Gewerkschaften, Parteien und Verbände werfen der Bundesregierung "Tricksereien" bei den neuen Hartz IV Regelsätzen vor. Eine Hartz-4 Initiative aus Wiesbaden bereitet bereits jetzt eine Verfassungsbeschwerde vor.
(25.09.2010) Am Sonntag berät ein Koalitionsausschuss über die Höhe der Hartz IV Regelleistungen. Schon im Vorfeld war bekannt geworden, dass eine mögliche Erhöhung der Sätze weit unter 20 Euro liegen. Medien hatten unter Berufung von Koalitionkreise berichtet, dass sich darauf die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Treffen der Unions- Ministerpräsidenten geeinigt hätte. Prompt wurden diese Meldungen aus dem Bundeskanzleramt dementiert. Man habe sich lediglich über Hartz IV „unterhalten“ aber keine Zahlen festgelegt, wie es hieß. Dennoch behalte man es sich vor, die Höhe der Regelsätze auch unter politischen Gesichtspunkten zu betrachten. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Regelsätze, wie befürchtet, politisch festgelegt werden.
Zahlreiche Sozialverbände, aber auch Gewerkschaften und die politische Opposition werfen der Bundesregierung „Tricksereien“ vor. FDP und CDU Politiker forderten bereits im Vorfeld der Behanntgabe der Neuberechnungen, dass die Positionen „Zigaretten und Tabak“ aus der Berechnung der ALG II Regelsätze entfernt werden solle. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider hingegen wirft der Bundesregierung vor, die Diskussion um den Abzug der Ausgaben für Alkohol und Tabak sei rein „populistisch“ und zudem willkürlich, wie Schneider gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte. Hierbei müsse unbedingt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes beachtet werden. Solche Forderungen seien nicht Bestandteil des Urteils der obersten Verfassungrichter gewesen. Der Verband setzt sich für einen Regelsatz von monatlich 420 Euro aus. Solange Deutschland für Reiche eine „Steueroase“ ist, dürfe auch nicht bei den Ärmsten dieser Gesellschaft gespart werden, so der Verbandschef.
Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB, Michael Sommer warnte die Bundesregierung davor, die Höhe der Hartz IV-Regelleistungen „hinter verschlossenen Türen festzusetzen, von der dann die Menschenwürde abgeleitet wird“. Die Regierung dürfe nicht versuchen, die Regelsätze mit einer „politischen Formel“ herunter zu rechnen.
Verfassungsbeschwerde wird vorbereitet
Angesichts der Hinweise auf einer politisch motivierten Festlegung des Regelsatzes und des zum Teil rechtswidrigen Gesetzesentwurfes hat die Erwerbslosen-Gruppe „Hartz4-Plattform“ angekündigt, eine Verfassungsklage vorzubereiten. So sagte Brigitte Vallenthin: „Die Hartz4-Plattform bereitet schon jetzt eine Verfassungsbeschwerde gegen den Sanktionsparagrafen vor, den sie dem Bundesverfassungsgericht unmittelbar nach Verabschiedung des neuen Gesetzes auf den Tisch legen wird.“ In der Kritik steht vor allem der § 31 des SGB II. Nach Ansicht der Initiative hatte das Bundesverfassungsgericht die Nullkürzung aufgrund von Sanktionen für verfassungswidrig erklärt. Denn die Richter hatten geurteilt, dass ein „unverfügbares“ Grundrecht auf „menschenwürdiges Existenzminimum“ erhalten bleiben muss. Neu ist auch der „§ 31a / Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen“. Darin gibt es gleich mehrere Sanktions-optionen, die der Zuständigkeit des Sachbearbeiters überlassen werden. In der „Kann“-Bestimmung für die Absenkung einer 100 Prozent-Sanktion auf 60% ist die ehemalige Formulierung „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls“ gestrichen worden. Noch weniger als bisher existiert für den Betroffenen also eine Chance eine Berücksichtigung des individuellen Schicksals einzufordern.
Für unter 25-Jährige und neuerdings auch Jugendliche und Kinder unter 16 Jahren kommt es knüppeldicke: Während das alte Gesetz formuliert „… Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr, jedoch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben …“ – ist der Kinderschutz im neuen Entwurf ersatzlos gestrichen worden. Da heißt es nur noch: „Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben …“ Will der Gesetzgeber damit etwa sagen, dass er beabsichtigt,
Menschenrechte verletzende Sanktionen auch auf unter 16-Jährige anzuwenden – 100% Nahrungsentzug und drohende Obdachlosigkeit auch bei Kindern und in der Pubertät?
Ebenfalls neu im Gesetz ist der „§ 31b / Beginn und Dauer der Minderung“. Es ist ein für ein demokratisches Gemeinwesen und die damit verbundenen ethischen Wertvorstellungen schwer erträglicher Zynismus, hier von „Minderung“ zu sprechen, wo Nahrungsentzug und Verlust der Wohnung vollstreckt werden. Alleine schon die Wortwahl sei eine Demütigung für die Betroffenen, so die Initiative. „Alleine nach dieser ersten Einschätzung des verschärften Sanktionsparagrafen bleibt gar keine andere Wahl“, so Brigitte Vallenthin, „als endlich die Bundesverfassungsrichter zu fragen, ob derartige Formen staatlicher Gewalt mit der Menschenwürde des Grundgesetz vereinbar sind.“ (sb)
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