Hartz IV: Viel Bürokratie bei Bildungsgutscheinen

Lesedauer 3 Minuten

Die Hartz IV-Bildungsgutscheinen sind mit unüberwindlichen bürokratischen Hürden versehen.

Die im Rahmen der Hartz IV-Neuregelung beschlossenen Bildungsgutscheine für Kinder, wurden mit hohen bürokratischen Hürden versehen, die eine Inanspruchnahme erheblich erschweren.

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat bei den Hartz IV- Neureglung Abstand von der direkten finanziellen Unterstützung für bestimmte Bildungsangebote genommen und den Betroffenen stattdessen Bildungsgutscheine für Leistungen wie Nachhilfeunterricht, das Mittagessen in der Schulkantine oder die Teilnahme an einem Schulausflug in Aussicht gestellt. Aus einem Informationsschreiben der Arbeitsagentur an die Jobcenter in Berlin zur Umsetzung der Hartz IV-Reform geht jedoch hervor, dass die Vergabe der Bildungsgutscheine mit erheblichen bürokratischen Auflagen verbunden werden soll. So wird zum Beispiel längst nicht jedes Kind einer Bedarfsgemeinschaft mit schlechten schulischen Leistungen Anspruch auf Nachhilfeunterricht haben. Aus dem Informationsschreiben ergibt sich, dass ein außergewöhnliches Ereignis wie eine „langfristige Erkrankung“ oder ein „Todesfall im engsten Familienkreis“ zum Abfall der schulischen Leistung geführt haben muss, damit ein Anspruch auf Nachhilfeunterricht besteht. Die Formulierungen entstammen einem Formular, das den Schulen künftig vorgelegt werden muss, um entsprechende Bildungsgutscheine zu beantragen. Demnach sind Eltern außerdem dazu verpflichtet eine Stellungnahme des schulpsychologischen Dienstes vorzulegen, die darlegt welche schulischen Hilfsangebote bereits wahrgenommen wurden und ob wegen der schlechten Noten schon eine Klassenkonferenz stattgefunden hat.

Bildungsgutscheine sind bürokratisches Riesenmonstrum
Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Ramona Pop kritisierte das Antragsverfahren als „ein bürokratisches Riesenmonstrum“. So habe die Bundesregierung mit den Bildungsgutscheinen anstatt einer Verbesserung ein "Bildungsverhinderungspaket" beschlossen. Denn um eine der Hilfsleistungen aus dem Reformprojekt wahrnehmen zu können, müssen Eltern ab Januar einen entsprechenden Antrag beim Jobcenter einreichen, woraufhin sie das erwähnte Formular erhalten, erklärte die Fraktionsvorsitzende der Grünen. Das Formular ist anschließend bei der Schule einzureichen und von einem Lehrer entsprechend auszufüllen. Anschließend werden die Unterlagen wieder an das Jobcenter übermittelt und gegebenenfalls der Anspruch auf einen Bildungsgutschein gewährt. „Ob das bei der oft schwierigen Klientel klappt, ist mehr als fraglich“, betonte Ramona Pop. Und so seien nicht nur die in dem Formular enthaltenen Genehmigungskriterien besonders hoch, sondern das Verfahren bilde von sich aus eine zusätzliche Hürde. Das Bildungspaket für die ALG II-Empfänger sei so angelegt, dass „die Betroffenen es nicht in Anspruch nehmen“ können, kritisierte die Grüne.

Statt dem geplanten unpraktischen Vorgehen, bei dem für jedes Kind einzeln erneut ein Gutschein zu beantragen ist, sollte das Verfahren durch Bezirke oder Schulen gebündelt abgewickelt werden, schlägt die Fraktionsvorsitzende der Grünen vor. Damit könnte der bürokratische Aufwand erheblich verringert werden, zumal die Bildungsgutscheine bisher ohnehin nur einen Monat lang gültig sind. Da auch die Bildungsgutscheine für einen Mittagessen-Zuschuss in einem Verfahren zwischen Jobcenter, Schule und Betroffenen beantragt werden müssen, sollte nach Ansicht der Grünen auch hier der Zuschuss für alle betroffenen Kinder gemeinsam von der Schule beim Amt beantragt werden. Zumal in Berlin mit der Umwandlung zahlreicher Schulen zu Ganztagseinrichtungen eine wachsenden Anzahl von Kindern Anspruch einen solchen Zuschuss zum Mittagessen hat.

Mit der Hartz IV-Reform hat die Bundesregierung am Donnerstag nicht nur die Bildungsgutscheine und die stark umstrittene minimale Anhebung der ALG II-Bezüge beschlossen, sondern auch eine erhebliche Ausgabenkürzung im Bereich der Arbeitsangebote für Langzeitarbeitslosen verabschiedet. So werden zum Beispiel in Berlin laut Berichten der „Berliner Morgenpost“ die entsprechenden Arbeitsangebote voraussichtlich von 30 000 auf 15 000 halbiert, weil die Finanzierungsmöglichkeiten wegfallen. Durch die Kürzungen erhoffe sich die Bundesregierung Einsparungen in Höhe von rund 200 Millionen Euro. Die Berliner Grünen machen jedoch nicht nur die Bundesregierung sondern auch den Berliner Senat für den massiven Stellenwegfall verantwortlich. Denn zum Beispiel „die Mobilitätshilfe für ältere Menschen wurde früher häufig von ehrenamtlichen Mitarbeitern geleistet, bevor sie durch Ein-Euro-Jobber ersetzt wurden“, erklärte Ramona Pop. „Das rächt sich jetzt“, weil für die entsprechenden Ein-Euro-Jobs keine Gelder vom Bund mehr fließen und der Senat darauf vertraut habe, dass der Bund die Berliner Arbeitsmarktpolitik langfristig finanziere. ALG II-Empfänger sollen nach den Plänen der Bundesregierung jedoch nur noch einen Anspruch auf derartige Arbeitsangebote haben, wenn die Aussicht auf eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt besteht.

Die Reform des ALG II und insbesondere die massiven Kürzungen im Bereich der Arbeitsangebote für Langzeitarbeitslose, treffen auch bei den kirchlichen Einrichtungen auf wachsenden Kritik. So bemängelten Caritas und Diakonisches Werk in einer gemeinsamen Erklärung: „Die umfassenden Mittelkürzungen gehen zulasten der Menschen, die nicht von der besseren Situation auf dem Arbeitsmarkt profitieren“. Der Caritas-Präsident Peter Neher ergänzte: „Um zu erreichen, dass diese Menschen wieder eine Chance auf sinnstiftende Arbeit und damit gesellschaftliche Teilhabe erhalten, ist eine umfassende Aktivierung nötig, die entsprechende Maßnahmen erfordert“. Daher fordern Caritas und Diakonie die Abgeordneten des Bundestags dazu auf, die massiven Kürzungen im Bereich der Arbeitsangebote trotz der aktuellen Beschlüsse nicht umzusetzen. Allerdings muss hier auch angemerkt werden, dass vor allem diakonische Einrichtungen Nutznießer von sog. Ein-Euro Jobs sind und waren.

Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigte sich kritische angesichts der ALG II Reform durch die christlich-liberalen Bundesregierung. Die Pläne der Bundesregierung seien „verfassungswidrig und in der Sache unsozial“ betonte der Verband. In Bezug auf die Bildungsgutscheine warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband außerdem vor negativen Anreizen, die durch das Gutscheinsystem geschaffen würden. Denn es bestehe ein Risiko, das in der Jugendhilfe tätige Vereine bislang kostenlose Bildungsangebote künftig in kostenpflichtige umwandeln oder die Kosten bei bestehenden Angeboten erhöhen, um verstärkt von den Bildungsgutscheinen zu profitieren. (fp, 29.11.2010)

Lesen Sie auch:
Diakonie: Hartz IV ist am Ende
Hartz IV-Reformen verfassungsrechtlich bedenklich?

Bild: Gerd Altmann / pixelio.de