Die Berliner Jobcenter üben sich derzeit in Imagepflege. 350 Großplakate in Berlin mit “lustigen” -bisweilen unfreiwillig verhöhnenden- Slogans sollen die Behörden in ein menschenfreundliches Licht rücken. Den Entzug des Existenzminimums beim Bürgergeld gibt es demnach in Zukunft mit “coolen” Sprüchen vom Jobcenter garniert.
Berlinweite Werbekampagne
350 Großplakate sollen für die Jobcenter-Werbung in der Stadt angebracht werden, hinzu kommen diverse Flyer und Postarten in Bezirksämtern und anderen städtischen Einrichtungen.
Die Jobcenter präsentieren sich in der Kampagne als eine Art Service-Agentur, die (wie jeder) auch einmal Fehler macht, aber versucht, das Beste zu geben und mit den Betroffenen auf Augenhöhe im Gespräch steht.
“Immer für dich da”
Die Sprüche der Werbeaktion beginnen bei „Du findest uns zu kompliziert? Wir uns auch” und gipfeln in „Immer menschlich. Immer für dich da.“
Dass jemand, der im Zuge seiner psychischen Probleme durch Sanktionen unter das Existenzminimum gedrückt wird, dieses “Immer Menschliche” als zynischen Spott betrachten muss, fällt den Jobcentern offensichtlich nicht auf.
Es wurde eine Umfrage durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass knapp 60 Prozent der Bürgergeld-Bedürftigen die Betreuung des jeweiligen Jobcenters befriedigend finden, während 13 Prozent die Jobcenter negativ betrachten. Dagegen berichtet die Erwerbslosen-Initiative Berlin: “Da haben wir in der Beratungspraxis aber ganz andere Erfahrungen gemacht”.
Coole Sprüche und harte Strafen
Das “Rumgemenschel” der Berliner Jobcenter täuscht über die harte Praxis ihrer Sanktionen hinweg. So wurden in Berlin von Jobcentern zwischen Januar und August 2023 rund 17.000 Leistungskürzungen verhängt – also Bürgergeld-Bedürftige unter das Existenzminimum gedrückt.
Rund 1100 Betroffene wurden bestraft, weil sie eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme nicht aufnahmen. Im Durchschnitt lagen die Kürzungen bei 12 bis 30 Prozent des Regelsatzes.
Totalsanktionen gegen Hilflose und Kranke
Bei möglichen Totalsanktionen haben die potenziellen Opfer sehr berechtigte Angst vor den Jobcentern. Diese komplette Streichung der Leistungen wird vermutlich genau diejenigen treffen, die kein oder wenig Deutsch sprechen, psychische Probleme haben, oder nicht ausreichend lesen und schreiben können.
Was wäre glaubwürdig?
Solange die Berliner Jobcenter von der gesetzlichen Möglichkeit harter Sanktionen Gebrauch machen, ist die Werbekampagne zur Imagepflege pure Heuchelei. Glaubwürdig wäre es, wenn sie sich klar hinter die potenziellen Opfer stellen würden und klar machten: Wir werden keine Totalsanktionen verhängen.
Laut dem von der Bundesregierung konzipierten Gesetzesentwurf können Regelsätze beim Bürgergeld für bis zu zwei Monate (und für bis zu acht Monate im Jahr) komplett gestrichen werden, wenn die Betroffenen “eine zumutbare Beschäftigung willentlich ablehnen”.
Betroffene werden für blöd verkauft
Wer da noch denkt, das Jobcenter wäre “immer für Bürgergeld-Bedürftige da”, der glaubt auch, dass bei Regen ein Männchen mit Gießkanne im Himmel sitzt.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.