Workfare oder die Renaissance des Arbeitsdienstes
Die von CDU und FDP geplante Pflicht zur Gegenleistung in Form von gemeinnütziger Arbeit entspricht in Zweckbestimmung und Konzeption weitgehend dem Reichsarbeitsdienst der Nationalsozialisten So hieß es im Gesetz über den Reichsarbeitsdienst im §1: „Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt.“
Hört und liest man mit welchen Argumenten die heute im Prinzip schon existierende Zwangsarbeit in sog. Arbeitsgelegenheiten verteidigt wird, kann man durchaus Parallelen feststellen. Man möchte die Arbeitsbereitschaft testen, sprich eine von den Machern der Reform als einzig „wahre Arbeitsauffassung“ festgelegte Einstellung erzielen. Diese „Motivationsstrategie“ nach der Bootcamp Methode ist aus erziehungswissenschaftlicher Sicht völliger Unsinn, und mehrfach widerlegt. Arbeit ist nicht mehr die Ware, mit dem der Bürger sich persönlich mit all seinen Fähigkeiten und Qualifikationen selbst bestimmt auf einem freien Arbeitsmarkt bewirbt, nein, Arbeit ist eine Verpflichtung der Armen gegenüber den Reichen. Die soziale Verantwortung der Wohlhabenden braucht nur noch dann wahrgenommen zu werden, wenn Bedürftige ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellen. Eine Existenzberechtigung ergibt sich somit nicht mehr durch den Wert eines Menschen, sondern durch seine geleistete Arbeit.
Für mich ist eine solche Denkweise menschenverachtend – damals wie heute. Hinzu kommt die Volkswirtschaftliche Sicht: Wenn Arbeitslose auf dem Arbeitsmarkt keine Arbeit finden können, ihnen aber gleichzeitig in Workfare Projekten Arbeit angeboten wird, funktioniert unsere Marktwirtschaft nicht mehr. Der Fehler im System ist leicht zu finden: Er liegt in der Profitgier von Unternehmen, die Arbeit unter Umgehung der Marktgesetze so billig machen will, dass man auch mit menschenverachtenden Systemen konkurrieren kann. Dies ist natürlich nur dann möglich, wenn man selbst, zumindest für einen bestimmten Kreis von Menschen die Menschenrechte beschneidet. Der Staat ist, wenn er den Anspruch hat ein demokratischer Staat zu bleiben, verpflichtet hier einzugreifen. Er tut dies auch in fast ganz Europa durch Mindestlöhne. Nicht so in Deutschland. Hier spricht man von einem Mindesteinkommen und subventioniert durch staatliche Zuschüsse Unternehmen, die keine marktgerechten Löhne zahlen. Man lässt zu, dass Zeitarbeit als Instrument zur Lohnsenkung und zur Umgehung des Kündigungsschutzes missbraucht wird. Statt hier entgegen zu wirken, fördert man durch Lohnzuschüsse, die Möglichkeit von unbezahlten Praktika und Zuschüsse bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen, diese diskriminierende Unternehmenspolitik.
In den letzten Jahren ist hier ein zweiter Arbeitsmarkt entstanden, der den ersten Arbeitsmarkt ausblutet. Er wächst in dem Maße in dem der reguläre Arbeitsmarkt schwindet. Welcher faire Unternehmer kann auf Dauer überleben, wenn seine Konkurrenten Ausbeutung und Lohndumping betreiben? Bewusst erklären die bürgerlichen Parteien Arbeit an sich als sozial – auch dann, wenn diese schlecht oder gar nicht bezahlt wird. Die Parteien wissen, dass in den nächsten Jahren die Zahl der Arbeitslosen auf über 5 Millionen steigen wird. Wer, wie CDU und FDP ernsthaft fordert, diese 5 Millionen Menschen, unter denen auch viele gut qualifizierte und motivierte Bürger sind, in einen zweiten Arbeitsmarkt, dessen Bezahlung sich nicht mehr an der Marktwirtschaft orientiert, zu entlassen, gibt den Gedanken der Marktwirtschaft auf. Aufgabe einer verantwortungsvollen Regierung wäre es, durch eine gezielte Steuerung die Felder des ersten Arbeitsmarktes, die von der Wirtschaft zwecks Gewinnoptimierung der Allgemeinheit in einem zweiten Arbeitsmarkt überlassen werden, dort wieder zu integrieren. Dazu gehören vor allem die sozialen Berufe, aber auch viele andere Tätigkeiten im Bereich der Dienstleistung. Letztlich ist der zweite Arbeitsmarkt nichts anderes als staatlich geförderte Schwarzarbeit. Viele Städte und Kommunen haben Arbeitsgelegenheiten genutzt um reguläre Stellen im öffentlichen Dienst abzubauen.
Dort wo der Staat früher Aufträge an Firmen abgegeben hat, etwa bei Umzügen von Hartz IV-Leistungsempfängern oder Renovierungsarbeiten in öffentlichen Gebäuden, lässt er dies heute offiziell und legal von unbezahlten Leistungsempfängern verrichten. Ähnliches gilt für kirchliche Einrichtungen und Sportvereine. Wenn nun weitere 5 Millionen in diese staatlich organisierte Schwarzarbeit gezwungen werden, statt endlich die durchaus vorhandene Arbeit durch tariflich bezahlte Arbeitnehmer erledigen zu lassen, kann man kaum mehr von einer freien Marktwirtschaft sprechen. (Dietmar Brach, Erwerbslosenhilfe Rheinland-Pfalz, 19.07.2009)
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