Gutachten: Das Elterngeld ist nicht sozial gerecht und verstößt möglicherweise gegen die Verfassung
31.01.2011
Verstößt das Elterngeld gegen die bundesdeutsche Verfassung? Diese Ansicht vertritt Thorsten Kingreen, Jura-Professor an der Universität Regensburg. Das Elterngeld ist eine steuerfinanzierte Sozialleistung, die gegen das Neutralitätsgebot des Staates verstößt, so der Experte.
Das Elterngeld verstößt möglicherweise gegen die bundesdeutsche Verfassung. Thorsten Kingreen, Jura-Professor an der Universität Regensburg, hat im Auftrag der ÖDP ein juristisches Gutachten zum Elterngeld erstellt. In dem Gutachten kommt der Experte und Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht zu dem Schluss, dass das Elterngeld gegen die Grundsätze der Verfassung verstößt. Laut Prof. Kongreen sei es bislang der einzig bekannte Fall, indem eine steuerfinanzierte Sozialleistung vor allem den Bessergestellten zugute kommt. Denn bei dem Elterngeld erhalten diejenigen mehr finanzielle Mittel, die zuvor auch mehr verdienten. Das Elterngeld ist zwar im Allgemeinen sehr beliebt, weil die breite gesellschaftliche Mittelschicht hiervon profitiert, allerdings ändere diese Tatsache nichts daran, dass die Regelungen ungerecht seien. Der Staat verlasse mit dem Elterngeld seine neutrale Position und gibt bestimmte Familien-Leitbilder vor. Genau das dürfe der Staat nicht tun, so Kongreen.
Neues Leitbild löst altes ab
Noch vor einiger Zeit galt die Hausfrauen-Ehe als ein beliebtes deutsches Leitbild. In der Ehe war der Mann der Alleinverdiener, während sich die Frau um den Haushalt und die Kinder kümmerte. Nahmen Frauen trotzdem eine Arbeitsstelle an, galten sie als „Rabenmütter“. Kaum wurde dieses Leitbild überwunden, tritt an eines an seine Stelle. Nun steht das Modell „erwerbsorientierte Erziehung im Vordergrund“, so Kongrenn gegenüber dem „Wochenblatt“ in Regensburg. Das sei ein „Schwarz-Weißdenken“, es fehlten die Grautöne.
Erziehungsgeld war sozial gerechter
Nach Meinung des Juristen sei das Erziehungsgeld sozial besser gewesen. Diejenigen die es brauchten, haben auch was erhalten. Wer viel Geld verdient hat, hat demnach nichts bekommen. Das Elterngeld hat diese einfache Logik umgedreht. Wer über keine Mittel verfügt, bekommt nur sehr wenig und wer viel verdient, bekommt sehr viel. Besserverdiener erhalten bis zu 1800 Euro im Monat, während Geringverdiener nur noch 300 Euro erhalten. Im Zuge der Hartz IV Reform wurde der Freibetrag für das Elterngeld abgeschafft, was einer faktischen Abschaffung gleichkommt. Der Jurist vermutet hierbei ein Kalkül des Staates. Die Reichen sollen Kinder bekommen, während die Armen sowieso schon zu viele bekommen. Eine solche Denkweise hält der Jura-Experte für mehr als fraglich.
Verfassungsklage möglich
Kingreen hält es für nicht unwahrscheinlich, wenn sein Gutachten für eine Verfassungsklage gegen das Elterngeld verwendet werden würde. Allerdings könne es Jahre dauern, bis sich ein Kläger durch alle Instanzen gekämpft hat. Würde am Ende das oberste Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtliche Bedenken äußern, käme dies einem sozialen Erdbeben gleich. (sb)
Bild: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de
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