Hartz IV: Hassbrief vom Jobcenter gegen Erwerbslose

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Beleidigungsbrief aus dem Jobcenter gegen Erwerbslosenberatungsstelle wird zum Anlass fรผr eine lustige โ€žArme Wรผrstchen Partyโ€œ

Das Sicherheitspersonal war รผberrascht รผber die Menge von Hartz IV Aktivisten, die ins Jobcenter strรถmten. Es waren
frรถhliche Menschen mit Partyhรผten, Luftschlangen und merkwรผrdigen Wรผrstchen am Stock. Sie alle strรถmten in die Wartehalle des Jobcenters Kรถln-Porz. Anlass war ein Hassbrief mit Stempel vom Jobcenter Kรถln, dessen Echtheit mit einem offiziellen Stempel bewiesen wurde.

Warteschlange im Jobcenter

Der Wagen mit einem groรŸen Gebilde โ€žGoldener Haufen lรคcherlicher ScheiรŸeโ€œ wurde zwar gestoppt. Doch wundersamer Weise lรถste sich das Kunstwerk von seinem Wagen und wurde mit flinken Hรคnden รผber die Kรถpfe und ebenfalls in die Wartehalle des Jobcenters Kรถln-Porz getragen. Wie รผblich war diese รผberfรผllt, und eine lange Schlange wartender Menschen bestaunte das folgende Geschehen.

Musik ertรถnte, Konfetti, Luftschlangen, tanzende โ€žlรคcherliche Wรผrstchenโ€œ am Stock. Und mittendrin der โ€žGoldene Haufen rassistischer und klassistischer ScheiรŸeโ€œ.

Erwerbslose und Freunde feiern eine lustige โ€žArme Wรผrstchen Partyโ€œ direkt in der Wartehalle des Jobcenters Kรถln-Porz. Es ist die lustige Antwort auf einen anonymen Beleidigungs- und Drohbrief, den die Beratungsstelle Die KEAs e.V. (Kรถlner Erwerbslose in Aktion) erhalten hat. Der Brief trรคgt einen offiziellen Stempel aus dem Jobcenter und scheint mit der Hauspost versendet worden zu sein.

Schwerwiegende Beschimpfungen gegen Erwerbslose

Der anonyme Brief bezeichnet Beratende und Alg II-Bezieher*innen als โ€žAsis und Kanakenโ€œ, โ€žlรคcherlicher Haufen ScheiรŸeโ€œ und als โ€œarme Wรผrstchenโ€œ. Und auch die Anwรคlte, die den Betroffenen zu ihren Rechten verhelfen, bekommen was ab: Sie seien โ€žverkorkste Juristenโ€œ.

Auch eine Drohung fehlt nicht: โ€žDann kommt doch vorbei. Wir Mitarbeiter halten alle zusammenโ€œ und haben โ€žkeine Angst vor schlechter Presseโ€œ.

โ€žArme Wรผrstchen? Vorbeikommen? Gerne! Wir sind arm โ€“ aber bei uns spielt die Musik!โ€œ, heiรŸt es auf Flyern, die verteilt werden. Warum sich รคrgern – stattdessen wird der Drohbrief auf die lustige Art genommen.

Der Brief wird laut verlesen, so dass alle Umstehenden in der Wartehalle es hรถren kรถnnen. Viele irritierte Gesichter. Die Sprache des Briefes ist sehr beleidigend.

Wรคhrend Kinder Luftballons geschenkt bekommen, leise Party-Trรถten und lustige Musik ertรถnen, wird auch immer wieder die Forderung der Feiernden wiederholt: Wir mรถchten mit der Leitung des Jobcenters Kรถln-Porz sprechen! Ein kleine รœberraschnung in Form einer Auszeichnung wartet nรคmlich auf diese.

Doch wรคhrend die Mitarbeiter*innen hin- und herlaufen, Securities hilflos immer mal wieder zum Gehen auffordern, bleiben sowohl die Feiernden als auch die Warteschlange im Jobcenter unbeweglich.

Viele Wartende sehen dem Treiben amรผsiert und wohlwollend zu, nur einer meint, schimpfen zu mรผssen, wird jedoch von den Securities zurรผckgepfiffen.

Die Stimmung in der Wartehalle ist meistens sehr bedrรผckt. Die viel zu langen Warteschlangen, nur um Dokumente abgeben zu kรถnnen oder Antrรคge abzuholen. Hinzu kommen angeblich verloren gegangene Dokumente, fehlende Geldzahlungen. Dies ist der Grund, weshalb hier protestiert wird. Vereinzelt und isoliert fรผhlen sich viele ALG II- Empfรคnger*innen zurecht ausgeliefert. Den Mut, sich gegen unsinnige MaรŸnahmen oder Schikanen seitens der Sachbearbeiter*innen zu wehren, haben die wenigsten. Erwerbslose oder Aufstocker*innen werden wie Schuldige behandelt und unter Generalverdacht gestellt. Auch rassistische Beleidigungen sind im Jobcenter nicht selten zu hรถren.

Beleidigungen kรถnnen nicht schockieren

โ€žUns hat der anonyme Beleidigungsbrief nicht schockieren kรถnnenโ€œ, resรผmiert daher eine Aktivistin der KEAs. โ€žDemรผtigungen, sinnlose MaรŸnahmen und Sanktionen erleben wir beinahe tรคglich bei unseren Begleitungen im Jobcenter. Viele Betroffene haben Angst, zu einem Meldetermin zu gehen.โ€œ

Durch Kรผrzungen des Hartz IV-Regelsatzes auf ein Niveau unterhalb des staatlich garantierten Existenzminimums, bis zu 100%, werden Menschen in finanzielle und soziale Notlagen gebracht. Menschen verlieren ihre Wohnungen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen kรถnnen. Das Jobcenter ist direkt verantwortlich fรผr entstehende Obdachlosigkeit. Betroffene werden psychisch oder kรถrperlich krank. Noch schlimmer ist es fรผr Menschen ohne deutschen Pass, ihnen werden per Gesetz noch weitere Auflagen gemacht, sie trifft der institutionelle wie auch persรถnliche Rassismus in besonderer Weise.

Doch es regt sich Widerstand. Seit einiger Zeit gibt es vermehrt Protest am Jobcenter Kรถln Porz. Vor allem gegen die Sachbearbeiterin Frau A. Sie ist durch besonders restriktive Auslegung ihres Ermessensspielraums und durch rassistische ร„uรŸerungen aufgefallen. Wiederholte Dienstaufsichtsbeschwerden verliefen bisher im Sande. Doch der Protest zeigt so langsam Wirkung. Seit einigen Wochen scheint Frau A. nicht im Haus zu sein. Termine werden abgesagt oder an andere Stellen vergeben. Widerstand lohnt sich!

Die Unruhe ist im Jobcenter Kรถln-Porz angekommen. Der anonyme Brief ist eine direkte Reaktion auf die vorangegangen Proteste. Aber von Beleidigungs- und Drohverhalten wollen sich die erwerbslosen Aktivist*innen von der Initiative erwerbslos nicht wehrlos nicht einschรผchtern lassen. Sie haben eingeladen zur frรถhlichen โ€žArme Wรผrstchen Partyโ€œ.

Die Leitung des Jobcenters Kรถln-Porz kommt

Und so stehen sie mit 30 Leuten in der Wartehalle und verlangen tanzend und trรถtend, die Standortleitung zu sehen. Nach einigem Hin- und Her ist es endlich soweit. Unter Applaus und leisem Getrรถte wird das Erscheinen der Standortleiterin in der Wartehalle begrรผรŸt. Doch anstatt sich Zeit zu nehmen und nach den Grund der โ€žArme Wรผrstchen Partyโ€œ zu fragen, ist ihr mehr an Ordnung gelegen. Die Musik solle aus, alle sollen raus. โ€žDie Polizei ist informiert. Die Polizei wird gleich da sein.โ€œ Der Betriebsablauf dรผrfe nicht gestรถrt werden.

Aber deshalb waren doch alle gekommen: Um den Betriebsablauf in den oberen Etagen zu stรถren! In der Wartehalle hingegen wurde niemand gestรถrt oder aufgehalten. Die Schalter blieben offen und misslaunig dreinblickende Mitarbeiter*innen kรผmmerten sich wie jeden Tag mehr schlecht als recht um die jeweiligen Belange der vielen wartenden Hartz IV-Bezieher*innen.

Die Standortleitung bleibt dabei: Reden erst, wenn alle Aktivist*innen drauรŸen wรคren. Einzig, um die zwangsweise Wartenden nicht zu stรถren, werden die Festivitรคten dann doch und ganz gemรคchlich und unter musikalischer Begleitung nach drauรŸen verlagert. Unterwegs noch einige Flyer und Luftballons verteilt, immer mit dabei die nervรถsen Securities, die sich ihrer Macht beraubt sehen.

Aber was das Jobcenter unter Kommunikation und Reden versteht, zeigte sich schon gleich vor der Eingangstรผr. Die Standortleitung hatte tatsรคchlich die Polizei gerufen und diese wollte sich jetzt in das Geschehen einmischen.

Nun, dann eben im Beisein von Securities und Staatsmacht, dachten sich die Aktivisten. Erneut wurde das anonyme Beleidigungsschreiben vorgelesen. Es war ganz still, und Standortleitung und die Umstehenden trauten ihren Ohren kaum, als sie den Wortlaut des Schreibens hรถrten.

Feierliche รœbergabe des โ€žGoldenen Haufens lรคcherlicher ScheiรŸeโ€œ an die Standortleitung

Der Festakt erreichte seinen Hรถhepunkt: Die รœberreichung der Auszeichnung โ€žGoldener Haufen rassistischer und klassistischer ScheiรŸeโ€œ oder, wie im anonymen Brief kurz gesagt, โ€žein lรคcherlicher Haufen ScheiรŸeโ€œ.

Wundervoll, auf einer Klorolle drapiert, vergoldet und beschriftet, thront das Kackhรคufchen, doch die Leiterin will und will es einfach nicht entgegen nehmen. Bemรผht schaut sie weg, unterhรคlt sich mit der Polizei und reagiert auch dann nicht, als ihr die wertvolle Auszeichnung schlussendlich feierlich vor die FรผรŸe gelegt wird. Nur ein verstohlener Blick.

BloรŸ keine Emotionen zeigen, als ginge sie das alles gar nichts an, was in ihrem Hause passiert. Kaum ein Wort zu dem Brief; man wรผrde sich kรผmmern; und kein Wort zum verpatzten Empfang der Auszeichnung.

Fรผr die Standort-Leitung geht es erst einmal um die โ€žBereinigungโ€œ der Hofeinfahrt. Die Verstรคrkung der Hรผter der Ordnung ist inzwischen eingetroffen. Der Grill vor den Toren des Jobcenters ist eingeheizt und die Meute will hungrig nun zum zweiten Teil der Party โ€“ mit Sekt und Wรผrstchen – รผbergehen.

Polizei stoppt Protest

Unvermittelt stoppt die Polizei die gehenden Partygรคste und versucht, sie am Verlassen des Jobcenter-Parkplatzes zu hindern. Eine leicht absurde Situation, wollte die Mitarbeiter*innen die Aktivist*innen doch eher schneller als spรคter los werden.

So ganz ist es wohl auch nicht geglรผckt. Einige Unbeteiligte wurden willkรผrlich der Teilnahme an der Party verdรคchtigt, Inklusion wurde unvermittelt so ausgelegt, dass sich auf einmal auch Rollstuhlfahrer verhaften lassen mรผssten.

Doch die Einschรผchterung funktionierte nicht ganz. โ€žDann nehmen Sie doch meine Personalien auf, dann zeigen Sie mich doch wegen angeblichem Hausfriedensbruch an, das stรถrt mich รผberhaupt nicht!โ€œ, erschallt es halb belustigt, halb erbost รผber den Parkplatz. Und alle stimmen ein. โ€žMich stรถrt’s auch nichtโ€œ. โ€žMich auch nichtโ€œ. โ€žNa, dann macht malโ€œ. Und zum Schluss gab’s dann doch noch eine spontan angemeldete Versammlung. Mit Chips, Sekt, Selters und einigen Wรผrstchen!

Und noch etwas ist den Aktivisten wichtig zu sagen: “Auch auf die Mitarbeiter*innen des Jobcenters wird Druck ausgeรผbt und von oben nach unten weitergeben. Wer im Jobcenter arbeitet, muss statistische Quoten erfรผllen und mรถglichst viele Menschen wieder aus dem Bezug von ALG II drรคngen. Ob dies durch schlecht bezahlte Arbeit, 1โ‚ฌ-Jobs, Sanktionen oder sinnlose MaรŸnahmen geschieht, ist dabei nicht relevant. Wer nicht mitmacht, verliert seinen eigenen Arbeitsplatz.

Jobcenterchefin distanziert sich von Hassbrief

Von Seiten des Jobcenter lieรŸ man verlautbaren, man sei “erschrocken รผber die Briefe” Man distanziere sich davon. “Das entspricht nicht unserem Denken.โ€œ Man habe eine Anzeige gegen Unbekannt gestellt, da ein Stempel des Jobcenters verwendet wurde. (Mit Material von Keas e.V. – Kรถlner Erwerbslose in Aktion)