Hartz IV macht Menschen krank

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Hartz IV macht krank

08.04.2017

Während Jobcenter Hartz IV Betroffene in „Gesundheitsprogramme“ drängen und damit suggerieren, ihr „ungesunder Lebensstil“ sei der Grund, warum sie keine Arbeit fänden, mach Hartz IV selbst die Menschen krank.

Arme sind häufiger krank
Das Robert-Koch-Institut stellt fest: „Personen mit niedrigem Sozialstatus sind vermehrt von chronischen Krankheiten, psychosomatischen Beschwerden, Unfallverletzungen sowie Behinderungen betroffen. Sie schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein und berichten häufiger von gesundheitsbedingten Einschränkungen in der Alltagsgestaltung.“

Hartz IV Betroffene gehen seltener zu Untersuchungen
Der Regionaldirektor der AOK in Eukirchen, Helmut Schneider, verweist auf den AOK-Gesundheitsreport seines Kreises und zeigt ein scheinbares Paradox. Demnach gehen Hartz IV Betroffene wesentlich seltener zu Voruntersuchungen als Berufstätige. Widersprüchlich ist das deshalb, weil sie, wenn sie häufiger unter Krankheiten leiden und ihren Gesundheitszustand als schlecht einschätzen, eigentlich häufiger zu Voruntersuchungen gehen müssten.

Weniger Impfungen, weniger Krebsvorsorge
Nur 84% der Kinder von Hartz-IV Betroffenen würden in die U 7 a-Untersuchung gehen, die im 34-36. Monat stattfindet. Bei Berufstätigen seien es 95 %. Bei den Untersuchungen ziwschen sieben bis acht Jahren seien es 30 % der Erwerbslosen im Vergleich zu 52 % der Beschäftigten und zwischen zwölf und vierzehn Jahren 27 im Vergleich zu 38 %. Deutliche Unterschiede gibt es auch bei Impfungen.

Bei Krebsvorsorgeuntersuchungen der Brust bei Frauen liege der Unterschied bei 37 zu 45,7%, bei der Krebsfrüherkennung an den Genitalien bei Männern bei 13 zu 16,2 %.

Keine finanziellen Gründe?
Schneider betont: „Finanzielle Gründe spielen bei der unterschiedlichen Inanspruchnahme keine Rolle, da die Untersuchungen kostenfrei für die Versicherten durchgeführt werden.

Übergewicht und Diabetes
Im Kreis Euskirchen leiden 8,5 % der Kinder aus Hartz IV Familien an erheblichem Übergewicht, bei Berufstätigen sind es fünf Prozent. Zudem hätten, laut AOK Hartz IV Abhängige deutlich häufiger Diabetes.

Lebensstil entscheidend?
Haben die Jobcenter also recht, dass Hartz IV Betroffene durch ihren eigenen Lebensstil schuld an ihrem schlechten Gesundheitszustand sind? Dies träfe nur dann zu, wenn ihr Lebensstil der Grund für ihre soziale Notlage wäre und nicht umgekehrt die soziale Notlage die Ursache für den Lebensstil.

Ist Vorsorge Luxus?
Regelmäßige Untersuchungen, Krebsvorsorge und Impfungen sind kein Luxus, sondern außerordentlich wichtig, um Krankheiten zu vermeiden.

Im Frühstadium erkannter Krebs lässt sich ungleich besser bekämpfen, als ein Tumor, der Metastasen gebildet hat. Impfungen sind ein Segen für die Menschheit und haben die westlichen Gesellschaften von Seuchen befreit, die auf unsere Vorfahren wie Naturkatastrophen herein brachen.

Erst kommt das Essen, dann die Vorsorge
Haben die Jobcenter also Recht? Sind Hartz IV Betroffene also selbst schuld, wenn sie unter Krankheiten leiden, weil sie seltener zu sinnvollen Untersuchungen gehen? Ist also die Selbstverantwortung der Betroffenen gefragt?

So einfach ist es nicht. Die Hirnforschung bestätigt inzwischen, dass es eine Bedürfnis-Pyramide gibt. Der Organismus fordert zuerst, die existentiellen Bedürfnisse zu befriedigen: Dazu zählen Hunger und Durst, Schlafen und Atmen. Letzteres ist so elementar, dass wir es nicht willentlich steuern können: Wenn wir uns zwingen, den Atem anzuhalten, wird der Druck irgendwann übermächtig, doch einzuatmen.

Primäre Bedürfnisse stehen im Vordergrund
Wenn wir hungern und frieren, können wir dies zwar durch die Konzentration auf Geistiges eine gewisse Zeit verdrängen, doch dieses Bedürfnis drängt sich in den Vordergrund und verdrängt alle sekundären Bedürfnisse.

Diese primären Bedürfnisse sind unmittelbar, sie drängen auf akute Befriedigung. Abstraktere Bedürfnisse treten hinter ihnen zurück. Vorsorge ist gerade nicht unmittelbar: Es geht um die Zukunft, also, so wichtig die Gesundheit also auch ist, um ein abstraktes Konzept.

Überleben in der Gegenwart statt Leben in der Zukunft
Wer im Wortsinne, von der Hand in den Mund lebt, der kümmert sich unbewusst wie bewusst, wenig darum, wie seine Gesundheit in der Zukunft aussieht.

Krebs- und allgemein Krankheitsvorsorge gehören zu dem Modell einer Lebensplanung. Wer aber darum kämpft, sich in der letzten Woche des Monats mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen, wer in Angst lebt, im Winter zu frieren, weil der die Heizung nicht bezahlen kann, wem Sanktionen des Jobcenters die Möglichkeiten nehmen, sich mit den Notwendigsten zu versorgen – dem fehlt der Freiraum, sein Leben zu planen.

Soziale Sicherheit statt erhobener Zeigefinger
Mit anderen Worten: Wer von Hartz IV lebt, ringt darum, seine primären Lebensbedürfnisse zu erfüllen. Wer also möchte, dass Erwerbslose häufiger an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen, der muss sich für eine soziale Sicherung der Betroffenen engagieren. (Dr. Utz Anhalt)

Bild: Alexander Raths – fotolia

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