Bürgergeld: Jobcenter sagt: Elternzeit sei sozialwidriges Verhalten – Gericht macht Ansage

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Geht ein Arbeitnehmer wegen einer Elternzeit vorübergehend seiner Beschäftigung nicht mehr nach, darf das Jobcenter dies noch nicht als „sozialwidriges Verhalten“ einstufen.

Dies gilt auch dann, wenn die Kinderbetreuung durch den anderen Elternteil eigentlich gesichert wäre und der Arbeitnehmer mit der Inanspruchnahme von Elternzeit auf höhere Grundsicherungsleistungen angewiesen ist, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am Donnerstag, 2. Oktober 2025, veröffentlichten Urteil (Az.: L 6 AS 111/23). Damit hat das Jobcenter Kassel zu Unrecht die Erstattung gewährter Grundsicherungsleistungen in Höhe von 21.400 Euro verlangt.

Kläger nahm Elternzeit

Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau und den drei gemeinsamen Kindern in Kassel und geht einer Vollzeitbeschäftigung nach. Als seine jüngste Tochter zur Welt kam, ging er ab dem 9. April 2020 für ein Jahr in Elternzeit und beanspruchte Elterngeld. Das Jobcenter Kassel hatte der Familie vom 1. April 2020 bis 30. September 2020 noch aufstockende Grundsicherungsleistungen bewilligt.

Infolge der Elternzeit und des damit verbundenen Wegfalls des Erwerbseinkommens ging die Behörde von einem „sozialwidrigen Verhalten“ aus. Der Kläger habe mit der Elternzeit eine höhere Hilfebedürftigkeit verursacht. Eine aktive Vaterrolle habe er nicht einnehmen, sondern nur seinen Lkw-Führerschein machen wollen. Einen entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme des Lkw-Führerscheins als Leistung der beruflichen Weiterbildung hatte das Jobcenter zuvor abgelehnt.

Jobcenter: Leistungsbezieher hätte Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt

Der Kläger habe die Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt. Er habe mit der Elternzeit sein Einkommen gemindert, obwohl seine erwerbslose Ehefrau sich um die Kinder kümmern konnte.

Die Ehefrau hätte das Basiselterngeld von monatlich 300 Euro behalten und der Kläger seine Erwerbstätigkeit einfach fortführen können. Wegen des sozialwidrigen Verhaltens forderte das Jobcenter die Rückerstattung gewährter Leistungen in Höhe von 21.400 Euro.

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Gericht: Elternzeit nehmen ist kein „sozialwidriges Verhalten

Die Inanspruchnahme von Elternzeit und Elterngeld ist ein normales und kein „verwerfliches Verhalten“, argumentierte dagegen der Kläger. In welchem Umfang sich ein Elternteil der Erziehung des Kindes widme, sei eine ureigene Entscheidung der Eltern und nicht die des Jobcenters. Der Gesetzgeber habe mit der Elternzeit die Betreuung und Erziehung der Kinder fördern wollen.

Das LSG urteilte am 19. März 2025, dass die Inanspruchnahme von Elternzeit als solche nicht sozialwidrig ist. Das Jobcenter habe zu Unrecht die Erstattung gewährter Leistungen zurückverlangt. Zwar sei ein Zweck des Elterngeldes, die wirtschaftliche Existenz möglichst unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen zu sichern.

Nur ein anderes Leistungssystem eingetreten

Vor Beantragung des Elterngeldes war der Kläger aber ebenfalls schon mit Kinderzuschlag und Wohngeld auf Sozialleistungen angewiesen. Mit den Grundsicherungsleistungen sei nur ein anderes Leistungssystem eingetreten.

Allerdings habe der Kläger mit der Elternzeit selbst seine erhöhte Hilfebedürftigkeit verursacht. Hierfür habe er aber einen „wichtigen Grund“ gehabt. Der Gesetzgeber habe mit der Elternzeit und dem Elterngeld die Chancengleichheit von Frauen und Männern erhöhen wollen.

LSG Darmstadt: Jobcenter durfte nicht 21.400 Euro zruückfordern

Wie sich die Eltern dabei die Betreuungszeit mit dem Kind tatsächlich aufteilen, „liegt beim Elterngeld außerhalb des Bereichs, der von Staats wegen zu kontrollieren ist“, so das LSG.

Jedoch könne die Inanspruchnahme von Elternzeit ein sozialwidriges Verhalten darstellen, wenn der Kläger statt in Vollzeit zu arbeiten, sich in Vollzeit einer Ausbildung zum Lkw-Fahrer unterzieht. Im Streitfall könne dies dahinstehen, da der Kläger die Ausbildung tatsächlich nicht durchgeführt hat.