittenwidrig bedeutet unter anderem, wenn trotz Vollzeittätigkeit der Bruttolohn unter dem der Grundsicherung angesiedelt ist. Im vorliegenden Fall sollte Klägerin für eine 38,5 Vollzeitbeschäftigung gerade einmal 900 Euro Brutto erhalten. Das ist weniger als der Regelsatz plus Kosten der Unterkunft, wenn Steuern, Krankenversicherung und Rentenversicherung vom Lohn abgezogen werden.
Im vorliegenden Fall wurde einer Hartz IV Bezieherin eine Arbeitsgelegenheit mit Entgeltvariante angeboten. Für diese Tätigkeit in Vollzeit sollte die Klägerin einen Arbeitslohn von 900 Euro Brutto pro Monat erhalten. Die Klägerin lehnte mit Hinweis auf Sittenwidrigkeit des Lohns die Arbeitsgelegenheit ab. Daraufhin wurden der Betroffenen die Arbeitslosengeld II Regelleistung aufgrund einer „unbegründeten Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit“ als Sanktion gekürzt. Im Anschluss klagte die Frau per einstweiligen Rechtsschutz und bekam durch das Sozialgericht Berlin Az: S 55 AS 24251/11 ER Recht zu gesprochen. Die Sozialrichter sahen es als erwiesen an, dass das veranschlagte Entgelt zu niedrig bemessen war. Schließlich sollte die Frau bei einer Wochenarbeitsstundenzahl von 38,5 ein Bruttolohn von nur 900 Euro erhalten. Nach Meinung des Sozialgerichts hätte der Lohn jedoch mindestens 1.085 Euro betragen müssen, um mindestens das Grundsicherungsniveau eines volljährigen, alleinstehenden ALG II Beziehers zu erreichen. Auch wenn man den zuletzt ermittelten Wert des Existenzminimums-Berichts zu Rate ziehen würde, hätte der Klägerin ein Bruttoentgelt von 989 Euro bzw. von mindestens 769,87 Euro netto für eine Vollzeitarbeit zustehen müssen. Jedes Bruttoentgelt darunter sei sittenwidrig, so die Richter.
Keine Leistungskürzungen bei sittenwidrigen Löhnen
Daher habe die Klägerin richtigerweise die Arbeitsgelegenheit des Jobscenters abgelehnt, da das Angebot unter jeder Berücksichtigung von möglichen Rechengrundlagen deutlich zu niedrig bemessen war. Das Sozialgericht wies die Behörde an, die verhängte Regelsatz-Kürzung umgehend zurückzunehmen. Es sei unzulässig, wenn eine Behörde ein rechtswidriges Jobangebot per Sanktionen erzwingen will. Mindestens muss das Niveau der in Deutschland geltenden Grundsicherung erreicht werden. (sb)
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Bild: berlin-pics / pixelio.de
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