In einem Eilverfahren hat das Landessozialgericht Nordrhein – Westfalen Az. L 21 AS 537/25 B ER entschieden, dass das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, dem Hilfebedürftigen vorläufig Bürgergeld – Leistungen in Form der Regelleistung i.H.v. 563 € und Kosten der Unterkunft zu gewähren.
Keine fehlende Nutzung der Mietwohnung, wenn der Hilfebedürftige einen sparsamen Wasserbrauch glaubhaft machen kann.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt:
Die örtliche Zuständigkeit eines Leistungsträgers nach § 36 Abs. 1 SGB II ist – keine materielle Anspruchsvoraussetzung ( vgl. BSG, Urteil vom 23.5.2012 – B 14 AS 133/11 R – ).
In der Regel wird der gewöhnliche Aufenthalt durch den Besitz einer Wohnung begründet, wenn diese länger als nur vorübergehend als Mittelpunkt der Lebensführung genutzt wird. Entscheidend ist, dass an einem bestimmten Ort der tatsächliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse festzustellen ist. Dabei sind die tatsächlichen Umstände maßgebend, ergänzend kommt es auf den Willen der Person an.
Jobcenter vermutet die Nicht-Nutzung der Mietwohnung des Antragstellers
Das Jobcenter vermutet, dass der Antragsteller sich nicht in seiner Wohnung aufhält, sondern in einem anderem Zuständigkeitsbereich des Jobcenters.
Der Antragsteller ist dem entgegen getreten und hat seine Aussagen vor dem Gericht glaubhaft gemacht, zum Beispiel durch Vorlage seiner Kontoauszüge – und durch eine eidesstattliche Versicherung
Dazu der Antragsteller – Zitat
“1. Dieser Vermutung ist der kranke Antragsteller nachvollziehbar entgegengetreten, indem er anschaulich seine gesundheitlichen Einschränkungen geschildert hat, die dazu führen, dass er ohne fremde Hilfe seine im zweiten Obergeschoss liegende Wohnung nicht verlassen kann. Insofern hat er erläutert, dass ihn seine Freundin, die Zeugin D., bei Einkäufen unterstützt bzw. solche für ihn übernimmt.
2. Der Antragsteller hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass er der Zeugin seine EC-Karte überlässt, so dass sie diese auch während seiner Abwesenheit nutzen kann, um Einkäufe für ihren bevorstehenden Besuch in X. zu besorgen. Da sie nach den schlüssigen Erläuterungen des Antragstellers auch sein Auto leihweise nutzen darf, erklärt dies die Tankabbuchungen im Raum W..
3. Im Übrigen fehlen entsprechende Abbuchungen im streitigen Zeitraum, so dass ein Beleg für einen dauernden Aufenthalt in W. und Umgebung aktuell nicht vorhanden ist.
4. Gelegentliche Aufenthalte, die etwa zwei bis dreimal im Monat für jeweils ein bis drei Tage in W. stattfinden, bestreitet der Antragsteller nicht. Diese sind jedoch unschädlich, da solche jeweils nur kurzen Aufenthalte ein nur vorübergehendes Verweilen an einem anderen Ort darstellen und noch keine Veränderung des gewöhnlichen Aufenthalts (§ 36 Abs. 1 SGB II, § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) bewirken.”
Für das Gericht ist die – dauernde Nutzung der Wohnung – bei einem Wasserverbrauch von 4 qm zweifelhaft – Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung
Die insoweit von dem Antragsteller gebotene Erklärung, er sei sehr sparsam in der Wassernutzung, erscheint wenig glaubhaft, zumal zeitweilig auch die Zeugin Wasser in der Wohnung zum Beispiel für Duschen genutzt haben will.
Aber der Antragsteller hat seine Angaben eidesstattlich versichert. Zur Glaubhaftmachung kommt u.a. die Versicherung an Eides Statt nach § 202 SGG i.V.m. § 294 ZPO in Betracht. Den Beweiswert hat das Gericht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 SGG zu ermitteln. Angesichts dessen, dass die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung nach § 156 Strafgesetzbuch strafbewehrt ist und im Übrigen es sich für den Fall der falschen Angaben im gerichtlichen Verfahren um einen strafbewehrten Prozessbetrug handeln dürfte, sind aus Sicht des Senats den eidesstattlich versicherten Angaben des Antragstellers besonderes Gewicht beizumessen.
Zeugen beweisen die Aussagen des Antragstellers
Sie stimmen im Übrigen überein mit den Zeugenaussagen. Erstere bestätigt die Umstände der Nutzung der EC Karte und des Autos und erläutert nachvollziehbar, dass beide wechselseitig etwa zwei bis dreimal im Monat für einige Tage bei dem jeweils anderen zu Besuch sind. Letzterer bestätigt die gesundheitliche Verfassung des Klägers und die aktuelle Hilfebedürftigkeit.
Das Gericht weist das Jobcenter ausdrücklich auf Folgendes hin
Unabhängig von noch bestehenden im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens aufzuklärenden Aspekten, die gegen einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers in X. sprechen, ist im Übrigen aufgrund der fehlenden Weiterleitung des Antrags der ablehnende Grundsicherungsträger im Hinblick auf § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I weiterhin leistungspflichtig.
Fazit
Der Senat konnte das Jobcenter auch in entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG verpflichten, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Dies ist bei einer vollständigen Ablehnung der Leistungen zulässig. Ein Anspruch auf die begehrten Leistungen ist hier zumindest wahrscheinlich, da der Antragstellerin im streitigen Zeitraum kein den Hilfebedarf deckendes Einkommen erzielte (BSG, Urteil vom 23.8.2012 – B 4 AS 167/11 R – ).
Praxistipp und Anmerkung vom Experten für Sozialrecht Detlef Brock
1. Bezieher von Bürgergeld sind nicht verpflichtet, sich dauerhaft in ihrer Wohnung aufzuhalten bzw. nächtigen, so entschieden vom LSG BB, Beschluss v. 17.06.2024 – L 20 AS 364/24 B ER – ).
https://www.gegen-hartz.de/urteile/brgergeld-bezieher-mssen-nicht-stndig-in-der-eigene
2. Fehlende Nutzung der Wohnung muss vom Jobcenter nachgewiesen werden, denn Geringe Verbrauchswerte bei Heizung, Strom und Wasser sprechen nicht gegen die Nicht-Nutzung einer Wohnung ( SG Frankfurt (Oder),Beschluss v. 26.06.2024 – S 14 AS 214/24 ER – ).