Hartz IV: Anrechnung von Aufwandsentschädigungen

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Neuregelungen der Anrechnung von Aufwandsentschädigungen bei Hartz IV

31.03.2011

Die Anrechnung von Aufwandsentschädigungen bei Hartz-IV für verschiedene Formen bürgerschaftlichen Engagements ist durch die Hartz-IV-Reform zum ersten April 2011 geändert worden. Die Linken-Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Katja Kipping und Michael Leutert haben die Bundesregierung mit schriftlichen Fragen nach den Auswirkungen dieser Neuregelung auf ehrenamtlich tätige Hartz-IV Leistungsberechtigte, insbesondere auch ehrenamtliche kommunale Amts und Mandatsträger befragt. Die Antworten zeigen: "nur weniges ist besser, das meiste aber ist schlechter geworden."

„Ein soziokulturelles Existenzminimum muss einerseits ein menschenwürdiges Leben garantieren und andererseits die ökonomischen Grundlage für ein bürgerschaftliches Engagement ermöglichen. Der faule Kompromiss von Union, FDP und SPD leistet weder das eine noch das andere. Politisches Engagement darf keine Frage des Geldbeutels sein!“, fordert Matthias W. Birkwald, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales de Deutschen Bundestages. „Wer als Hartz-IV-Beziehende/r Erwerbseinkommen und eine Aufwandsentschädigung für das bürgerschaftliche Engagement bekommt, hat künftig mehr Abzüge vom gesamten Einkommen als vorher. Ein Engagement in beiden Tätigkeitsbereichen wird bestraft", kritisiert Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Auch die geringen Verbesserungen führen nicht in die richtige Richtung: „Höhere Freibeträge bei Erwerbseinkommen kommen den Betroffenen zwar zugute, eine armutsfeste Mindestsicherung und ein gesetzlicher Mindestlohn wären aber die richtigen politischen Antworten“, betont Michael Leutert, Sprecher der Landesgruppe Sachsen der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Laut Auskunft der Bundesregierung werden pauschale Aufwandsentschädigungen im Grundsatz zukünftig wie Einkommen aus Erwerbstätigkeit behandelt. Diese Bezüge oder Einnahmen werden allerdings gegenüber Erwerbseinkommen insoweit anders behandelt als ein Freibetrag von 175 Euro monatlich eingeräumt wird (statt 100 Euro). In dem ursprünglichen Gesetzentwurf war der erhöhte Freibetrag noch nicht vorgesehen; dieser ist erst durch den Vermittlungsausschuss eingefügt worden.

Der Freibetrag von 175 Euro gilt nach dem neuen § 11b Abs. 2 S. 3 SGB II für folgende Tätigkeiten:
– Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen (so auch für kommunale Mandatstätigkeit)
– Einnahmen als Übungsleiter
– Einnahmen aus Tätigkeit für gemeinnützige, karitative oder kirchliche Verbände und Organisationen (bislang: anrechnungsfrei bis 500 Euro pro Jahr)
– Aufwandsentschädigung für gesetzlichen Betreuer (Vormund).

Bislang wurden die entsprechenden Einnahmen bis zu einer Höhe einer halben monatlichen ALG II-Regelleistung anrechnungsfrei gestellt; dies entspricht in etwa dem jetzigen Freibetrag von 175 Euro. Wenn darüber hinaus ein weiterer Bedarf nachgewiesen werden konnte, beispielsweise durch die Vorlage von Quittungen für sächlichen Aufwand, dann war auch dieser Betrag anrechnungsfrei. Nie anrechnungsfrei war die Erstattung von zeitlichem Aufwand.

Begründet wird dieses Vorgehen mit einer Gleichstellung der Anrechnung in der Grundsicherung Hartz IV mit der Steuerfreiheit im Einkommensteuerrecht. Lediglich Entschädigungen mit einer ausdrücklichen Zweckbestimmung (nach Aussagen der Bundesregierung: z.B. Fahrtkostenentschädigung, Kleidergeld, Materialkostenpauschale;) sowie ein tatsächlich nachgewiesener Aufwand bleiben nach Ansicht der Bundesregierung anrechnungsfrei. In dem neuen § 11a Abs. 3 SGB II heißt es dagegen, dass „Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, (…) nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen (sind), als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen.“ Aufwandsentschädigungen für kommunale MandatsträgerInnen, ehrenamtliche BürgermeisterInnen und sonstige öffentlich- rechtlichen Funktionen zählen zu den Leistungen, die „auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften“ erbracht werden. Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift (nur im Einzelfall als Einkommen anzurechnen) geht die Bundesregierung in den Antworten auf die schriftlichen Fragen davon aus, dass auch die pauschalen Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Bürgermeister oder kommunale Mandatsträger wie Einnahmen aus Erwerbstätigkeit behandelt werden, d.h. mit einem Freibetrag in Höhe von 175 Euro und ab 100 Euro mit einem Selbstbehalt von 20 % bewertet werden. Daraus folgt, dass – wie bisher – anzuraten ist, Quittungen des tatsächlichen Bedarfs zu sammeln um die ausdrückliche Zweckbestimmung nachweisen zu können.

Im Vergleich zum bisherigen Recht ist es nicht mehr möglich, die Anrechnungsfreiheit von Bezügen aufgrund ehrenamtlicher Tätigkeiten mit den Freibetragsregelungen für Erwerbseinkommen zu kombinieren. Wer zusätzlich zu Entschädigungen eine (geringfügige) Erwerbstätigkeit ausübt, darf damit deutlich weniger Geld als Einnahme behalten. Im Gegensatz gilt nunmehr die Freibetragsregelung für Erwerbseinkommen auch für Einnahmen aus ehrenamtlichen Aktivitäten. Bei Einnahmen jenseits von 175 Euro, die bislang komplett angerechnet wurden, gilt daher: Einkünfte oberhalb von 100 Euro bis 1.000 Euro bleiben zu 20% anrechnungsfrei.

Zusammenfassende Bewertung
1. Zwar ist die im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene deutliche Verschlechterung abgemildert worden. Aber das im Vermittlungsausschuss angeführte Prinzip, wonach die Anrechnung von Einkünften aus bürgerschaftlichem Engagement nicht anders bewertet werden soll als im Einkommenssteuerrecht wird nicht vollständig umgesetzt: So sind beispielweise nach dem sog. „Ratsherrenerlass“ des Finanzministerium NRW bei ehrenamtlichen Mitgliedern eines Gemeinderats pauschale Entschädigungen und Sitzungsgelder bis zu 306 Euro / Monat steuerfrei. 175 Euro / Monat sind „mindestens“ steuerfrei.

2. Durch die Anrechnung als Erwerbseinkommen verschlechtern sich die Anrechnungsmodalitäten bei all denjenigen Leistungsberechtigten, die neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit sonstige Erwerbseinkommen haben.

Zwei Beispiele zur Veranschaulichung:
I. Übungsleitertätigkeit: 175 Euro plus Erwerbstätigkeit 400: bisher: 175 Euro (§ 11b Abs. 2) plus 160 Euro (Abs. 3) = 335 Euro anrechnungsfrei jetzt: 175 Euro (§ 11b Abs. 2) plus 95 Euro (Abs. 3) = 270 Euro anrechnungsfrei.

II. Überleitertätigkeit: 175 Euro plus Mini Job 100 Euro bisher: 175 Euro (§ 11b Abs. 2) plus 100 Euro (Abs. 3) = 275 Euro anrechnungsfrei jetzt: 175 Euro (§ 11b Abs. 2) plus 35 Euro (Abs. 3) = 210 Euro anrechnungsfrei

Jeweils 65 Euro weniger zur Verfügung
(zur Erläuterung der Berechnung: der Freibetrag nach § 11b Abs. 3 errechnet sich hier folgendermaßen: 20% der Einnahmen, die 100 Euro übersteigen und nicht mehr als 1.000 Euro betragen hier also im Fall I: 175 plus 400 = 575; 20% von 475 = 95 Euro
im Fall II: 175 plus 100 = 275; 20% von 175 = 35 Euro).

3. Der Wortlaut des Gesetzes wird durch die Bundesregierung konterkariert. Durch ihre Rechtsauslegung wird aus der ausdrücklichen Bestimmung, dass Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck nur „im Einzelfall“ als Einkommen angerechnet werden sollen, eine quasi generelle Regel gemacht wird. Nach dem Wortlaut der Regelung müsste im Gegenteil unterstellt werden, dass bei einer ausdrücklichen Zweckbestimmung die Entschädigung in der Regel nicht bei Hartz IV angerechnet werden darf. Der aktuell gültige Fachliche Hinweis der Bundesagentur für Arbeit für den § 11 SGB II (Einkommensanrechnung) bestätigt, dass „Aufwandsentschädigungen für Mitglieder kommunaler Vertretungen und Ausschüsse“ zu den „zweckbestimmten Einnahmen, die einem anderen Zweck als das Arbeitslosengeld II / Sozialgeld dienen,“ zählen (Stand: 30 März 2011). Auf diese Charakterisierung können sich kommunale Amts- und MandatsträgerInnen berufen (aktuellen Stand prüfen!).

4. Für die kommunale Praxis ist daher auf die möglichst konkrete Zweckbestimmung der Aufwandsentschädigung zu achten bzw. die konkrete Zweckbestimmung zu betonen. Dort wo die Kommune diese Aufwandsentschädigung selbst beschließt, ist auf eine entsprechende Zweckbestimmung (z.B. Fahrtkostenentschädigung, Kleidergeld, Materialkosten) in der Beschlussvorlage zu achten.

5. Und: Die Öffentlichkeit wurde irregeleitet. So hieß es beispielsweise in einer Presseerklärung des Bundesrates 19/2011 vom 11 Februar 2011 wörtlich: „Allerdings werden künftig Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten als Übungsleiter nicht mehr auf den Hartz IV Regelsatz angerechnet.“ Das ist nicht zutreffend und hat in der Folge zu Fehlinterpretationen geführt. (pm)

Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de