Dinosaurier Kommunalverwaltung: Das Informationsfreiheitsgesetz, die ARGE und die kommunale Politik
Seit 2002 gibt es in Nordrhein-Westfalen das „Informationsfreiheitsgesetz“ (IFG), seit 2006 auch und Bundesebene. Diese Gesetze eröffnen bisher ungeahnte Möglichkeiten der Transparenz und der Bürgerbeteiligung – in den USA mit dem „Freedom of Information Act“ seit Jahrzehnten selbstverständlich – in Deutschland immer noch zu wenig bekannt und zu wenig genutzt. Im Juni haben Arbeitsagentur und ARGE auf Bestreben der Unabhängigen Sozialberatung Zielvereinbarungen und Zielwerte zur Umsetzung Hartz IV teils im Netz veröffentlicht.
Damit gibt sich die Initiative aber nicht zufrieden: nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Landes und des Bundes sind die Behörden verpflichtet, von sich aus und ohne Anfrage Verzeichnisse über vorhandene Dokumente und deren Zwecke zu veröffentlichen. Das wird in Bochum trotz einer brauchbaren kommunalen Homepage mit einem im Grunde funktionalen Ratsinformationssystems nur zögerlich bürgerfreundlich umgesetzt. Die ARGE bemüht sich seit Einführung des neuen Geschäftsführers immerhin um eine gewisse Transparenz, die Arbeitsagentur beschränkt sich auf die regelmässige Bekanntgabe der Anzahl verschwundener Arbeitsloser (wo sind sie hin?).
In inhaltlich ähnlichen Schreiben an die kommunale Verwaltung, die ARGE und die Arbeitsagentur hat die Unabhängigen Sozialberatung nun die Erfüllung ihrer Informationspflicht eingefordert. Im Folgenden begründen wir unser Anliegen und geben einige Informationen zur Geschichte, zum Hintergrund und zur Umsetzung des IFG
Diese Informationen sind für uns von dringlicher Wichtigkeit: so erhalten wir immer wieder Hinweise, wonach nicht die Anweisungen der Bundesagentur für Arbeit für die ARGE Bochum maßgeblich seien, sondern die Positionen des kommunalen Trägers zu berücksichtigen seien. Wir rätseln, welche das sein mögen. Oder versuchen da die Einen den Anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben?
Derzeit kommt uns auch zu Ohren, dass die Erhöhung des Kindergeldes und die Wiedereinführung der „Pendlerpauschale“ durch Einsparungen im SGB II-Bereich finanziert werden sollen. Umzusetzen wären solche Einsparungen natürlich vor Ort durch entsprechende Zielvereinbarungen. Das kann nicht sachdienlich sein und entspricht nicht den Interessen der Leistungsberechtigten und auch nicht kommunalen Interessen. Hier hilft nicht die Betrachtung der finanziellen Entwicklung allein, sondern die Betrachtung der gewünschten und erreichten Ergebnisse kommunalen Handelns. Unsere Aufgabe als Interessenvertretung und als BürgerInnen dieser Stadt ist es, hier ein Augenmerk auf eine sachdienliche Gewichtung zu haben.
Es kommt auch immer wieder zu unzureichender Information und sogar zu Falschinformationen durch ARGE-Mitarbeitende zum Nachteil der Betroffenen. Aus diesem Grunde wünschen die BeraterInnen auch informiert zu werden über die internen Dienstanweisungen der ARGE. Es besteht der Eindruck, dass diese Anweisungen immer wieder in den sachbearbeitenden Dienststellen gar nicht ankommen oder zumindest nicht beachtet werden. Da würden und könnten die BeraterInnen gerne Hilfestellung leisten. Auch stellen sie gerne ihren umfangreichen Pool an Informationsblättern zur Verfügung und sind gerne bereit, sich darüber mit der "Grundsatzabteilung" der ARGE abzusprechen.
Widerstand der Kommunalverwaltung
In Bochum wie anderswo hätten es die „Apparatschiks“ gerne, wenn ihr Tun im Dunklen bliebe und die BürgerInnen vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Bürgerbeteiligung ist gerne beim Stadtteilfest erwünscht. Aber Planungen/ Entscheidungen zum Cross-Border-Leasing, zum geplanten Konzerthaus, zum Kauf des VfL-Stadionnamens durch Rewirpower und nicht zuletzt zur Umsetzung des Hartz IV-Gesetzes auf kommunaler Ebene hätten Politik und Verwaltung gerne unter sich ausgemacht. Die Kommunalverwaltung erscheint als echter „Dinosaurier“, existieren ihre Strukturen als „Staat im Staat“ doch im Wesentlichen unverändert seit bereits mehr als 200 Jahren. Die Politik erscheint oftmals als Teil der Verwaltung, statt Kontrollaufgaben und Anordnungsbefugnis wahrzunehmen.
Ob eine Übernahme der kommunalen Verwaltungen nach dem Modell „avarto/Bertelsmann“ die richtige Alternative ist darf allerdings bezweifelt werden. Auch ist ein gewisser Korpsgeist („Ihr seid doch auch Bochum“) nicht zu verkennen.
Um so erstaunlicher ist es, dass mit dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes NRW bereits 2002 und mit dem entsprechenden Gesetz des Bundes 2006 ein Paradigmenwechsel eintrat und die Behörden nicht nur gezwungen sind, die nötigen Informationen auch ohne Begründung herauszugeben, sie müssen sogar Verzeichnisse veröffentlichen, aus denen sich die vorhandenen Informationssammlungen und Informationszwecke erkennen lassen. Das IFG dient der Transparenz öffentlichen Handelns und der Begrenzung staatlicher Macht. Es gehört viel mehr ins Bewusstsein der BürgerInnen und sollte viel häufiger genutzt werden. In der Regel werden die Verwaltungen diese Dienstleistung ohne Berechnung erbringen müssen. Demokratie darf auch etwas kosten!
Interessanterweise ist das NRW-Gesetz zurückzuführen auf eine Initiative der CDU-Landtagsfraktion im Jahre 2000. In den Beratungen sahen vor allem die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen und die Vereinigung der Industrie- und Handelskammern in Nordrhein-Westfalen ganz grundsätzlich keinen Bedarf für ein solches Gesetz. In Kraft ist es seit dem ersten Januar 02. Auch Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge (ÖPNV, Energie- und Wasserversorgung usw.) unterliegen diesen oder ähnlichen Vorschriften.
Erfahrungen
Jährlich kommt es seit dem in NRW zu etwa eintausend Anfragen, beispielsweise zum Baurecht oder zum Umweltschutz. Zuständig für die Umsetzung ist die Landesdatenschutzbeauftragte, die Erfahrungen werden überwiegend positiv beurteilt.
Die erste Klage erhob der Sozialhilfe-Verein Tacheles e.V. (Wuppertal) Mitte April 2006 beim Sozialgericht Düsseldorf auf Herausgabe der Durchführungshinweise und Handlungsempfehlungen zum Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Unterlagen liegen nach Angaben der BA im Intranet vor, dennoch wurde die am zweiten Januar 06 beantragte Herausgabe unter Berufung auf technische Probleme und amtsinterne Abstimmungsschwierigkeiten wiederholt verzögert. Am dreizenhenten Juli 2006 erzwang die Erwerbsloseninitiative Akteneinsicht. Pro Asyl hat in 2007 mit Hilfe des IFG gerichtlich die Herausgabe eines Teils der Dienstanweisungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstritten. Wünschenswert wäre, dass der Rat der Stadt Bochum die Umsetzung des IFG einfordert und kontrolliert, insbesondere die Verpflichtung der Behörden, von sich aus und ohne Anfrage Verzeichnisse über vorhandene Dokumente und deren Zwecke zu veröffentlichen. (i. A. Norbert Hermann, Sozialberatung Bochum- 27.07.2008)
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