Rente: Der Geburtsjahrgang 1964 hat jetzt echtes Pech

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Mit dem Geburtsjahrgang 1964 endet die letzte Übergangsphase der deutschen Rentenreform. Für alle, die am oder nach dem 1. Januar 1964 geboren wurden, liegt die Regelaltersgrenze nun eindeutig bei 67 Jahren. Der entsprechende Passus in § 35 SGB VI hat damit volle Wirkung entfaltet und zeigt einen klaren Bruch mit den zuvor geltenden Staffelregelungen.

Die gesetzliche Grundlage: § 35 und § 235 SGB VI

Während § 35 die allgemeine Regelaltersrente definiert, ordnet § 235 SGB VI weiterhin die gestaffelte Anhebung für alle Jahrgänge bis 1963. Damit genießen Versicherte, die noch 1963 oder früher geboren wurden, einen graduell ansteigenden, aber letztlich niedrigeren abschlagsfreien Rentenbeginn – etwa 66 Jahre und 10 Monate für den Jahrgang 1963. Für alle Jüngeren gilt ohne Einschränkung die Vollendung des 67. Lebensjahres.

Langjährig Versicherte: Abschlagsfrei erst mit 67 Jahren

Die Altersrente für langjährig Versicherte verlangt 35 Wartejahre. Jahrgänge ab 1964 können sie zwar weiterhin ab 63 Jahren in Anspruch nehmen, müssen dann jedoch den maximalen Abschlag von 14,4 Prozent dauerhaft hinnehmen. Abschlagsfrei bleibt die Leistung erst mit vollendetem 67. Lebensjahr.

Die damit verknüpfte „Höchststrafe“, wie Fachleute die 0,3 Prozent Abzug pro Monat nennen, ist im Gesetz ausdrücklich festgeschrieben.

Schwerbehinderung: Früherer Rentenzugang, aber spürbare Einbußen

Für schwerbehinderte Menschen eröffnet § 37 SGB VI grundsätzlich den abschlagsfreien Ruhestand mit 65 Jahren, sofern 35 Wartejahre erreicht sind. Eine vorzeitige Inanspruchnahme ist zwar bereits ab 62 Jahren möglich, doch treibt die Absenkung um exakt 36 Monate den Abschlag auf maximal 10,8 Prozent.

Die Übergangsregelungen nach § 236a gelten nur noch für Versicherte, die vor 1964 geboren wurden; sie laufen mit dem Jahrgang 1963 endgültig aus.

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Besonders langjährig Versicherte: Das Ende der Rente mit 63

Die einst als „Rente mit 63“ bekannt gewordene Variante für besonders langjährig Versicherte – 45 Wartejahre vorausgesetzt – verschwindet mit Ablauf des Jahrgangs 1963 aus dem System.

Für alle später Geborenen gilt § 38 SGB VI; sie erreichen die abschlagsfreie Leistung erst mit 65 Jahren. Die bisherige Zweijahresverkürzung auf 63 Jahre bleibt nur für ältere Kohorten über § 236b erhalten.

Warum die Anhebung verfassungsrechtlich unvermeidlich war

Die schrittweise Verlängerung des Erwerbslebens geht auf das Altersgrenzenanpassungsgesetz von 2007 zurück.

Damals legte der Gesetzgeber fest, die Regelaltersgrenze zwischen 2012 und 2029 von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen – ein Kompromiss, der nach Auffassung von Verfassungsjuristen nur als gleitende Übergangslösung Bestand haben konnte. Hinter der Reform stand die demografische Schere, die seit Jahren wachsende Zuschüsse des Bundes an die Rentenkasse erfordert – allein 2024 bereits mehr als 110 Milliarden Euro.

Aktuelle Reformansätze: Generationenkapital und die Debatte um 68 Jahre

Die Ampel-Koalition versucht, mit dem sogenannten Generationenkapital erstmals Elemente einer Kapitaldeckung einzuführen. Ein staatlich finanzierter Fonds soll ab Mitte der 2030er Jahre Erträge an die Rentenversicherung abführen und so Beitragserhöhungen bremsen. Kritiker bemängeln hohe Risiken und verweisen auf steigende Beitragssätze bereits bis 2035.

Parallel flammt immer wieder die Diskussion auf, die Altersgrenze perspektivisch auf 68 Jahre anzuheben. Regierungsberater warnen vor „schockartig steigenden Finanzierungsproblemen“, sollten weitere Maßnahmen ausbleiben.

Praxisbeispiele: Wie zwei Nachbarn denselben Ruhestand ganz unterschiedlich erreichen

In einer mittelgroßen Stadt im Ruhrgebiet wohnen Thomas L. und Petra W. seit Jahren Tür an Tür. Ihre Lebensläufe ähneln sich frappierend – beide haben eine Ausbildung im Maschinenbau absolviert, mit Anfang zwanzig geheiratet, Kinder großgezogen und ihre gesamte Karriere in derselben Industrie verbracht.

Der entscheidende Unterschied: Thomas wurde am 11. September 1963 geboren, Petra am 4. März 1964. Genau diese elf Monate bringen in ihrem Rentenfahrplan alles durcheinander.

Thomas hat in seiner Lohnakte 41 anrechenbare Versicherungsjahre gesammelt und erfüllt damit die Wartezeit sowohl für die Altersrente für langjährig Versicherte als auch – nach Erreichen von 45 Jahren – für die besonders langjährig Versicherten. Würde er heute, mit 61 Jahren und zehn Monaten, sein Rentenkonto klären lassen, erhielte er folgende Auskunft: Abschlagsfrei kann er die Regelaltersrente am 1. August 2030 beziehen, wenn er 66 Jahre und zehn Monate alt ist.

Mit der „Rente ab 63“ könnte er zwar schon zum 1. November 2026 aussteigen, müsste aber den gesetzlich festgelegten Abschlag von 14,4 Prozent akzeptieren. Bei einer derzeit prognostizierten Monatsrente von 1 850 Euro netto würde der Dauerabschlag seine Zahlung um rund 265 Euro schrumpfen lassen – lebenslang.

Deshalb plant Thomas, drei weitere Jahre zu arbeiten, um wenigstens die 45 Pflichtjahre vollzumachen. Gelingt ihm das, darf er laut § 236b SGB VI bereits zum 1. September 2028 in die abschlagsfreie Rente für besonders langjährig Versicherte gehen.

Seine individuelle Grenze sinkt dann auf exakt 64 Jahre und zehn Monate, ein handfester Vorteil der Ausnahmeregelung für die Jahrgänge bis 1963.

Petra, die nur wenige Monate später geboren wurde, fällt aus sämtlichen Übergangstabellen heraus. Für sie ist das gesamte Stufenmodell Geschichte; ihre Regelaltersgrenze liegt unumstößlich bei 67 Jahren.

Mit mittlerweile 60 Jahren führt die Hochrechnung der Deutschen Rentenversicherung zu einer Nettorente von 1 920 Euro, sofern sie bis zum 1. April 2031 weiterarbeitet. Würde sie den Ruhestand wie Thomas bereits mit 63 beginnen wollen, träfen sie ebenfalls die 14,4 Prozent Abschlag – allerdings dauerhaft auf bislang ungekannte 33 Monate mehr.

Ihre Zahlung sänke damit auf rund 1 645 Euro. Selbst der Sonderweg für besonders langjährig Versicherte bringt ihr keinen zeitlichen Vorteil: § 38 SGB VI nennt hier glasklar das vollendete 65. Lebensjahr als frühestmöglichen abschlagsfreien Termin.

Petras Überlegung, zwei Jahre früher zu gehen, würde also jede finanzielle Kalkulation erschweren.

Hinzu kommt eine gesundheitliche Komponente. Petra leidet seit Jahren an schwerem Asthma; im Frühjahr wurde ein Grad der Behinderung von 50 Prozent anerkannt.

Auf den ersten Blick scheint § 37 SGB VI eine Entlastung zu bieten: Schwerbehinderte können abschlagsfrei mit 65 Jahren aussteigen oder bereits mit 62 Jahren und 10,8 Prozent Einbuße. Doch für Petra reduziert sich der Vorteil auf reine Kosmetik.

Die Differenz zwischen 62 und 65 Jahren beträgt 36 Monate, exakt die Obergrenze für den Abschlag. Der rechnerische Verlust liegt bei knapp 208 Euro monatlich. Weil sie in der gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert bleiben müsste und gleichzeitig ein hohes Medikamentenbudget hat, entscheidet sie sich, trotz Diagnose mindestens bis 64 durchzuhalten.

Der Vergleich zeigt, wie die Reformgrenzen das Erwerbsleben konkret beeinflussen. Thomas kann durch kluges Timing seiner letzten Arbeitsjahre einen abschlagsfreien Rentenbeginn vor 65 sichern.

Petra hingegen muss den Standard von 67 Jahren akzeptieren oder erhebliche Rentenminderungen hinnehmen. Beide reagieren mit individuellen Strategien: Thomas stockt freiwillig die letzten Beitragsjahre auf, um die 45-Jahres-Hürde sicher zu überspringen, während Petra parallel zu ihrer Berufstätigkeit eine Betriebsrente mit Entgeltumwandlung ausbaut.

In monatlichen Raten von 150 Euro zahlt sie bis zum Ruhestand in einen Pensionsfonds ein – ein Baustein, der ihre späteren Einbußen zumindest abfedern soll.

Das Beispiel macht deutlich, dass elf Monate Geburtsunterschied heute über mehrere zehntausend Euro Lebenszeiteinkommen entscheiden können. Wer nach dem 31. Dezember 1963 das Licht der Welt erblickte, muss den verlängerten Arbeitsweg in seine Lebensplanung integrieren – oder frühzeitig alternative Vorsorgewege beschreiten.

Für Beratende bedeutet das: Übergangsregelungen verlieren rapide an Bedeutung, während die feste 67-Jahre-Marke neue Standards setzt.

Persönliche Konsequenzen und Handlungsspielräume

Wer nach 1963 geboren wurde, muss sich auf ein deutlich längeres Arbeitsleben oder spürbare Rentenabschläge einstellen. Frühzeitige Kontoklärung bei der Deutschen Rentenversicherung, freiwillige Beiträge und private Vorsorge gewinnen damit an Bedeutung.

Für schwerbehinderte Menschen und besonders langjährig Versicherte bleiben Sonderwege erhalten, doch ihr finanzieller Vorteil schrumpft. Eine individuelle Beratung bleibt deshalb unerlässlich, um den optimalen Rentenbeginn zu finden und finanzielle Lücken frühzeitig zu schließen.