Jobcenter-Bürgergeld-Rechner mit rechtlich falschen Ergebnissen

Lesedauer 3 Minuten

Der neue Bürgergeld-Rechner des Jobcenters München soll Klarheit schaffen, ob sich ein Antrag lohnt. In der Praxis sorgt er jedoch für Verwirrung – und liefert im Test von Sozialrecht-Justament sogar ein falsches Ergebnis.

Besonders problematisch: Ein rechtlich unzutreffender Vorhinweis, fehlende Korrekturmöglichkeiten und eine Auswertung, die ihre Rechenschritte verschweigt. Für Betroffene kann es dazu führen, Ansprüche nicht in Anspruch zu nehmen.

Rechtlich daneben: „Erst Wohngeld/KiZ prüfen“

Bereits vor dem Start der Berechnung blendet das Tool den Hinweis ein, man müsse zunächst prüfen, ob ein Anspruch auf Wohngeld oder Kinderzuschlag besteht; erst danach solle ein Bürgergeld-Antrag gestellt werden. Das klingt behördlich korrekt – ist es aber nicht.

Natürlich kann und darf Bürgergeld beantragt werden, wenn das Einkommen nicht zum Leben reicht.

Die Vorverlagerung auf andere Leistungen ist weder praxistauglich noch rechtlich geboten; in München mit teils extrem langen Wohngeld-Bearbeitungszeiten wirkt der Hinweis sogar zynisch.

UX aus der Sackgasse: keine „Zurück“-Funktion

Der Rechner arbeitet wie eine Antragsstrecke. Wer sich verklickt oder eine Eingabe präzisieren will, kann nicht einfach einen Schritt zurück – es bleibt nur der Neustart.

Das ist schlechter Standard und widerspricht grundlegenden Qualitätskriterien für Sozialleistungsrechner, wonach Eingaben schnell korrigierbar und Ergebnis-/Eingabemaske zugänglich sein müssen.

Altersabfrage macht korrekte Berechnung unmöglich

Besonders gravierend: Kinder im Alter von 15 und 16 werden in einem Topf erfasst. Das ignoriert, dass der Alleinerziehenden-Mehrbedarf von 36 % nur gilt, solange zwei Kinder unter 16 sind – sind beide 16, entfällt er. Durch die undifferenzierte Altersgruppe ist eine rechtskonforme Berechnung schlicht nicht möglich.

Dokumentierter Test: korrekt wären 90,56 € – der Rechner liefert etwas anderes

Der Test von Sozialrecht-Justament zeigt die Schwächen des Rechners konkret auf:

Testeingabe (Kurzfassung) Korrektes Ergebnis vs. Rechner-Output
Alleinerziehende, Bruttolohn 3.100 €, Nettolohn 2.300 €, Teilrente 300 €; Kind 16: Unterhalt 400 €; Kind 19 (Schüler): Erwerb 300 € (brutto = netto); Unterkunft: 1.300 € Nettokaltmiete, 200 € Nebenkosten, 120 € Heizung.
Rechtlich korrekt: Anspruch 90,56 € Bürgergeld; mit Kindersofortzuschlag 100,56 €. Rechner München: anderes, falsches und intransparentesErgebnis; die Herleitung bleibt verborgen.

Die Autorinnen der Fachanalyse haben die Eingabe mehrfach wiederholt – das Resultat blieb falsch und nicht nachvollziehbar. Wer auf dieser Basis Entscheidungen trifft, läuft Gefahr, Ansprüche zu verschenken.

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Intransparente Ergebnisdarstellung: „Glauben Sie uns einfach“

Der Rechner zeigt kein Rechenprotokoll, keine Absetzungsbeträge, keine Herleitung. Genau das macht Tools für Beratung und Selbsthilfe unbrauchbar. Gute Rechner legen mindestens Kernschritte offen; hier bleibt es bei einer vagen Auskunft.

Für Nutzer ist nicht überprüfbar, warum ein bestimmter Betrag herauskommt – ein klarer Verstoß gegen die geforderten Transparenzkriterien.

Warum das problematisch ist

Der Rechner setzt an der falschen Stelle an: Der vorgeschaltete Hinweis drängt Ratsuchende vom Bürgergeld weg, obwohl ein Anspruch bestehen kann – in einer Stadt wie München mit teils monatelangen Wohngeld-Bearbeitungszeiten ist das ein reales Risiko.

Zugleich ist das Tool fehleranfällig, weil eine „Zurück“-Funktion fehlt: Wer sich vertippt oder eine Angabe präzisieren will, muss von vorn beginnen – Fehleingaben werden so wahrscheinlicher und lassen sich nicht schnell korrigieren.

Schwerer wiegen die Rechtsfolgen der undifferenzierten Alterslogik, die eine korrekte Mehrbedarfsprüfung verhindert und im Ergebnis dreistellige Eurobeträge pro Monat kosten kann.

Und schließlich bleibt ohne nachvollziehbares Rechenprotokoll unklar, welche Angaben das Ergebnis treiben – statt aufzuklären, entmündigt der Rechner die Ratsuchenden.

Was Betroffene jetzt tun sollten

Wer Hilfe benötigt, sollte das Bürgergeld trotzdem beantragen – Punkt. Lassen Sie sich nicht von vorgeschalteten Vorprüfungshinweisen verunsichern. Prüfen Sie das Ergebnis anschließend gegen: Nutzen Sie transparente Werkzeuge oder lassen Sie die Berechnung in einer Beratungsstelle nachvollziehen.

Seriöse Rechner legen ihre Rechenschritte offen; alles andere ist nicht belastbar. Achten Sie außerdem auf Details: Gerade bei Alleinerziehenden entscheiden die exakten Altersgrenzen der Kinder über den Mehrbedarf – vereinfachte Altersfelder führen schnell zu spürbaren Fehlbeträgen.

Unser Fazit

Vom Münchner Bürgergeld-Rechner ist aktuell abzuraten. Der rechtlich falsche Vorhinweis, die fehlende Korrekturfunktion, die fehlerhafte Altersabfrage und eine intransparente Ergebnisdarstellung machen ihn für Ratsuchende wie Beratungsprofis unbrauchbar. Wer sich auf das Tool verlässt, riskiert Fehlentscheidungen – und im Zweifel weniger Geld im Portemonnaie.