Der höhere Selbstbehalt bei Schwerbehinderung ist wichtig, wenn es um Unterhaltszahlungen, Hilfe zur Pflege, Grundsicherung oder Kostenbeteiligungen im Sozialrecht geht.
Der Selbstbehalt – oft auch Eigenbedarf genannt – bestimmt, wie viel Einkommen einer unterhaltspflichtigen Person mindestens verbleiben muss. Für Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung gelten dabei ausgeweitete Schutzmechanismen.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet der höhere Selbstbehalt?
Der Selbstbehalt legt fest, wie viel Einkommen einer Person nicht für Unterhalt oder Kostenbeiträge herangezogen werden darf. Bei Schwerbehinderung wird dieser Betrag angehoben, um zusätzliche Bedarfe wie medizinische Versorgung, Fahrdienste, Therapien oder Assistenzleistungen zu berücksichtigen.
Warum Schwerbehinderte einen höheren Anspruch haben
Menschen mit Behinderung tragen häufig dauerhafte Mehrkosten, die nicht vollständig über die Krankenkassen oder Integrationshilfen abgedeckt sind. Dazu gehören: regelmäßige Zuzahlungen für Medikamente, Fahrtkosten zu Therapien oder Umbauten in Wohnung oder Auto.
Höhere Kosten für Ernährung und Mehraufwand im Alltag
Menschen mit Schwerbehinderung haben häufig auch höhere Kosten für Ernährung (zum Beispiel bei Diabetes oder gastrointestinalen Erkrankungen) und einen Mehraufwand im Alltag (Haushaltshilfen, Assistenz, technische Hilfsmittel). Diese Zusatzlasten rechtfertigen einen höheren Selbstbetrag, der den finanziellen Handlungsspielraum sichert.
Zum Beispiel Diabetes
Ein konkretes Beispiel: Herr B. lebt allein und bezieht Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Aufgrund seines Diabetes Typ II ist er ärztlich verpflichtet, eine spezielle, kohlenhydratbewusste und frische Ernährung einzuhalten.
Fertigprodukte, Weißmehlprodukte und stark verarbeitete Lebensmittel darf er kaum noch konsumieren. Stattdessen muss er zu frischem Gemüse, Vollkornprodukten, magerem Fleisch und bestimmten zuckerreduzierten Lebensmitteln greifen – alles Produkte, die im Alltag deutlich teurer sind als der Standardwarenkorb des Regelbedarfs.
Ärztliche Bestätigung ist notwendig
Sein Hausarzt bestätigt schriftlich, dass diese Ernährung medizinisch notwendig ist und nicht lediglich eine Empfehlung darstellt. Das Sozialamt anerkennt daraufhin einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, weil der medizinisch begründete Mehraufwand unvermeidbar ist und Herr B. die Kosten nicht aus dem regulären Regelbedarf decken kann.
Ab dem Monat der Antragstellung erhält er zusätzlich zum Regelsatz einen prozentualen Zuschlag, der seine Mehrkosten für die Ernährung abdeckt. Dieser Zuschlag wird vom zuständigen Sozialamt monatlich ausgezahlt und im Leistungsbescheid gesondert ausgewiesen.
Höherer Selbstbehalt im Unterhaltsrecht
Im Unterhaltsrecht – etwa bei Elternunterhalt – liegt der Selbstbehalt regulär bei einem bestimmten Mindestsatz. Bei nachgewiesener Schwerbehinderung erhöht sich dieser Betrag, weil Betroffene nicht verpflichtet sind, ihren Lebensunterhalt durch Verzicht auf notwendige Hilfen zu gefährden.
Ein Praxisbeispiel: Herr M., 58 Jahre alt, GdB 80, erhält eine Erwerbsminderungsrente und muss eigentlich Elternunterhalt zahlen. Aufgrund seiner Behinderung fallen jährlich rund 2.500 Euro zusätzliche Gesundheitskosten an. Das Sozialamt erkennt diese Mehrbelastung an und setzt einen erhöhten Selbstbetrag fest. Herr M. muss deshalb keinen Elternunterhalt zahlen.
Höherer Selbstbetrag in der Sozialhilfe und Grundsicherung
Auch in der Sozialhilfe nach SGB XII oder in der Grundsicherung kann ein höherer Selbstbetrag beziehungsweise ein erhöhter Einkommensfreibetrag gelten, insbesondere bei Merkzeichen G, aG, H oder Bl, bei erhöhtem Pflegegrad und bei nachgewiesenem Mehrbedarf (Ernährung, Mobilität, Behinderung).
Mehrbedarfe bei Sozialleistungen
Menschen mit Behinderung können bei Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII (Sozialhilfe) oder Sozialgesetzbuch II (Bürgergeld) zusätzlich zum höheren Selbstbehalt Mehrbedarfe geltend machen – beispielsweise 35 Prozent Mehrbedarf bei Merkzeichen G, einen Ernährungsmehrbedarf bei bestimmten Krankheiten und einen Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung.
Hier können sich schnell dreistellige Zusatzbeträge ergeben, die den pauschalen Selbstbetrag weiter erhöhen. Diese sind abhängig vom jeweiligen Einzelfall.
Häusliche Pflege
Häusliche Pflege erhöht den Selbstbehalt. Wenn ein Angehöriger mit Schwerbehinderung im häuslichen Umfeld gepflegt wird, ist häufig ein höherer Selbstbehalt möglich – das gilt besonders bei hohen Pflege- und Therapiekosten.
Behindertengerechte Wohnraumanpassung
Notwendige Umbaukosten (zum Beispiel ein Treppenlift oder ein barrierefreies Bad) können den Selbstbetrag zusätzlich steigern, weil sie als unabweisbare Belastung gelten. Auch abgesenkte Arbeitsplatten, verbreiterte Türen oder ebenerdige Duschen können solche Anpassungen sein.
Ein Beispiel aus der Praxis: Frau K., 62 Jahre, GdB 80, mit dem Merkzeichen G, kann aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität die Badewanne nicht mehr alleine nutzen. Sie benötigt eine ebenerdige Dusche, Haltegriffe und eine rutschfeste Bodenfläche.
Das Sozialamt erkennt an, dass die Umbauten zwingend notwendig sind, um die selbstständige Körperpflege zu ermöglichen. Die Kosten werden deshalb als unabweisbare Belastung gewertet und erhöhen ihren Mehrbedarf.
Ein weiteres Beispiel: Der 35-jährige Rollstuhlfahrer T. benötigt breitere Türen, um seine Wohnung überhaupt befahrbar zu machen. Die Kosten für das Aufweiten mehrerer Türrahmen und den Austausch der Türen liegen bei rund 3.000 Euro. Da dies zwingend erforderlich ist, um die Wohnung nutzbar zu machen, wird sie als besonderer Bedarf berücksichtigt und führt zu einem erhöhten Selbstbetrag.
Fahrtkosten und Hilfsmittel
Fahrten zu Ärzten, Therapien oder Werkstätten können voll anrechenbar sein, wenn kein gleichwertiger öffentlicher Verkehr zur Verfügung steht. Privat finanzierte Hilfsmittel – etwa Kommunikationsgeräte, Rollstuhlreparaturen oder Assistenzkosten – erhöhen den Selbstbehalt, wenn keine andere Stelle dafür aufkommt.
Einige Beispiele aus der Praxis: Herr R., 52 Jahre, hat aufgrund einer neurologischen Erkrankung das Merkzeichen G. Er muss dreimal pro Woche zur Physiotherapie fahren, da er ohne diese Behandlung seine Mobilität verlieren würde. Öffentliche Verkehrsmittel sind wegen der Distanz und der Gehbeschwerden nicht zumutbar.
Das Amt erkennt die Kosten für die Fahrten mit dem privaten Pkw an und berücksichtigt sie als Mehrbedarf.
Auch Fahrten zu Facharztterminen, die nicht in der Nähe verfügbar sind, lassen sich anrechnen. Nehmen wir an, die 33-jährige Frau T. leidet an einer seltenen rheumatologischen Erkrankung. Der nächste Spezialarzt befindet sich 40 Kilometer entfernt. Da die Behandlung medizinisch notwendig ist und es keine wohnortnahe Alternative gibt, werden die Fahrtkosten zu den ambulanten Terminen vollständig berücksichtigt.
Wo beantragen Sie einen zusätzlichen Mehrbedarf?
Ein zusätzlicher Mehrbedarf wird immer bei der zuständigen Sozialbehörde beantragt – je nachdem, welche Leistung Sie erhalten. Wer Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bezieht, stellt den Antrag beim Sozialamt. Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld beantragen den Mehrbedarf hingegen direkt beim Jobcenter.
Ein konkretes Beispiel: Frau H. bezieht Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII und hat zusätzlich einen ärztlich bestätigten Bedarf an spezieller, kostenintensiver Ernährung aufgrund einer chronischen Darmerkrankung. Ihr Arzt stellt ein entsprechendes Attest aus.
Da sie Leistungen nach dem SGB XII erhält, ist das Sozialamt ihrer Wohnortgemeinde für den Antrag und die Auszahlung des Mehrbedarfs zuständig.
Die Sachbearbeiterin prüft das Attest, fordert gegebenenfalls Rückfragen beim Arzt an und setzt den neuen Mehrbedarf im Leistungsbescheid fest. Ab dem nächsten Monat erhält Frau H. einen erhöhten Regelsatz, der den anerkannten Mehrbedarf einschließt – direkt vom Sozialamt, das auch ihre übrigen Grundsicherungsleistungen auszahlt.
Was muss der Antrag enthalten?
Der Antrag kann formlos gestellt werden, sollte aber möglichst konkrete Angaben zu Art und Umfang des Mehrbedarfs enthalten. Üblicherweise verlangen die Behörden ärztliche Bescheinigungen, Diagnosen, Therapienachweise, Kostenvoranschläge oder Quittungen, etwa für Fahrtkosten, besondere Ernährung, Hilfsmittel oder erhöhten Energiebedarf.
Der Antrag gilt nicht rückwirkend
Wichtig ist, dass der Mehrbedarf nicht rückwirkend, sondern erst ab Antragstellung berücksichtigt wird. Daher lohnt es sich, den Antrag frühzeitig abzugeben – auch wenn noch nicht alle Belege vollständig vorliegen. Die Nachweise können in der Regel nachgereicht werden.
An wen können Sie sich im Zweifelsfall wenden?
Wer unsicher ist, an welche Behörde er sich wenden muss, kann sich an eine Sozialberatungsstelle, den Pflegestützpunkt oder eine Behindertenberatungsstelle wenden. Diese Einrichtungen helfen oft auch beim Ausfüllen der Unterlagen und der Zusammenstellung der erforderlichen Nachweise.
FAQ – Häufig gestellte Fragen
Erhöht sich der Selbstbehalt automatisch bei Schwerbehinderung?
Nein. Der höhere Selbstbetrag muss beantragt und mit Belegen untermauert werden.
Zählt der Grad der Behinderung?
Ja. Ein höherer GdB führt oft zu stärkeren finanziellen Belastungen und erhöht damit den Selbstbetrag.
Kann das Amt den höheren Selbstbehalt ablehnen?
Ja, aber nur wenn die Mehrkosten nicht nachweisbar oder die geltend gemachten Ausgaben nicht notwendig sind.
Gilt der höhere Selbstbehalt auch für Pflegeeltern oder andere Angehörige?
Er gilt grundsätzlich für jede Person, die Unterhalt zahlen müsste und selbst schwerbehindert ist.
Muss ich jedes Jahr neue Nachweise bringen?
Die meisten Ämter fordern jährlich eine Aktualisierung, besonders bei variablen Kosten.
Fazit
Der höhere Selbstbehalt bei Schwerbehinderung ist ein wichtiges Instrument, das sicherstellt, dass Menschen mit Behinderung nicht durch Unterhalt oder Sozialkosten in finanzielle Not geraten. Viele Betroffene schöpfen diesen Anspruch jedoch nicht aus – oft aus Unwissen oder fehlender Beratung.
Wer seine Mehrbedarfe detailliert dokumentiert und frühzeitig beim Amt meldet, kann spürbare Entlastungen erreichen. Der erhöhte Selbstbehalt ist damit ein entscheidender Schutz für ein selbstbestimmtes Leben trotz Behinderung.




