Ob Rollstuhl, Hörgerät oder Orthese: Die Frage, ob die Krankenkasse ein Hilfsmittel übernimmt, ist für viele Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung existenziell. Gleichzeitig erleben Betroffene immer wieder Verzögerungen oder Ablehnungen.
Dabei gibt es klare Regeln – und effektive Wege, den eigenen Anspruch durchzusetzen.
Inhaltsverzeichnis
Der Grundsatz: Erst prüfen, dann genehmigen – aber mit klaren Fristen
Stellen Versicherte einen Antrag auf ein Hilfsmittel, muss die Krankenkasse entscheiden. Wie lange sie dafür Zeit hat, hängt vom Zweck des Hilfsmittels ab. Dabei sind zwei Rechtsbereiche zu unterscheiden: die gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) und das Rehabilitationsrecht (SGB IX).
| Zweck / Rechtsgrundlage | Frist & Folge |
| Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung (z. B. Stützkorsett während laufender Therapie) – § 13 Abs. 3a SGB V | 3 Wochen (ohne MD) bzw. 5 Wochen (mit Medizinischem Dienst). Verpasst die Kasse die Frist ohne rechtzeitige, begründete Mitteilung samt neuem Entscheidungstermin, gilt der Antrag als genehmigt (Genehmigungsfiktion). |
| Behinderung vorbeugen / Behinderung ausgleichen (z. B. Hörgeräte, Rollstühle, Prothesen) – § 18 SGB IX | Entscheidung spätestens innerhalb von 2 Monaten. Erst nach Ablauf dieser 2 Monate greift eine Genehmigungsfiktion – ebenfalls nur, wenn keine rechtzeitige, begründete Verlängerungsmitteilung kommt. |
Wichtig: Die oft gehörte Aussage „die Kasse informiert, wenn es länger dauert“ reicht nicht. Eine bloße Hinhaltetaktik ist unzulässig. Die Krankenkasse muss konkret begründen, warum sie mehr Zeit braucht, und einen neuen, bestimmten Entscheidungstermin nennen.
Wenn die Frist verstrichen ist: Genehmigungsfiktion und Kostenerstattung
Hält die Kasse die Frist nicht ein und erfüllt die oben genannten Voraussetzungen nicht, gilt die Leistung als genehmigt. Wer sich das Hilfsmittel nach Fristablauf selbst beschafft, hat Anspruch auf Kostenerstattung in notwendiger Höhe. Gleiches gilt, wenn eine Ablehnung sich nachweislich als rechtswidrig erweist.
Praxistipp: Holen Sie sich vor einer Selbstbeschaffung idealerweise eine ärztliche Verordnung und dokumentieren Sie die Fristüberschreitung (Eingangsbestätigung des Antrags, fehlende oder unzureichende Verlängerungsmitteilung).
Ablehnung erhalten – was nun?
Kommt ein ablehnender Bescheid, können Versicherte Widerspruch einlegen. Die Frist beträgt einen Monat, mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung. Fehlt diese, bleibt dafür ein Jahr Zeit.
Form: Der Widerspruch muss schriftlich mit Unterschrift (Brief, Fax) oder zur Niederschrift bei der Krankenkasse eingelegt werden. Eine E-Mail genügt nur, wenn die Kasse den elektronischen Zugang ausdrücklich eröffnet hat (qualifizierte elektronische Form). Für den Anfang reicht ein kurzes Widerspruchsschreiben; die Begründung können Sie nachreichen.
Inhaltlich zählt die medizinische Argumentation. Stimmen Sie sich mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten ab und legen Sie Befunde, Verläufe und eine alltagsbezogene Begründung vor:
Wobei genau hilft das Hilfsmittel? Welche Teilhabeeinschränkungen bestehen ohne? Gibt es Alternativen – und warum sind sie ungeeignet?
Nachweis nicht vergessen: Versenden Sie den Widerspruch nach Möglichkeit per Einschreiben mit Rückschein oder geben Sie ihn vor Ort zur Niederschrift ab. So können Sie die fristgerechte Einlegung belegen.
Wenn die Kasse schweigt: Untätigkeitsklage
Dauert das Widerspruchsverfahren länger als drei Monate, dürfen Sie Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erheben. Das Gericht prüft dann, ob die Kasse verzögert und verpflichtet sie zur Entscheidung. Eine Klage gegen einen ablehnenden Widerspruchsbescheid muss innerhalb von einem Monat eingelegt werden.
In der ersten Instanz besteht kein Anwaltszwang – fachkundige Unterstützung durch eine Sozialrechtskanzlei oder Beratungsstellen ist dennoch empfehlenswert.
Zuzahlungen – was Sie selbst tragen müssen
Für von der GKV bewilligte Hilfsmittel fällt grundsätzlich eine Zuzahlung von 10 % des Abgabepreises an, mindestens 5 € und höchstens 10 € – pro Hilfsmittel. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sind in der Regel befreit, ebenso Versicherte, die ihre Belastungsgrenze erreicht haben. Prüfen Sie, ob eine Befreiung greift.
Pflegehilfsmittel nicht verwechseln
Nicht jedes benötigte Produkt ist ein Hilfsmittel der Krankenversicherung. Pflegehilfsmittel (z. B. zum Verbrauch wie Handschuhe, Desinfektionsmittel, saugende Bettschutzeinlagen) laufen über die Pflegekasse nach § 40 SGB XI – mit anderen Voraussetzungen und eigenen Antragswegen. Die Abgrenzung spart Ärger und Zeit.
Check zum Schluss – so sichern Sie Ihren Anspruch
- Zweck klären: Behandlung sichern (SGB V) oder Behinderung ausgleichen/vorbeugen (SGB IX)?
- Frist im Blick: 3/5 Wochen (SGB V) oder 2 Monate (SGB IX).
- Verzögerungsbrief prüfen: Begründet? Konkreter neuer Termin? Sonst läuft die Frist weiter.
- Dokumente sammeln: Verordnung, Befunde, Alltagsschilderungen.
- Widerspruch fristgerecht, formwirksam – Begründung nachreichen.
- Nachweis sichern: Einschreiben/Rückschein oder Niederschrift.
- Gericht: Untätigkeitsklage nach 3 Monaten; Klage binnen 1 Monat nach Widerspruchsbescheid.
Fazit: Mit klarer Fristenkontrolle, guter medizinischer Begründung und sauberer Form wackelt fast jede pauschale Ablehnung. Wer die Regeln kennt, bringt die Krankenkasse in die Pflicht – und kommt schneller an das Hilfsmittel, das den Alltag wirklich erleichtert.




